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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

Zu wünschen wäre nun, daß die liberale Partei in unserm Parlament
Verminst annehme, nicht ein ohnmächtiges Zetergeschrei erhöbe über Dinge,
die sie nicht mehr ändern kann.

Der Herzog: Die Liberalen wollen aber im Gegenteil "einen Höllen¬
lärm" anfangen über die Militürfragen in der nächsten Sitzung.

Ich: meine Hoffnung war, die Herren würden sich nun durch einen
Aufenthalt von mehreren Monaten in den Provinzen überzeugt haben, daß
die öffentliche Meinung im allgemeinen entschieden für die Militärvorlagen
der Regierung ist. Jedenfalls kann der Lärm zu nichts führen, als zu einem
unseligen Bruch zwischen Regierung und Kammern, und der muß um jeden
Preis vermieden werden. Man müßte dahin arbeiten, daß die Leute Vernunft
annehmen. Noch ein andres macht mir Sorgen: daß, wie mir Herwcirth sagt,
der Fürst Hohenzollern vom Ministerium zurücktreten will, so wie der König
stirbt.

Der Herzog: Das sagt er immer; aber wir lassen ihn nicht gehen.

Er kommt auf Ungarn zurück; dessen Erhebung, die bevorsteht, wird ganz
eigentümliche Verlegenheiten herbeiführen. Die Ungarn sind zum Teil Pro¬
testanten; ihre Absicht ist, sich um Schutz und Beistand an Preußen zu wenden,
eine Personalunion der ungarischen und preußischen Krone anzubieten oder
dergleichen. Wenn sie abgewiesen werden, wollen sie sich Frankreich in die
Arme werfen.

Auch Rüstows gedenkt der Herzog. Der ist zu Garibaldi gegangen, um
sich eiuen militärischen Ruf zu erwerben und in der Hoffnung, demnächst als
roter Feldmarschall in Deutschland aufzutreten.

3. September. Um elf Uhr gemeinschaftliches Frühstück im Sälchen; der
Herzog bespricht Napoleons-III. klägliche Familienverhältnisse, die Abenteuer
der Prinzessin Mathilde u. s. w. Er gedenkt auch des Königs Jerome; mit
dem habe er stets sehr gern verkehrt, er sei ein verstündiger, gewissenhaft und
mild denkender alter Mann gewesen, stets bemüht, seinen Neffen Napoleon III.
zur Müßigung zu bewegen. Gegen den Herzog beklagte Jerome, daß Na¬
poleon III. Neigung habe, in die Übertreibungen seines Onkels, Napoleons I.,
zu verfallen 5 ant ii sse si supörisur. (So beurteilt der elende Jerome seinen
jedenfalls heldenhaften und großen Bruder.)

Unter Übergehung einer Anzahl interessanter, ihres großen Umfangs wegen
hier nicht mitteilbarer Korrespondenzen, in die der Herzog seinen Gast Einblick
nehmen ließ, wenden wir uns den letzten Tagen von Bernhardts Aufenthalt in
Reinhardsbrunn zu.

5. September. Beim Frühstück erzählt der Herzog aus Lissabon, wo er
zur Zeit der Königin Maria da Gloria öfter gewesen ist. Ein Pater Mario
(Mönch) war den Truppen Dom Petros mit dem Kreuz voran in die Haupt¬
stadt eingezogen, war dafür Kardinal geworden und eine privilegirte Person.


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

Zu wünschen wäre nun, daß die liberale Partei in unserm Parlament
Verminst annehme, nicht ein ohnmächtiges Zetergeschrei erhöbe über Dinge,
die sie nicht mehr ändern kann.

Der Herzog: Die Liberalen wollen aber im Gegenteil „einen Höllen¬
lärm" anfangen über die Militürfragen in der nächsten Sitzung.

Ich: meine Hoffnung war, die Herren würden sich nun durch einen
Aufenthalt von mehreren Monaten in den Provinzen überzeugt haben, daß
die öffentliche Meinung im allgemeinen entschieden für die Militärvorlagen
der Regierung ist. Jedenfalls kann der Lärm zu nichts führen, als zu einem
unseligen Bruch zwischen Regierung und Kammern, und der muß um jeden
Preis vermieden werden. Man müßte dahin arbeiten, daß die Leute Vernunft
annehmen. Noch ein andres macht mir Sorgen: daß, wie mir Herwcirth sagt,
der Fürst Hohenzollern vom Ministerium zurücktreten will, so wie der König
stirbt.

Der Herzog: Das sagt er immer; aber wir lassen ihn nicht gehen.

Er kommt auf Ungarn zurück; dessen Erhebung, die bevorsteht, wird ganz
eigentümliche Verlegenheiten herbeiführen. Die Ungarn sind zum Teil Pro¬
testanten; ihre Absicht ist, sich um Schutz und Beistand an Preußen zu wenden,
eine Personalunion der ungarischen und preußischen Krone anzubieten oder
dergleichen. Wenn sie abgewiesen werden, wollen sie sich Frankreich in die
Arme werfen.

