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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

Man sah ihm gern nach, daß er einen nichts weniger als kanonischen Lebens¬
wandel führte und namentlich leidenschaftlicher Spieler war. Er legte häufig
eine Pharvbank auf, und die jungen Prinzen und ihre Umgebung pointirter.

Die Prinzen müssen in voller Uniform bei entsetzlicher Hitze vom Balkon
herab der Frohnleichnamsprozesfion zusehen. Der Kardinal, der wenig und
schlecht französisch spricht, ruft ihnen aus der Prozession zu: (Anna, disn
cdkmäz wNS ^'s visnära,i, ^'s vioinZrai! Zum Spiel nämlich. Wenn die Pro¬
zession vorüber ist, werfen die Prinzen ihre Uniformen ab, legen Leinwand¬
kittel an und gehen in die untern, kühlern Gemächer. Da steht der Spieltisch
schon fertig, gleich darauf kommt der Kardinal im roten Hut und Scharlach-
talar, den goldnen Patriarchenstab in der Hand. In diesem Aufzug, im vollen
Ornat, stellt er sich an den Spieltisch, präsentirt mit dem Patriarchenstab das
Gewehr und ruft: No88isnrs, t'Mos votrs Mi!

Kurz vor Tisch sendet der Herzog mir Franckes Bericht über die
Sitzungen des Nationalvereins und die gefaßten Beschlüsse.

Die Leute sind unreif und, wie es scheint, unfähig, reif zu werden. Sie
haben, so viel auch die Führer gewarnt haben, eines der drei Dinge gethan,
die der Herzog als gefährlich bezeichnete, sie haben die Hegemonie Preußens
und Volksvertretung am Bundestage als Ziel ihres Strebens proklamirt.
Wenn sie auch einige Worte über Österreich hinzufügten, das darum nicht
ausgeschlossen sein soll. Dadurch ist das bedenkliche nicht beseitigt, und da¬
durch, daß die Hegemonie Preußens nur eventuell anerkannt wäre, nur für
den Fall, daß Preußen in den Bahnen des Liberalismus bleibt, auch nicht.
Die gewühlte Form ist nebenbei etwas für Preußen beleidigendes, und die
Unruhe spricht sich darin aus, daß mau vergißt, daß die Hegemonie unter
cinderm eine Frage der Macht ist. Aber daran haben die Leute nicht genug,
sie suhlen sich berufen, auszusprechen, daß das Bedürfnis Deutschlands nach
Einheit in der unseligen Verfassung von 1849 seinen Ausdruck gefunden habe,
und amendiren diesen Satz aus den Antrag eines Wta'ain dahin, daß jenes
Streben in besagter Verfassung seinen rechtlichen Ausdruck gefunden habe.

7. September. Bennigsen kommt quasi rs höre ssssts, aus Koburg an,
G. Freytag kommt seinethalben nach Reinhardsbrunn heraus. Er besucht mich
auf meinem Zimmer. Tadelt den Nationcilverein: "Die Leute fingen 1848
wieder an, wenn man sie gewähren ließe." Namentlich hat der alte Welcker
eine ganz unsinnige Rede gehalten. Im einzelnen sucht G. Freytag manches
zu entschuldigen, kann aber nicht leugnen, daß die Leute die Regeneration
Deutschlands in sehr unreifer Weise betreiben, "so wie man es von schwär¬
menden Sekundanern erwarten müßte."

Tafel im großen Speisesaal. Bennigsen mein Nachbar. Bei Tisch war
von dem Aufstand der Polen die Rede, auf den wir uns gefaßt machen müßten.
Ich sprach die Hoffnung aus, daß man dann nicht wieder "Wehmutspolitik"


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

Man sah ihm gern nach, daß er einen nichts weniger als kanonischen Lebens¬
wandel führte und namentlich leidenschaftlicher Spieler war. Er legte häufig
eine Pharvbank auf, und die jungen Prinzen und ihre Umgebung pointirter.

Die Prinzen müssen in voller Uniform bei entsetzlicher Hitze vom Balkon
herab der Frohnleichnamsprozesfion zusehen. Der Kardinal, der wenig und
schlecht französisch spricht, ruft ihnen aus der Prozession zu: (Anna, disn
cdkmäz wNS ^'s visnära,i, ^'s vioinZrai! Zum Spiel nämlich. Wenn die Pro¬
zession vorüber ist, werfen die Prinzen ihre Uniformen ab, legen Leinwand¬
kittel an und gehen in die untern, kühlern Gemächer. Da steht der Spieltisch
schon fertig, gleich darauf kommt der Kardinal im roten Hut und Scharlach-
talar, den goldnen Patriarchenstab in der Hand. In diesem Aufzug, im vollen
Ornat, stellt er sich an den Spieltisch, präsentirt mit dem Patriarchenstab das
Gewehr und ruft: No88isnrs, t'Mos votrs Mi!

Kurz vor Tisch sendet der Herzog mir Franckes Bericht über die
Sitzungen des Nationalvereins und die gefaßten Beschlüsse.

