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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Endlich noch ein Wort über Museen und Bilder. Kein Mensch wird
behaupten wollen, in Berlin, Dresden, München verstünden die kleinen Leute
mehr von Kunst als anderswo in Deutschland. Und doch haben diese die
schönsten Galerien in ihren Städten stehen und laufen Sonntags auch drin
herum, freilich mit sonderbar bedrückten Gesichtern; denn die-Menge des Ge-
bvtnen hilft zunächst gar nichts, ja sie ist für den Beginn geradezu schädlich.
Nein, in das Verständnis dringt man viel eher ein, wenn einem die Sehn¬
sucht, der Hunger zu sehen, dazu hilft, wenn man damit anfangen muß, an
ein paar Photographien oder Stichen und vielleicht ein paar vereinzelten
Bildern zweiten und dritten Ranges zu studiren, und wenn dann erst, nach
der Entbehrung, den entzückten Augen sich die erhabnen Meisterwerke der Kunst
nach und nach enthüllen; dann wird dem langen Bemühen und Sehnen auch
das Verständnis zum Lohne. Wir meinen hier natürlich die große italienische
und daneben die ältere deutsche Kunst. Mit den Niederländern kann sich
schon der Gymnasiast befreunden, bald auch mit den Flandrern, er kaun
auch schon den Abscheu vor Rubens verlieren; er wird gerade bei den Nieder¬
ländern am ehesten davon abkommen, in allem nur schwer meßbare Stufen
in der Erreichung einuuddesselbeu Ideals zu sehen, wie das der Schüler so
gern thut, vielmehr hier am sichersten merken, was der Maler , gewollt
hat, und daß nicht aller Maler Ziele gleich waren. Und so werden ihm Nieder¬
länder und Vlamen eine gute Vorschule für die Italiener sein. Und wenn
man für deren Bekanntschaft einen Fingerzeig geben darf, so wären wir bei dem
Eindringen in die italienische Renaissance für die Methode des "Geschichts¬
unterrichts von hinten," uur dürften die Führer leine Kadettenlehrer sein.
Mit Cimabue und Giotto als Anfangsgründen und Guido Reni und Do-
menichino als Endpunkten des Verständnisses ist es nichts; nein, man fange
mit den Thumännern des siebzehnten Jahrhunderts an, und wenn es Albani
wäre, und dann über Veronese und Tizian aufwärts zu Raffaels Größe und
Lieblichkeit und dann zu Lionardo, jetzt auch zu Michelangelo und Signorelli,
zu Mantegna, und so immer weiter zurück; und ebenso in der Skulptur. Wenn
man mit Rossellino' und Verrvcchio oder mit der Brancaceikcipelle gut Freund
geworden ist, dann findet sich das Wiederabwärtssteigeu, das Verstäuduis der
"geschichtlichen Kunstentwicklung" ganz von selber dazu. Dem, der so weit
ist, gehen dann auch in alter deutscher und in altvlämischer oder, wie man sie
nennen sollte, burgundischcr Kunst Genüsse auf, die den meisten zeitlebens
verschlossen bleiben. Wir fänden also einen Reiseplan für Kunst und Museen
wie den folgenden gar nicht schlecht: zuerst studieren nach Springers Textbuch
und daneben nach den dazu gehörigen Bilderbogen oder, wenn mens haben
kann, nach Photographien; nach Dohmes Kunst und Künstlern, und zumal
nach Burckhardt, oder Wenns aus die mangelnde Befriedigung, auf den ver¬
bleibenden Hunger ankommen soll, nur immerzu nach Lübke. Dann mache mau


Endlich noch ein Wort über Museen und Bilder. Kein Mensch wird
behaupten wollen, in Berlin, Dresden, München verstünden die kleinen Leute
mehr von Kunst als anderswo in Deutschland. Und doch haben diese die
schönsten Galerien in ihren Städten stehen und laufen Sonntags auch drin
herum, freilich mit sonderbar bedrückten Gesichtern; denn die-Menge des Ge-
bvtnen hilft zunächst gar nichts, ja sie ist für den Beginn geradezu schädlich.
Nein, in das Verständnis dringt man viel eher ein, wenn einem die Sehn¬
sucht, der Hunger zu sehen, dazu hilft, wenn man damit anfangen muß, an
ein paar Photographien oder Stichen und vielleicht ein paar vereinzelten
Bildern zweiten und dritten Ranges zu studiren, und wenn dann erst, nach
der Entbehrung, den entzückten Augen sich die erhabnen Meisterwerke der Kunst
nach und nach enthüllen; dann wird dem langen Bemühen und Sehnen auch
das Verständnis zum Lohne. Wir meinen hier natürlich die große italienische
und daneben die ältere deutsche Kunst. Mit den Niederländern kann sich
schon der Gymnasiast befreunden, bald auch mit den Flandrern, er kaun
auch schon den Abscheu vor Rubens verlieren; er wird gerade bei den Nieder¬
ländern am ehesten davon abkommen, in allem nur schwer meßbare Stufen
in der Erreichung einuuddesselbeu Ideals zu sehen, wie das der Schüler so
gern thut, vielmehr hier am sichersten merken, was der Maler , gewollt
hat, und daß nicht aller Maler Ziele gleich waren. Und so werden ihm Nieder¬
länder und Vlamen eine gute Vorschule für die Italiener sein. Und wenn
man für deren Bekanntschaft einen Fingerzeig geben darf, so wären wir bei dem
Eindringen in die italienische Renaissance für die Methode des „Geschichts¬
unterrichts von hinten," uur dürften die Führer leine Kadettenlehrer sein.
