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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Handlungen des obersten Führers der Nation, alle Völker starr, teils betroffen,
teils hingerissen von solchen nie dagewesenen Großthaten! Überall der Deutsche
angestaunt, den Kopf stolz erhebend, ein großes wundervoll bewährtes Volk
von starker Mannheit! Der erste Rausch der Freude, der Begeisterung, mit
dem die großen Ereignisse die Volksseele erfüllten, mußte ja nach ewigen Ge¬
setzen der Nüchternheit weichen. Aber was nicht dahinzuschwinden brauchte,
was sich nicht als leer und vergänglich erweisen durfte, das war das sichere
männliche Gefühl der eignen Kraft und Stärke, der mit so großen Opfern
und Thaten errungncn Stellung in der Welt. Statt dessen begann aber
nach wenigen Jahren das unselige Friedensgejammcr und das sentimentale
Versöhnungsucheu gegenüber unversöhnlichen Erbfeinden. Jeder Franzose des
schmeichelhaftesten Empfangs in Berlin sicher, während anstündige Deutsche in
Frankreich von der Presse, vom Volke, von den Behörden malträtirt werden,
und selbst die Kaiserin Friedrich durch den mit Insulten drohenden Pöbel ge¬
nötigt wird, ihren Aufenthalt in Paris abzukürzen. Ferner das jahrelang
fortgesetzte Fragen und Forschen, ob es dem wohlbeleibten Zaren wohl ge¬
fallen werde, den Besuch des deutscheu Kaisers -- auch nur gelegentlich und
in Form eines nebensächlichen Abstechers von der Hauptroute -- zu er¬
widern ! Ohne Unterlaß in Frankreich offen von der Regierung geduldete
Agitationen und Organisationen zur Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen.
Wie kommt es, fragt sich der gute Deutsche, daß das die Feinde wagen
können und dürfen? Haben wir die Schläge bekommen, und müssen
wir nun Hohn, Spott und Großsprecherei schweigend über uns ergehen
lassen? Müssen wir mit gesenktem Blick und gedrückter Miene umher¬
gehen und leisetreten, wo unsre Väter mit dem Liede: "Es braust ein Ruf
wie Donnerhall!" dem Feinde entgegentraten? Haben wir alle Opfer an
Gut und Blut gebracht und sollen wir immer weitere Opfer für das Militär
bringen, nur damit dies das erbärmliche, niederdrückende Ergebnis sei? Nein,
nein und abermals nein! Es gefällt dem Deutschen uicht, der gar uicht ein so
armseliger Friedensduckmäuscr ist, als wie er oft von Leuten, die die Volks¬
seele nicht kennen, hingestellt wird. Fände man doch nur oben einmal das
rechte Wort, den rechten Ton, ein stolzes Wort, einen kräftigen mannhaften
Ton, wie würde das einschlagen, wie würden sich alle, das ganze Volk, vor
allein die Jugend, wie ein Mann erheben! Man denke doch an den Be¬
geisterungssturm, der sich im deutscheu Reichstage, im deutschen Volke beim
Ausbruch des Krieges 1870 erhob! Welch ein Fingerzeig war nach dieser
Richtung die allgemeine Zustimmung und Vegeistrnng, die gelegentliche Worte
Bismarcks, wie: "Wir Deutschen fürchten Gott und sonst niemanden," oder
"Der Appell an die Furcht wird in deutschen Herzen nie ein Echo finden,"^)



