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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

verhüllt, die sich aber unter der sinkenden Sonne in hatten Blan entschleiern.
Kurz, immer die Weite, nicht die Enge des Gebirgs ist es, was dauernd erfreut.
Die Freude an der Rheinebne und ihrer Schönheit haben wir in Baden und
an der hessischen Bergstraße bei Eingebornen nirgends äußern, auch kaum
zugeben hören und niemals Verständnis für die Sehnsucht gefunden, die über
das weite Land dahin der scheidenden Sonne nach nach Westen zieht. Der
Strom und die Ufer deS Oberrheins von Basel bis Mainz sind tvrra in-
ooAnitii. und werden geradezu als öde bezeichnet, vielleicht vermag nur der
niederdeutsche, der auch hier an die Poesie der geheimnisvollen Waldbäche
und libellennmschwirrten Wiesenflußufer seiner Heimat zurückdenkt, ihnen eine
gewisse Stimmung zu entlocken. So erwecken sie denn auch kein besondres In¬
teresse für die Ebene zwischen Schwarzwald und Vogesen, Odenwald und Haardt.
Überhaupt sind die scheinbar reicher von der Natur bedachten Gegenden in
manchem, was zu dem schönsten gehört, gar arm: die schwirrende Menge der
Schmetterlinge über Wiese und Kleefeld und am Waldesrand, das possirliche
Durcheinander von tausenderlei Wassergetier in Seen und Bächen, die Mannich-
faltigkeit der Vogelstimmen in Wald und Busch sind viel mehr Niederdeutsch¬
land als den Gegenden der deutschen Mittelgebirge und Hochebnen eigen.

Drum nochmals: zuerst in die Ebne mit den Jungen! Laßt sie sich
das schöne nnr suchen, sie finden es schon in jenen eigentümlichen drang¬
erfüllten Jahren. Und viel herrlicher noch schwebt ihnen dann das noch Un¬
bekannte vor: Gebirge, Burgen, historische Städte. Laßt sie sich immer das
eindrucksvollere aufheben, laßt sie nicht springen und fliegen, sondern schreiten.
Den ersten Touren in der Heimat mögen dann, je nach der Erreichbarkeit,
Ausflüge folgen nach Rügen, nach den westfälischen Waldgebirgen, an den
Rhein, in den Harz und den Thüringerwald, in die sächsische oder die frän¬
kische Schweiz, in die rauhe Alp und an den Bodensee, in den Schwarzwald
und in die Vogesen; den Odenwald, die Pfälzer Haardt, die Rhön und die
Eifel nicht zu vergessen. Schön ists überall, das Sehenkönnen, das Stimmung¬
finden, das Gegeudverstehen soll es ja thun, das ist es, was wir erwecken und be¬
wahren helfen möchten. Daneben her mögen dann die Städte gehen. Die
von historischer Berühmtheit brauchen wir nicht erst anzupreisen: wir denken
da an Augsburg, Würzburg, Bamberg, Rothenburg, Nürnberg und Regensburg,
an Prag, in den rheinischen Landen an Straßburg, Speier und Worms, Aachen
und Köln, an Limburg und Marburg, an Goslar, Braunschweig und Hildes¬
heim, oder Lübeck, Rostock, Strnlsund und -- wer dahin kommt -- Danzig.
Dagegen auf ein paar wahre Perlen alten Städtetums möchten wir doch nach¬
drücklich aufmerksam machen, wir meinen die Städtchen am östlichen Vogesen-
fuße, insbesondre Rappoltsweiler, Kaysersberg, Reichenweier, dann die am
württembergischen Neckar von Besigheim bis Rottweil hinauf, ferner Überlingen,
ferner fast all die alten kleinen Städte in den altbairischen und den bairisch


Allerlei vom Reisen

verhüllt, die sich aber unter der sinkenden Sonne in hatten Blan entschleiern.
Kurz, immer die Weite, nicht die Enge des Gebirgs ist es, was dauernd erfreut.
Die Freude an der Rheinebne und ihrer Schönheit haben wir in Baden und
an der hessischen Bergstraße bei Eingebornen nirgends äußern, auch kaum
zugeben hören und niemals Verständnis für die Sehnsucht gefunden, die über
das weite Land dahin der scheidenden Sonne nach nach Westen zieht. Der
Strom und die Ufer deS Oberrheins von Basel bis Mainz sind tvrra in-
ooAnitii. und werden geradezu als öde bezeichnet, vielleicht vermag nur der
niederdeutsche, der auch hier an die Poesie der geheimnisvollen Waldbäche
und libellennmschwirrten Wiesenflußufer seiner Heimat zurückdenkt, ihnen eine
gewisse Stimmung zu entlocken. So erwecken sie denn auch kein besondres In¬
teresse für die Ebene zwischen Schwarzwald und Vogesen, Odenwald und Haardt.
Überhaupt sind die scheinbar reicher von der Natur bedachten Gegenden in
manchem, was zu dem schönsten gehört, gar arm: die schwirrende Menge der
Schmetterlinge über Wiese und Kleefeld und am Waldesrand, das possirliche
Durcheinander von tausenderlei Wassergetier in Seen und Bächen, die Mannich-
faltigkeit der Vogelstimmen in Wald und Busch sind viel mehr Niederdeutsch¬
land als den Gegenden der deutschen Mittelgebirge und Hochebnen eigen.