Die Leute sind unreif und, wie es scheint, unfähig, reif zu werden. Sie
haben, so viel auch die Führer gewarnt haben, eines der drei Dinge gethan,
die der Herzog als gefährlich bezeichnete, sie haben die Hegemonie Preußens
und Volksvertretung am Bundestage als Ziel ihres Strebens proklamirt.
Wenn sie auch einige Worte über Österreich hinzufügten, das darum nicht
ausgeschlossen sein soll. Dadurch ist das bedenkliche nicht beseitigt, und da¬
durch, daß die Hegemonie Preußens nur eventuell anerkannt wäre, nur für
den Fall, daß Preußen in den Bahnen des Liberalismus bleibt, auch nicht.
Die gewühlte Form ist nebenbei etwas für Preußen beleidigendes, und die
Unruhe spricht sich darin aus, daß mau vergißt, daß die Hegemonie unter
cinderm eine Frage der Macht ist. Aber daran haben die Leute nicht genug,
sie suhlen sich berufen, auszusprechen, daß das Bedürfnis Deutschlands nach
Einheit in der unseligen Verfassung von 1849 seinen Ausdruck gefunden habe,
und amendiren diesen Satz aus den Antrag eines Wta'ain dahin, daß jenes
Streben in besagter Verfassung seinen rechtlichen Ausdruck gefunden habe.

7. September. Bennigsen kommt quasi rs höre ssssts, aus Koburg an,
G. Freytag kommt seinethalben nach Reinhardsbrunn heraus. Er besucht mich
auf meinem Zimmer. Tadelt den Nationcilverein: „Die Leute fingen 1848
wieder an, wenn man sie gewähren ließe." Namentlich hat der alte Welcker
eine ganz unsinnige Rede gehalten. Im einzelnen sucht G. Freytag manches
zu entschuldigen, kann aber nicht leugnen, daß die Leute die Regeneration
Deutschlands in sehr unreifer Weise betreiben, „so wie man es von schwär¬
menden Sekundanern erwarten müßte."

Tafel im großen Speisesaal. Bennigsen mein Nachbar. Bei Tisch war
von dem Aufstand der Polen die Rede, auf den wir uns gefaßt machen müßten.
Ich sprach die Hoffnung aus, daß man dann nicht wieder „Wehmutspolitik"


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[0565] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis Man sah ihm gern nach, daß er einen nichts weniger als kanonischen Lebens¬ wandel führte und namentlich leidenschaftlicher Spieler war. Er legte häufig eine Pharvbank auf, und die jungen Prinzen und ihre Umgebung pointirter. Die Prinzen müssen in voller Uniform bei entsetzlicher Hitze vom Balkon herab der Frohnleichnamsprozesfion zusehen. Der Kardinal, der wenig und schlecht französisch spricht, ruft ihnen aus der Prozession zu: (Anna, disn cdkmäz wNS ^'s visnära,i, ^'s vioinZrai! Zum Spiel nämlich. Wenn die Pro¬ zession vorüber ist, werfen die Prinzen ihre Uniformen ab, legen Leinwand¬ kittel an und gehen in die untern, kühlern Gemächer. Da steht der Spieltisch schon fertig, gleich darauf kommt der Kardinal im roten Hut und Scharlach- talar, den goldnen Patriarchenstab in der Hand. In diesem Aufzug, im vollen Ornat, stellt er sich an den Spieltisch, präsentirt mit dem Patriarchenstab das Gewehr und ruft: No88isnrs, t'Mos votrs Mi! Kurz vor Tisch sendet der Herzog mir Franckes Bericht über die Sitzungen des Nationalvereins und die gefaßten Beschlüsse. Die Leute sind unreif und, wie es scheint, unfähig, reif zu werden. Sie haben, so viel auch die Führer gewarnt haben, eines der drei Dinge gethan, die der Herzog als gefährlich bezeichnete, sie haben die Hegemonie Preußens und Volksvertretung am Bundestage als Ziel ihres Strebens proklamirt. Wenn sie auch einige Worte über Österreich hinzufügten, das darum nicht ausgeschlossen sein soll. Dadurch ist das bedenkliche nicht beseitigt, und da¬ durch, daß die Hegemonie Preußens nur eventuell anerkannt wäre, nur für den Fall, daß Preußen in den Bahnen des Liberalismus bleibt, auch nicht. Die gewühlte Form ist nebenbei etwas für Preußen beleidigendes, und die Unruhe spricht sich darin aus, daß mau vergißt, daß die Hegemonie unter cinderm eine Frage der Macht ist. Aber daran haben die Leute nicht genug, sie suhlen sich berufen, auszusprechen, daß das Bedürfnis Deutschlands nach Einheit in der unseligen Verfassung von 1849 seinen Ausdruck gefunden habe, und amendiren diesen Satz aus den Antrag eines Wta'ain dahin, daß jenes Streben in besagter Verfassung seinen rechtlichen Ausdruck gefunden habe. 7. September. Bennigsen kommt quasi rs höre ssssts, aus Koburg an, G. Freytag kommt seinethalben nach Reinhardsbrunn heraus. Er besucht mich auf meinem Zimmer. Tadelt den Nationcilverein: „Die Leute fingen 1848 wieder an, wenn man sie gewähren ließe." Namentlich hat der alte Welcker eine ganz unsinnige Rede gehalten. Im einzelnen sucht G. Freytag manches zu entschuldigen, kann aber nicht leugnen, daß die Leute die Regeneration Deutschlands in sehr unreifer Weise betreiben, „so wie man es von schwär¬ menden Sekundanern erwarten müßte." Tafel im großen Speisesaal. Bennigsen mein Nachbar. Bei Tisch war von dem Aufstand der Polen die Rede, auf den wir uns gefaßt machen müßten. Ich sprach die Hoffnung aus, daß man dann nicht wieder „Wehmutspolitik"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/565>, abgerufen am 23.07.2024.