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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Fahrt durch das erziehungsberühmte Schnepfenthal nach Waltershausen,
wo wir eine große Spiclwaren (Spielsachen)-Fabrik besuchen, die nicht weniger
abwerfen soll, als die zu Sonneberg am südlichen Abhang des Thüringer
Waldes. Es wird allerhand gekauft.

Wir fahren durch den Wald hinauf bis zu einem Fußpfade, dann zu Fuß
hinauf nach Schloß Tenneberg, dem ehemaligen Witwensitz der Herzoginnen
von Gotha. Der schönen Aussicht können wir uns nicht erfreuen; die Zimmer,
die sie beherrschen, sind vom Landrat bewohnt. Zu Fuß an Berglehnen durch
den Wald dahin zurück nach Reinhardsbrunn.

Berthold Auerbach feiert hier wahre Triumphe; er hat einen ungemeinen
8ne,o"8: seine kleine Gestalt ist längst vollständig vergessen. Niemand denkt
mehr daran. Die Herren tragen ihn auf Händen, die Damen schwärmen für
ihn. Das ist anch ganz natürlich; denn er ist wirklich einer der liebens¬
würdigsten Menschen, die mir je begegnet sind.

Wie wir zurück sind in Reinhardsbrunn, fordert er mich auf, mit ihm
allein durch die Anlagen zu wandeln, denn in größerer Gesellschaft habe
man doch nichts von einander. Er geht mit mir nun wie mit einem alten
Freunde.

Wir gehen da erst mit Fräulein Thümmel, dann allein umher, begegnen
seinem Schwiegervater, dem Bankier Schneider aus Breslciu, und B. Auer-
bachs zehnjährigen Sohn, die im Gasthof wohnen. Allein vielerlei besprochen,
Litteratur, Auerbachs eigne Werke. Er sagt, daß die gewaltsame Überspannung,
die er in der Litteratur vorherrschend gefunden, ihn darauf geführt habe, auf
die einfachsten Verhältnisse und Zustände zurückzugehen, um sie zur Geltung
zu bringen. Ich sage: wenn man in reifern Jahren den Großmeister dieser
Weltschmerzschule, Lord Byron, wieder zur Hand nimmt, erstaunt man darüber,
wie hohl auch der ist!

Jetziger gesunkener Zustand der deutschen Litteratur; mir macht es immer
einen befremdlichen Eindruck, ich kann mich nicht hineinfinden, wenn ich in
Zeitschriften u. s. w. lange Artikel finde, in denen von Gutzkow, Hebbel, Prutz
und all den Leuten die Rede ist, ganz ernsthaft, als wären sie alle mit
einander wirklich etwas, als wäre das, was sie zu Tage fördern, wirklich eine
Litteratur und überhaupt der Rede wert. Auerbach meint: die Leute wissen
alle recht gut, daß sie "ruhmgeschmückt" sind, d. h. daß ihr ganzer Ruhm
künstlich gemacht und in der That nichts dahinter ist.

Auch von meinen Studien ist die Rede; ich sage unter anderm: wer Ge¬
schichte mit Ernst und Wahrheit zu erforschen sucht, der überzeugt sich davon,
daß in dieser Welt nichts so selten ist als eine That! Das frappirt ihn,
besonders da ich den Gedanken weiter ausführe.

Die Jäger kommen spät nach Haus. Der Herzog hat nichts geschossen,
Wohl aber haben Treskow und Fürst Leiningen jeder einen Hirsch geschossen;


Fahrt durch das erziehungsberühmte Schnepfenthal nach Waltershausen,
wo wir eine große Spiclwaren (Spielsachen)-Fabrik besuchen, die nicht weniger
abwerfen soll, als die zu Sonneberg am südlichen Abhang des Thüringer
Waldes. Es wird allerhand gekauft.

Wir fahren durch den Wald hinauf bis zu einem Fußpfade, dann zu Fuß
hinauf nach Schloß Tenneberg, dem ehemaligen Witwensitz der Herzoginnen
von Gotha. Der schönen Aussicht können wir uns nicht erfreuen; die Zimmer,
die sie beherrschen, sind vom Landrat bewohnt. Zu Fuß an Berglehnen durch
den Wald dahin zurück nach Reinhardsbrunn.

Berthold Auerbach feiert hier wahre Triumphe; er hat einen ungemeinen
8ne,o«8: seine kleine Gestalt ist längst vollständig vergessen. Niemand denkt
mehr daran. Die Herren tragen ihn auf Händen, die Damen schwärmen für
ihn. Das ist anch ganz natürlich; denn er ist wirklich einer der liebens¬
würdigsten Menschen, die mir je begegnet sind.

Wie wir zurück sind in Reinhardsbrunn, fordert er mich auf, mit ihm
allein durch die Anlagen zu wandeln, denn in größerer Gesellschaft habe
man doch nichts von einander. Er geht mit mir nun wie mit einem alten
Freunde.