Mit Cimabue und Giotto als Anfangsgründen und Guido Reni und Do-
menichino als Endpunkten des Verständnisses ist es nichts; nein, man fange
mit den Thumännern des siebzehnten Jahrhunderts an, und wenn es Albani
wäre, und dann über Veronese und Tizian aufwärts zu Raffaels Größe und
Lieblichkeit und dann zu Lionardo, jetzt auch zu Michelangelo und Signorelli,
zu Mantegna, und so immer weiter zurück; und ebenso in der Skulptur. Wenn
man mit Rossellino' und Verrvcchio oder mit der Brancaceikcipelle gut Freund
geworden ist, dann findet sich das Wiederabwärtssteigeu, das Verstäuduis der
„geschichtlichen Kunstentwicklung" ganz von selber dazu. Dem, der so weit
ist, gehen dann auch in alter deutscher und in altvlämischer oder, wie man sie
nennen sollte, burgundischcr Kunst Genüsse auf, die den meisten zeitlebens
verschlossen bleiben. Wir fänden also einen Reiseplan für Kunst und Museen
wie den folgenden gar nicht schlecht: zuerst studieren nach Springers Textbuch
und daneben nach den dazu gehörigen Bilderbogen oder, wenn mens haben
kann, nach Photographien; nach Dohmes Kunst und Künstlern, und zumal
nach Burckhardt, oder Wenns aus die mangelnde Befriedigung, auf den ver¬
bleibenden Hunger ankommen soll, nur immerzu nach Lübke. Dann mache mau


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[0533] Endlich noch ein Wort über Museen und Bilder. Kein Mensch wird behaupten wollen, in Berlin, Dresden, München verstünden die kleinen Leute mehr von Kunst als anderswo in Deutschland. Und doch haben diese die schönsten Galerien in ihren Städten stehen und laufen Sonntags auch drin herum, freilich mit sonderbar bedrückten Gesichtern; denn die-Menge des Ge- bvtnen hilft zunächst gar nichts, ja sie ist für den Beginn geradezu schädlich. Nein, in das Verständnis dringt man viel eher ein, wenn einem die Sehn¬ sucht, der Hunger zu sehen, dazu hilft, wenn man damit anfangen muß, an ein paar Photographien oder Stichen und vielleicht ein paar vereinzelten Bildern zweiten und dritten Ranges zu studiren, und wenn dann erst, nach der Entbehrung, den entzückten Augen sich die erhabnen Meisterwerke der Kunst nach und nach enthüllen; dann wird dem langen Bemühen und Sehnen auch das Verständnis zum Lohne. Wir meinen hier natürlich die große italienische und daneben die ältere deutsche Kunst. Mit den Niederländern kann sich schon der Gymnasiast befreunden, bald auch mit den Flandrern, er kaun auch schon den Abscheu vor Rubens verlieren; er wird gerade bei den Nieder¬ ländern am ehesten davon abkommen, in allem nur schwer meßbare Stufen in der Erreichung einuuddesselbeu Ideals zu sehen, wie das der Schüler so gern thut, vielmehr hier am sichersten merken, was der Maler , gewollt hat, und daß nicht aller Maler Ziele gleich waren. Und so werden ihm Nieder¬ länder und Vlamen eine gute Vorschule für die Italiener sein. Und wenn man für deren Bekanntschaft einen Fingerzeig geben darf, so wären wir bei dem Eindringen in die italienische Renaissance für die Methode des „Geschichts¬ unterrichts von hinten," uur dürften die Führer leine Kadettenlehrer sein. Mit Cimabue und Giotto als Anfangsgründen und Guido Reni und Do- menichino als Endpunkten des Verständnisses ist es nichts; nein, man fange mit den Thumännern des siebzehnten Jahrhunderts an, und wenn es Albani wäre, und dann über Veronese und Tizian aufwärts zu Raffaels Größe und Lieblichkeit und dann zu Lionardo, jetzt auch zu Michelangelo und Signorelli, zu Mantegna, und so immer weiter zurück; und ebenso in der Skulptur. Wenn man mit Rossellino' und Verrvcchio oder mit der Brancaceikcipelle gut Freund geworden ist, dann findet sich das Wiederabwärtssteigeu, das Verstäuduis der „geschichtlichen Kunstentwicklung" ganz von selber dazu. Dem, der so weit ist, gehen dann auch in alter deutscher und in altvlämischer oder, wie man sie nennen sollte, burgundischcr Kunst Genüsse auf, die den meisten zeitlebens verschlossen bleiben. Wir fänden also einen Reiseplan für Kunst und Museen wie den folgenden gar nicht schlecht: zuerst studieren nach Springers Textbuch und daneben nach den dazu gehörigen Bilderbogen oder, wenn mens haben kann, nach Photographien; nach Dohmes Kunst und Künstlern, und zumal nach Burckhardt, oder Wenns aus die mangelnde Befriedigung, auf den ver¬ bleibenden Hunger ankommen soll, nur immerzu nach Lübke. Dann mache mau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/533>, abgerufen am 23.07.2024.