^) Früher schon sagte Fritz Reuter im Anfang der "Franzosentied" von dem alten

Handlungen des obersten Führers der Nation, alle Völker starr, teils betroffen,
teils hingerissen von solchen nie dagewesenen Großthaten! Überall der Deutsche
angestaunt, den Kopf stolz erhebend, ein großes wundervoll bewährtes Volk
von starker Mannheit! Der erste Rausch der Freude, der Begeisterung, mit
dem die großen Ereignisse die Volksseele erfüllten, mußte ja nach ewigen Ge¬
setzen der Nüchternheit weichen. Aber was nicht dahinzuschwinden brauchte,
was sich nicht als leer und vergänglich erweisen durfte, das war das sichere
männliche Gefühl der eignen Kraft und Stärke, der mit so großen Opfern
und Thaten errungncn Stellung in der Welt. Statt dessen begann aber
nach wenigen Jahren das unselige Friedensgejammcr und das sentimentale
Versöhnungsucheu gegenüber unversöhnlichen Erbfeinden. Jeder Franzose des
schmeichelhaftesten Empfangs in Berlin sicher, während anstündige Deutsche in
Frankreich von der Presse, vom Volke, von den Behörden malträtirt werden,
und selbst die Kaiserin Friedrich durch den mit Insulten drohenden Pöbel ge¬
nötigt wird, ihren Aufenthalt in Paris abzukürzen. Ferner das jahrelang
fortgesetzte Fragen und Forschen, ob es dem wohlbeleibten Zaren wohl ge¬
fallen werde, den Besuch des deutscheu Kaisers — auch nur gelegentlich und
in Form eines nebensächlichen Abstechers von der Hauptroute — zu er¬
widern ! Ohne Unterlaß in Frankreich offen von der Regierung geduldete
Agitationen und Organisationen zur Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen.
Wie kommt es, fragt sich der gute Deutsche, daß das die Feinde wagen
können und dürfen? Haben wir die Schläge bekommen, und müssen
wir nun Hohn, Spott und Großsprecherei schweigend über uns ergehen
lassen? Müssen wir mit gesenktem Blick und gedrückter Miene umher¬
gehen und leisetreten, wo unsre Väter mit dem Liede: „Es braust ein Ruf
wie Donnerhall!" dem Feinde entgegentraten? Haben wir alle Opfer an
Gut und Blut gebracht und sollen wir immer weitere Opfer für das Militär
bringen, nur damit dies das erbärmliche, niederdrückende Ergebnis sei? Nein,
nein und abermals nein! Es gefällt dem Deutschen uicht, der gar uicht ein so
armseliger Friedensduckmäuscr ist, als wie er oft von Leuten, die die Volks¬
seele nicht kennen, hingestellt wird. Fände man doch nur oben einmal das
rechte Wort, den rechten Ton, ein stolzes Wort, einen kräftigen mannhaften
Ton, wie würde das einschlagen, wie würden sich alle, das ganze Volk, vor
allein die Jugend, wie ein Mann erheben! Man denke doch an den Be¬
geisterungssturm, der sich im deutscheu Reichstage, im deutschen Volke beim
Ausbruch des Krieges 1870 erhob! Welch ein Fingerzeig war nach dieser
Richtung die allgemeine Zustimmung und Vegeistrnng, die gelegentliche Worte
Bismarcks, wie: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst niemanden," oder
„Der Appell an die Furcht wird in deutschen Herzen nie ein Echo finden,"^)



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[0541] Handlungen des obersten Führers der Nation, alle Völker starr, teils betroffen, teils hingerissen von solchen nie dagewesenen Großthaten! Überall der Deutsche angestaunt, den Kopf stolz erhebend, ein großes wundervoll bewährtes Volk von starker Mannheit! Der erste Rausch der Freude, der Begeisterung, mit dem die großen Ereignisse die Volksseele erfüllten, mußte ja nach ewigen Ge¬ setzen der Nüchternheit weichen. Aber was nicht dahinzuschwinden brauchte, was sich nicht als leer und vergänglich erweisen durfte, das war das sichere männliche Gefühl der eignen Kraft und Stärke, der mit so großen Opfern und Thaten errungncn Stellung in der Welt. Statt dessen begann aber nach wenigen Jahren das unselige Friedensgejammcr und das sentimentale Versöhnungsucheu gegenüber unversöhnlichen Erbfeinden. Jeder Franzose des schmeichelhaftesten Empfangs in Berlin sicher, während anstündige Deutsche in Frankreich von der Presse, vom Volke, von den Behörden malträtirt werden, und selbst die Kaiserin Friedrich durch den mit Insulten drohenden Pöbel ge¬ nötigt wird, ihren Aufenthalt in Paris abzukürzen. Ferner das jahrelang fortgesetzte Fragen und Forschen, ob es dem wohlbeleibten Zaren wohl ge¬ fallen werde, den Besuch des deutscheu Kaisers — auch nur gelegentlich und in Form eines nebensächlichen Abstechers von der Hauptroute — zu er¬ widern ! Ohne Unterlaß in Frankreich offen von der Regierung geduldete Agitationen und Organisationen zur Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen. Wie kommt es, fragt sich der gute Deutsche, daß das die Feinde wagen können und dürfen? Haben wir die Schläge bekommen, und müssen wir nun Hohn, Spott und Großsprecherei schweigend über uns ergehen lassen? Müssen wir mit gesenktem Blick und gedrückter Miene umher¬ gehen und leisetreten, wo unsre Väter mit dem Liede: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall!" dem Feinde entgegentraten? Haben wir alle Opfer an Gut und Blut gebracht und sollen wir immer weitere Opfer für das Militär bringen, nur damit dies das erbärmliche, niederdrückende Ergebnis sei? Nein, nein und abermals nein! Es gefällt dem Deutschen uicht, der gar uicht ein so armseliger Friedensduckmäuscr ist, als wie er oft von Leuten, die die Volks¬ seele nicht kennen, hingestellt wird. Fände man doch nur oben einmal das rechte Wort, den rechten Ton, ein stolzes Wort, einen kräftigen mannhaften Ton, wie würde das einschlagen, wie würden sich alle, das ganze Volk, vor allein die Jugend, wie ein Mann erheben! Man denke doch an den Be¬ geisterungssturm, der sich im deutscheu Reichstage, im deutschen Volke beim Ausbruch des Krieges 1870 erhob! Welch ein Fingerzeig war nach dieser Richtung die allgemeine Zustimmung und Vegeistrnng, die gelegentliche Worte Bismarcks, wie: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst niemanden," oder „Der Appell an die Furcht wird in deutschen Herzen nie ein Echo finden,"^) ^) Früher schon sagte Fritz Reuter im Anfang der „Franzosentied" von dem alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/541>, abgerufen am 23.07.2024.