Wir gehen da erst mit Fräulein Thümmel, dann allein umher, begegnen
seinem Schwiegervater, dem Bankier Schneider aus Breslciu, und B. Auer-
bachs zehnjährigen Sohn, die im Gasthof wohnen. Allein vielerlei besprochen,
Litteratur, Auerbachs eigne Werke. Er sagt, daß die gewaltsame Überspannung,
die er in der Litteratur vorherrschend gefunden, ihn darauf geführt habe, auf
die einfachsten Verhältnisse und Zustände zurückzugehen, um sie zur Geltung
zu bringen. Ich sage: wenn man in reifern Jahren den Großmeister dieser
Weltschmerzschule, Lord Byron, wieder zur Hand nimmt, erstaunt man darüber,
wie hohl auch der ist!

Jetziger gesunkener Zustand der deutschen Litteratur; mir macht es immer
einen befremdlichen Eindruck, ich kann mich nicht hineinfinden, wenn ich in
Zeitschriften u. s. w. lange Artikel finde, in denen von Gutzkow, Hebbel, Prutz
und all den Leuten die Rede ist, ganz ernsthaft, als wären sie alle mit
einander wirklich etwas, als wäre das, was sie zu Tage fördern, wirklich eine
Litteratur und überhaupt der Rede wert. Auerbach meint: die Leute wissen
alle recht gut, daß sie „ruhmgeschmückt" sind, d. h. daß ihr ganzer Ruhm
künstlich gemacht und in der That nichts dahinter ist.

Auch von meinen Studien ist die Rede; ich sage unter anderm: wer Ge¬
schichte mit Ernst und Wahrheit zu erforschen sucht, der überzeugt sich davon,
daß in dieser Welt nichts so selten ist als eine That! Das frappirt ihn,
besonders da ich den Gedanken weiter ausführe.

Die Jäger kommen spät nach Haus. Der Herzog hat nichts geschossen,
Wohl aber haben Treskow und Fürst Leiningen jeder einen Hirsch geschossen;


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[0552] Fahrt durch das erziehungsberühmte Schnepfenthal nach Waltershausen, wo wir eine große Spiclwaren (Spielsachen)-Fabrik besuchen, die nicht weniger abwerfen soll, als die zu Sonneberg am südlichen Abhang des Thüringer Waldes. Es wird allerhand gekauft. Wir fahren durch den Wald hinauf bis zu einem Fußpfade, dann zu Fuß hinauf nach Schloß Tenneberg, dem ehemaligen Witwensitz der Herzoginnen von Gotha. Der schönen Aussicht können wir uns nicht erfreuen; die Zimmer, die sie beherrschen, sind vom Landrat bewohnt. Zu Fuß an Berglehnen durch den Wald dahin zurück nach Reinhardsbrunn. Berthold Auerbach feiert hier wahre Triumphe; er hat einen ungemeinen 8ne,o«8: seine kleine Gestalt ist längst vollständig vergessen. Niemand denkt mehr daran. Die Herren tragen ihn auf Händen, die Damen schwärmen für ihn. Das ist anch ganz natürlich; denn er ist wirklich einer der liebens¬ würdigsten Menschen, die mir je begegnet sind. Wie wir zurück sind in Reinhardsbrunn, fordert er mich auf, mit ihm allein durch die Anlagen zu wandeln, denn in größerer Gesellschaft habe man doch nichts von einander. Er geht mit mir nun wie mit einem alten Freunde. Wir gehen da erst mit Fräulein Thümmel, dann allein umher, begegnen seinem Schwiegervater, dem Bankier Schneider aus Breslciu, und B. Auer- bachs zehnjährigen Sohn, die im Gasthof wohnen. Allein vielerlei besprochen, Litteratur, Auerbachs eigne Werke. Er sagt, daß die gewaltsame Überspannung, die er in der Litteratur vorherrschend gefunden, ihn darauf geführt habe, auf die einfachsten Verhältnisse und Zustände zurückzugehen, um sie zur Geltung zu bringen. Ich sage: wenn man in reifern Jahren den Großmeister dieser Weltschmerzschule, Lord Byron, wieder zur Hand nimmt, erstaunt man darüber, wie hohl auch der ist! Jetziger gesunkener Zustand der deutschen Litteratur; mir macht es immer einen befremdlichen Eindruck, ich kann mich nicht hineinfinden, wenn ich in Zeitschriften u. s. w. lange Artikel finde, in denen von Gutzkow, Hebbel, Prutz und all den Leuten die Rede ist, ganz ernsthaft, als wären sie alle mit einander wirklich etwas, als wäre das, was sie zu Tage fördern, wirklich eine Litteratur und überhaupt der Rede wert. Auerbach meint: die Leute wissen alle recht gut, daß sie „ruhmgeschmückt" sind, d. h. daß ihr ganzer Ruhm künstlich gemacht und in der That nichts dahinter ist. Auch von meinen Studien ist die Rede; ich sage unter anderm: wer Ge¬ schichte mit Ernst und Wahrheit zu erforschen sucht, der überzeugt sich davon, daß in dieser Welt nichts so selten ist als eine That! Das frappirt ihn, besonders da ich den Gedanken weiter ausführe. Die Jäger kommen spät nach Haus. Der Herzog hat nichts geschossen, Wohl aber haben Treskow und Fürst Leiningen jeder einen Hirsch geschossen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/552>, abgerufen am 23.07.2024.