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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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treiben werde. Der Herzog zieht darauf ohne Schonung los über den Idea¬
lismus des Deutschen, der immer gegen sich selbst Partei nimmt. G. Freytag
nimmt das etwas übel und meint, gerade diese Objektivität, diese Fähigkeit,
sich an die Stelle des andern zu setzen, sei der eigentümliche Vorzug des
Deutschen. Der Herzog ergeht sich fort und fort in bitterm Spott über die
schönen Ergebnisse, zu denen dieser Idealismus uns geführt habe. Ich nehme
für G. Freytag Partei und mache geltend: der Geltung, die wie dereinst auch
in der politischen Welt als Nation hoffen dürfen, hat jedenfalls der deutsche
Idealismus sehr tüchtig vorgearbeitet. Seitdem die Leute wissen, was deutsche
Wissenschaft und Kunst ist und bedeutet, hat der Deutsche in Frankreich und
in England eine ganz andre Geltung als früher. Der Herzog wollte das im
Anfang nicht zugeben, Barnard aber bestätigte es mit Nachdruck.

Am Morgen des 8. September verließ Bernhardt Reinhardsbrunn, um über
Gotha heimzukehren. Mit besondrer Ausführlichkeit gedenkt das Tagebuch der
unterwegs auf dem Landsitze Gustav Freytags, Siebleber, mit diesem und dem
Staatsrat Samwer verbrachten Stunden. Das Hnuvtthema der dort geführten
Unterredungen bildete der Nntivnalverein, dessen Verhalten von Freytag erläutert
und verteidigt wird. Es heißt darüber u. a. :

Gustav Freytag, der viel mit Bennigsen verkehrt hat, sucht mauches in
günstigeren Lichte darzustellen, obgleich auch er die Schwächen einräumt. Mit
der Erwähnung der Verfassung von 1849 war gemeint, daß diese Verfassung
nun in ehrenvoller Weise sollte zu Grabe getragen sein und abgethan. Ich:
Das wird aber nicht leicht jemand aus den Beschlüssen des Nativnalvereins her¬
auslesen. Wenn die Leute so verstanden kein wollten, hätten sie wenigstens
nicht sagen sollen, daß die Bestrebungen der Deutschen in dieser Verfassung
ihren rechtlichen Ausdruck gefunden Hütten. G. Freytag meint auch, es müßten
nun sofort Publizisten des Vereins auftreten und in öffentlichen Blättern be¬
stimmt aussprechen, wie dieser Beschluß zu deuten sei. Er hat auch bei
Bennigsen darauf gedrungen. Die Hegemonie Preußens zur Sprache zu bringen,
war notwendig, fagt Bennigsen, damit sie von den Süddeutschen einmal aus¬
drücklich anerkannt würde. Wie auch die preußische Hegemonie verklausulirt
sein mag: es sei viel dadurch gewonnen, daß man die Süddeutschen dahin
gebracht habe, sie förmlich anzuerkennen.

Übrigens, meint G. Freytag, der Herzog könne nichts dagegen haben,
wenn der Nationalverein ausspricht, daß er Volksvertretung beim Bundestage
verlange, denn der Herzog selbst hat sich in Frankfurt mit den beiden Gro߬
herzogen von Weimar und von Baden verabredet: diese drei Fürsten wollen
am Bundestage den Antrag auf Volksvertretung stellen. Der Großherzog von
Baden erlebt es zum erstenmale, daß sein Volk zu ihm steht, seit er in die
Reform der Freisinnigkeit eingelenkt hat u. s. w.

Von dem Ereignis, das dem Jahre 1869 die entscheidende Signatur geben und
auf die Entwicklung der deutschen wie der europäische" Dinge nachhaltigsten Einfluß


treiben werde. Der Herzog zieht darauf ohne Schonung los über den Idea¬
lismus des Deutschen, der immer gegen sich selbst Partei nimmt. G. Freytag
nimmt das etwas übel und meint, gerade diese Objektivität, diese Fähigkeit,
sich an die Stelle des andern zu setzen, sei der eigentümliche Vorzug des
Deutschen. Der Herzog ergeht sich fort und fort in bitterm Spott über die
schönen Ergebnisse, zu denen dieser Idealismus uns geführt habe. Ich nehme
für G. Freytag Partei und mache geltend: der Geltung, die wie dereinst auch
in der politischen Welt als Nation hoffen dürfen, hat jedenfalls der deutsche
Idealismus sehr tüchtig vorgearbeitet. Seitdem die Leute wissen, was deutsche
Wissenschaft und Kunst ist und bedeutet, hat der Deutsche in Frankreich und
in England eine ganz andre Geltung als früher. Der Herzog wollte das im
Anfang nicht zugeben, Barnard aber bestätigte es mit Nachdruck.

