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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Treskow einen Zwölfender, Leiningen gar einen Sechzehnender. Das war
eigentlich gegen die Hausordnung. Ein Achtender wird von den Jägern und
Forstleuten des Herzogs herkömmlich ein "Kavalierhirsch" genannt, wie mich
Herr von Meyern belehrt, weil stillschweigend angenommen wird, das; die
"Kavaliere," die der Herzog mitnimmt auf die Jagd, nur Achtender schießen,
größere Hirsche aber vorbeilassen. Die größern nämlich wünscht der Herzog
selbst zu schießen. Aber weder Leiningen noch Treskow hatte je früher einen
Hirsch geschossen; es war für jeden von ihnen der erste Hirsch; da hatten sie
der Versuchung nicht widerstehen können.

Diner bei Licht. Ich sitze dem Herzog schräg gegenüber neben B. Auer-
bach. Diskussion mit Fräulein Thümmel, die nicht weit von mir sitzt. Sie
hatte schon neulich -- ich weiß nicht mehr von wem -- gesagt, er sei ein sehr
geistreicher Mensch; ich hatte das zugegeben, aber hinzugefügt: "man ist aber
sehr wenig, wenn man ein geistreicher Mensch ist," und daß der eigentliche
Wert des Menschen auf dem Charakter beruhe. Fräulein von Thümmel wollte
sich nicht überzeugen lassen und fügte unendlich schöne Sachen hinzu. Da sie
jetzt die Diskussion erneuerte, zog ich B. Auerbach hinein -- auch der Herzog
mischte sich hinein --, beide waren entschieden meiner Meinung. Da erklärte
Fräulein von Thümmel: drei Männern gegenüber müsse sie freilich ihre An¬
sicht aufgeben u. f. w.

Sehr heiterer Kaffee bei Licht im Blumengarten, wo B. Auerbach die
ganze Herrenwelt um sich versammelt und durch manches geistreiche Wort ent¬
zückt. Im Salon der Herzogin erscheint als Besuch Madame Leukert, geborne
Fürstin Hohenlohe aus Schlesien, die einen Maler geheiratet hat. Partie
Whist mit dem Herzog und Hatzfeldt. Der letztere reist ab nach Schlesien,
sämtliche Herren begleiten ihn an den Wagen. Er giebt mir Rendezvous auf
dem Fürstenstein, hat sich also entschlossen, zu kommen; das ist wohl einiger¬
maßen mein Verdienst.

11. August. Wieder herrliches Wetter. Frühstück im Freien, etwas
früher als gewöhnlich. Aufbruch zur Jagd. Der Herzog reitet einen hoch-
edeln arabischen Schimmel, den sein Bruder Albert in Damaskus für ihn hat
ankaufen lassen. Ein gar schönes Tier, das ich mir genau betrachte. (Wir
züchten auch in Europa schöne Pferde, die sich in jeder Beziehung mit dem
Araber messen dürfen: nur den schönen Kopf des Arabers hat kein europäisches
Pferd. Ich betrachte mir heute genau, worin der Unterschied liegt: abgesehen
vom Auge sind es die starken, weit offnen Nüstern, die den Kopf des Arabers
so schön machen. Das englische und deutsche Vollblutpferd hat mehr geschlossene,
gleichsam glattgedrückte Nüstern; dadurch wird der Kontur des untern Teils
des Kopfes verdorben.) Leiningen folgt in einem leichten Jagdphaethon mit
vier stattlichen, edeln Pferden. Wie sich der Zug durch den schönen Park in
Bewegung setzt -- die Herzogin im zierlichen Ponyphaethon folgt --, schaudert


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Treskow einen Zwölfender, Leiningen gar einen Sechzehnender. Das war
eigentlich gegen die Hausordnung. Ein Achtender wird von den Jägern und
Forstleuten des Herzogs herkömmlich ein „Kavalierhirsch" genannt, wie mich
Herr von Meyern belehrt, weil stillschweigend angenommen wird, das; die
„Kavaliere," die der Herzog mitnimmt auf die Jagd, nur Achtender schießen,
größere Hirsche aber vorbeilassen. Die größern nämlich wünscht der Herzog
selbst zu schießen. Aber weder Leiningen noch Treskow hatte je früher einen
Hirsch geschossen; es war für jeden von ihnen der erste Hirsch; da hatten sie
der Versuchung nicht widerstehen können.

Diner bei Licht. Ich sitze dem Herzog schräg gegenüber neben B. Auer-
bach. Diskussion mit Fräulein Thümmel, die nicht weit von mir sitzt. Sie
hatte schon neulich — ich weiß nicht mehr von wem — gesagt, er sei ein sehr
geistreicher Mensch; ich hatte das zugegeben, aber hinzugefügt: „man ist aber
sehr wenig, wenn man ein geistreicher Mensch ist," und daß der eigentliche
Wert des Menschen auf dem Charakter beruhe. Fräulein von Thümmel wollte
sich nicht überzeugen lassen und fügte unendlich schöne Sachen hinzu. Da sie
jetzt die Diskussion erneuerte, zog ich B. Auerbach hinein — auch der Herzog
mischte sich hinein —, beide waren entschieden meiner Meinung. Da erklärte
Fräulein von Thümmel: drei Männern gegenüber müsse sie freilich ihre An¬
sicht aufgeben u. f. w.

Sehr heiterer Kaffee bei Licht im Blumengarten, wo B. Auerbach die
ganze Herrenwelt um sich versammelt und durch manches geistreiche Wort ent¬
zückt. Im Salon der Herzogin erscheint als Besuch Madame Leukert, geborne
Fürstin Hohenlohe aus Schlesien, die einen Maler geheiratet hat. Partie
Whist mit dem Herzog und Hatzfeldt. Der letztere reist ab nach Schlesien,
sämtliche Herren begleiten ihn an den Wagen. Er giebt mir Rendezvous auf
dem Fürstenstein, hat sich also entschlossen, zu kommen; das ist wohl einiger¬
maßen mein Verdienst.

11. August. Wieder herrliches Wetter. Frühstück im Freien, etwas
früher als gewöhnlich. Aufbruch zur Jagd. Der Herzog reitet einen hoch-
edeln arabischen Schimmel, den sein Bruder Albert in Damaskus für ihn hat
ankaufen lassen. Ein gar schönes Tier, das ich mir genau betrachte. (Wir
züchten auch in Europa schöne Pferde, die sich in jeder Beziehung mit dem
Araber messen dürfen: nur den schönen Kopf des Arabers hat kein europäisches
Pferd. Ich betrachte mir heute genau, worin der Unterschied liegt: abgesehen
vom Auge sind es die starken, weit offnen Nüstern, die den Kopf des Arabers
so schön machen. Das englische und deutsche Vollblutpferd hat mehr geschlossene,
gleichsam glattgedrückte Nüstern; dadurch wird der Kontur des untern Teils
des Kopfes verdorben.) Leiningen folgt in einem leichten Jagdphaethon mit
vier stattlichen, edeln Pferden. Wie sich der Zug durch den schönen Park in
Bewegung setzt — die Herzogin im zierlichen Ponyphaethon folgt —, schaudert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/553>, abgerufen am 23.07.2024.