Auch Rüstows gedenkt der Herzog. Der ist zu Garibaldi gegangen, um
sich eiuen militärischen Ruf zu erwerben und in der Hoffnung, demnächst als
roter Feldmarschall in Deutschland aufzutreten.

3. September. Um elf Uhr gemeinschaftliches Frühstück im Sälchen; der
Herzog bespricht Napoleons-III. klägliche Familienverhältnisse, die Abenteuer
der Prinzessin Mathilde u. s. w. Er gedenkt auch des Königs Jerome; mit
dem habe er stets sehr gern verkehrt, er sei ein verstündiger, gewissenhaft und
mild denkender alter Mann gewesen, stets bemüht, seinen Neffen Napoleon III.
zur Müßigung zu bewegen. Gegen den Herzog beklagte Jerome, daß Na¬
poleon III. Neigung habe, in die Übertreibungen seines Onkels, Napoleons I.,
zu verfallen 5 ant ii sse si supörisur. (So beurteilt der elende Jerome seinen
jedenfalls heldenhaften und großen Bruder.)

Unter Übergehung einer Anzahl interessanter, ihres großen Umfangs wegen
hier nicht mitteilbarer Korrespondenzen, in die der Herzog seinen Gast Einblick
nehmen ließ, wenden wir uns den letzten Tagen von Bernhardts Aufenthalt in
Reinhardsbrunn zu.

5. September. Beim Frühstück erzählt der Herzog aus Lissabon, wo er
zur Zeit der Königin Maria da Gloria öfter gewesen ist. Ein Pater Mario
(Mönch) war den Truppen Dom Petros mit dem Kreuz voran in die Haupt¬
stadt eingezogen, war dafür Kardinal geworden und eine privilegirte Person.


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[0564] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis Zu wünschen wäre nun, daß die liberale Partei in unserm Parlament Verminst annehme, nicht ein ohnmächtiges Zetergeschrei erhöbe über Dinge, die sie nicht mehr ändern kann. Der Herzog: Die Liberalen wollen aber im Gegenteil „einen Höllen¬ lärm" anfangen über die Militürfragen in der nächsten Sitzung. Ich: meine Hoffnung war, die Herren würden sich nun durch einen Aufenthalt von mehreren Monaten in den Provinzen überzeugt haben, daß die öffentliche Meinung im allgemeinen entschieden für die Militärvorlagen der Regierung ist. Jedenfalls kann der Lärm zu nichts führen, als zu einem unseligen Bruch zwischen Regierung und Kammern, und der muß um jeden Preis vermieden werden. Man müßte dahin arbeiten, daß die Leute Vernunft annehmen. Noch ein andres macht mir Sorgen: daß, wie mir Herwcirth sagt, der Fürst Hohenzollern vom Ministerium zurücktreten will, so wie der König stirbt. Der Herzog: Das sagt er immer; aber wir lassen ihn nicht gehen. Er kommt auf Ungarn zurück; dessen Erhebung, die bevorsteht, wird ganz eigentümliche Verlegenheiten herbeiführen. Die Ungarn sind zum Teil Pro¬ testanten; ihre Absicht ist, sich um Schutz und Beistand an Preußen zu wenden, eine Personalunion der ungarischen und preußischen Krone anzubieten oder dergleichen. Wenn sie abgewiesen werden, wollen sie sich Frankreich in die Arme werfen. Auch Rüstows gedenkt der Herzog. Der ist zu Garibaldi gegangen, um sich eiuen militärischen Ruf zu erwerben und in der Hoffnung, demnächst als roter Feldmarschall in Deutschland aufzutreten. 3. September. Um elf Uhr gemeinschaftliches Frühstück im Sälchen; der Herzog bespricht Napoleons-III. klägliche Familienverhältnisse, die Abenteuer der Prinzessin Mathilde u. s. w. Er gedenkt auch des Königs Jerome; mit dem habe er stets sehr gern verkehrt, er sei ein verstündiger, gewissenhaft und mild denkender alter Mann gewesen, stets bemüht, seinen Neffen Napoleon III. zur Müßigung zu bewegen. Gegen den Herzog beklagte Jerome, daß Na¬ poleon III. Neigung habe, in die Übertreibungen seines Onkels, Napoleons I., zu verfallen 5 ant ii sse si supörisur. (So beurteilt der elende Jerome seinen jedenfalls heldenhaften und großen Bruder.) Unter Übergehung einer Anzahl interessanter, ihres großen Umfangs wegen hier nicht mitteilbarer Korrespondenzen, in die der Herzog seinen Gast Einblick nehmen ließ, wenden wir uns den letzten Tagen von Bernhardts Aufenthalt in Reinhardsbrunn zu. 5. September. Beim Frühstück erzählt der Herzog aus Lissabon, wo er zur Zeit der Königin Maria da Gloria öfter gewesen ist. Ein Pater Mario (Mönch) war den Truppen Dom Petros mit dem Kreuz voran in die Haupt¬ stadt eingezogen, war dafür Kardinal geworden und eine privilegirte Person.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/564>, abgerufen am 23.07.2024.