Am Morgen des 8. September verließ Bernhardt Reinhardsbrunn, um über
Gotha heimzukehren. Mit besondrer Ausführlichkeit gedenkt das Tagebuch der
unterwegs auf dem Landsitze Gustav Freytags, Siebleber, mit diesem und dem
Staatsrat Samwer verbrachten Stunden. Das Hnuvtthema der dort geführten
Unterredungen bildete der Nntivnalverein, dessen Verhalten von Freytag erläutert
und verteidigt wird. Es heißt darüber u. a. :

Gustav Freytag, der viel mit Bennigsen verkehrt hat, sucht mauches in
günstigeren Lichte darzustellen, obgleich auch er die Schwächen einräumt. Mit
der Erwähnung der Verfassung von 1849 war gemeint, daß diese Verfassung
nun in ehrenvoller Weise sollte zu Grabe getragen sein und abgethan. Ich:
Das wird aber nicht leicht jemand aus den Beschlüssen des Nativnalvereins her¬
auslesen. Wenn die Leute so verstanden kein wollten, hätten sie wenigstens
nicht sagen sollen, daß die Bestrebungen der Deutschen in dieser Verfassung
ihren rechtlichen Ausdruck gefunden Hütten. G. Freytag meint auch, es müßten
nun sofort Publizisten des Vereins auftreten und in öffentlichen Blättern be¬
stimmt aussprechen, wie dieser Beschluß zu deuten sei. Er hat auch bei
Bennigsen darauf gedrungen. Die Hegemonie Preußens zur Sprache zu bringen,
war notwendig, fagt Bennigsen, damit sie von den Süddeutschen einmal aus¬
drücklich anerkannt würde. Wie auch die preußische Hegemonie verklausulirt
sein mag: es sei viel dadurch gewonnen, daß man die Süddeutschen dahin
gebracht habe, sie förmlich anzuerkennen.

Übrigens, meint G. Freytag, der Herzog könne nichts dagegen haben,
wenn der Nationalverein ausspricht, daß er Volksvertretung beim Bundestage
verlange, denn der Herzog selbst hat sich in Frankfurt mit den beiden Gro߬
herzogen von Weimar und von Baden verabredet: diese drei Fürsten wollen
am Bundestage den Antrag auf Volksvertretung stellen. Der Großherzog von
Baden erlebt es zum erstenmale, daß sein Volk zu ihm steht, seit er in die
Reform der Freisinnigkeit eingelenkt hat u. s. w.

Von dem Ereignis, das dem Jahre 1869 die entscheidende Signatur geben und
auf die Entwicklung der deutschen wie der europäische» Dinge nachhaltigsten Einfluß


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[0566] treiben werde. Der Herzog zieht darauf ohne Schonung los über den Idea¬ lismus des Deutschen, der immer gegen sich selbst Partei nimmt. G. Freytag nimmt das etwas übel und meint, gerade diese Objektivität, diese Fähigkeit, sich an die Stelle des andern zu setzen, sei der eigentümliche Vorzug des Deutschen. Der Herzog ergeht sich fort und fort in bitterm Spott über die schönen Ergebnisse, zu denen dieser Idealismus uns geführt habe. Ich nehme für G. Freytag Partei und mache geltend: der Geltung, die wie dereinst auch in der politischen Welt als Nation hoffen dürfen, hat jedenfalls der deutsche Idealismus sehr tüchtig vorgearbeitet. Seitdem die Leute wissen, was deutsche Wissenschaft und Kunst ist und bedeutet, hat der Deutsche in Frankreich und in England eine ganz andre Geltung als früher. Der Herzog wollte das im Anfang nicht zugeben, Barnard aber bestätigte es mit Nachdruck. Am Morgen des 8. September verließ Bernhardt Reinhardsbrunn, um über Gotha heimzukehren. Mit besondrer Ausführlichkeit gedenkt das Tagebuch der unterwegs auf dem Landsitze Gustav Freytags, Siebleber, mit diesem und dem Staatsrat Samwer verbrachten Stunden. Das Hnuvtthema der dort geführten Unterredungen bildete der Nntivnalverein, dessen Verhalten von Freytag erläutert und verteidigt wird. Es heißt darüber u. a. : Gustav Freytag, der viel mit Bennigsen verkehrt hat, sucht mauches in günstigeren Lichte darzustellen, obgleich auch er die Schwächen einräumt. Mit der Erwähnung der Verfassung von 1849 war gemeint, daß diese Verfassung nun in ehrenvoller Weise sollte zu Grabe getragen sein und abgethan. Ich: Das wird aber nicht leicht jemand aus den Beschlüssen des Nativnalvereins her¬ auslesen. Wenn die Leute so verstanden kein wollten, hätten sie wenigstens nicht sagen sollen, daß die Bestrebungen der Deutschen in dieser Verfassung ihren rechtlichen Ausdruck gefunden Hütten. G. Freytag meint auch, es müßten nun sofort Publizisten des Vereins auftreten und in öffentlichen Blättern be¬ stimmt aussprechen, wie dieser Beschluß zu deuten sei. Er hat auch bei Bennigsen darauf gedrungen. Die Hegemonie Preußens zur Sprache zu bringen, war notwendig, fagt Bennigsen, damit sie von den Süddeutschen einmal aus¬ drücklich anerkannt würde. Wie auch die preußische Hegemonie verklausulirt sein mag: es sei viel dadurch gewonnen, daß man die Süddeutschen dahin gebracht habe, sie förmlich anzuerkennen. Übrigens, meint G. Freytag, der Herzog könne nichts dagegen haben, wenn der Nationalverein ausspricht, daß er Volksvertretung beim Bundestage verlange, denn der Herzog selbst hat sich in Frankfurt mit den beiden Gro߬ herzogen von Weimar und von Baden verabredet: diese drei Fürsten wollen am Bundestage den Antrag auf Volksvertretung stellen. Der Großherzog von Baden erlebt es zum erstenmale, daß sein Volk zu ihm steht, seit er in die Reform der Freisinnigkeit eingelenkt hat u. s. w. Von dem Ereignis, das dem Jahre 1869 die entscheidende Signatur geben und auf die Entwicklung der deutschen wie der europäische» Dinge nachhaltigsten Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/566>, abgerufen am 23.07.2024.