Drum nochmals: zuerst in die Ebne mit den Jungen! Laßt sie sich
das schöne nnr suchen, sie finden es schon in jenen eigentümlichen drang¬
erfüllten Jahren. Und viel herrlicher noch schwebt ihnen dann das noch Un¬
bekannte vor: Gebirge, Burgen, historische Städte. Laßt sie sich immer das
eindrucksvollere aufheben, laßt sie nicht springen und fliegen, sondern schreiten.
Den ersten Touren in der Heimat mögen dann, je nach der Erreichbarkeit,
Ausflüge folgen nach Rügen, nach den westfälischen Waldgebirgen, an den
Rhein, in den Harz und den Thüringerwald, in die sächsische oder die frän¬
kische Schweiz, in die rauhe Alp und an den Bodensee, in den Schwarzwald
und in die Vogesen; den Odenwald, die Pfälzer Haardt, die Rhön und die
Eifel nicht zu vergessen. Schön ists überall, das Sehenkönnen, das Stimmung¬
finden, das Gegeudverstehen soll es ja thun, das ist es, was wir erwecken und be¬
wahren helfen möchten. Daneben her mögen dann die Städte gehen. Die
von historischer Berühmtheit brauchen wir nicht erst anzupreisen: wir denken
da an Augsburg, Würzburg, Bamberg, Rothenburg, Nürnberg und Regensburg,
an Prag, in den rheinischen Landen an Straßburg, Speier und Worms, Aachen
und Köln, an Limburg und Marburg, an Goslar, Braunschweig und Hildes¬
heim, oder Lübeck, Rostock, Strnlsund und — wer dahin kommt — Danzig.
Dagegen auf ein paar wahre Perlen alten Städtetums möchten wir doch nach¬
drücklich aufmerksam machen, wir meinen die Städtchen am östlichen Vogesen-
fuße, insbesondre Rappoltsweiler, Kaysersberg, Reichenweier, dann die am
württembergischen Neckar von Besigheim bis Rottweil hinauf, ferner Überlingen,
ferner fast all die alten kleinen Städte in den altbairischen und den bairisch


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[0531] Allerlei vom Reisen verhüllt, die sich aber unter der sinkenden Sonne in hatten Blan entschleiern. Kurz, immer die Weite, nicht die Enge des Gebirgs ist es, was dauernd erfreut. Die Freude an der Rheinebne und ihrer Schönheit haben wir in Baden und an der hessischen Bergstraße bei Eingebornen nirgends äußern, auch kaum zugeben hören und niemals Verständnis für die Sehnsucht gefunden, die über das weite Land dahin der scheidenden Sonne nach nach Westen zieht. Der Strom und die Ufer deS Oberrheins von Basel bis Mainz sind tvrra in- ooAnitii. und werden geradezu als öde bezeichnet, vielleicht vermag nur der niederdeutsche, der auch hier an die Poesie der geheimnisvollen Waldbäche und libellennmschwirrten Wiesenflußufer seiner Heimat zurückdenkt, ihnen eine gewisse Stimmung zu entlocken. So erwecken sie denn auch kein besondres In¬ teresse für die Ebene zwischen Schwarzwald und Vogesen, Odenwald und Haardt. Überhaupt sind die scheinbar reicher von der Natur bedachten Gegenden in manchem, was zu dem schönsten gehört, gar arm: die schwirrende Menge der Schmetterlinge über Wiese und Kleefeld und am Waldesrand, das possirliche Durcheinander von tausenderlei Wassergetier in Seen und Bächen, die Mannich- faltigkeit der Vogelstimmen in Wald und Busch sind viel mehr Niederdeutsch¬ land als den Gegenden der deutschen Mittelgebirge und Hochebnen eigen. Drum nochmals: zuerst in die Ebne mit den Jungen! Laßt sie sich das schöne nnr suchen, sie finden es schon in jenen eigentümlichen drang¬ erfüllten Jahren. Und viel herrlicher noch schwebt ihnen dann das noch Un¬ bekannte vor: Gebirge, Burgen, historische Städte. Laßt sie sich immer das eindrucksvollere aufheben, laßt sie nicht springen und fliegen, sondern schreiten. Den ersten Touren in der Heimat mögen dann, je nach der Erreichbarkeit, Ausflüge folgen nach Rügen, nach den westfälischen Waldgebirgen, an den Rhein, in den Harz und den Thüringerwald, in die sächsische oder die frän¬ kische Schweiz, in die rauhe Alp und an den Bodensee, in den Schwarzwald und in die Vogesen; den Odenwald, die Pfälzer Haardt, die Rhön und die Eifel nicht zu vergessen. Schön ists überall, das Sehenkönnen, das Stimmung¬ finden, das Gegeudverstehen soll es ja thun, das ist es, was wir erwecken und be¬ wahren helfen möchten. Daneben her mögen dann die Städte gehen. Die von historischer Berühmtheit brauchen wir nicht erst anzupreisen: wir denken da an Augsburg, Würzburg, Bamberg, Rothenburg, Nürnberg und Regensburg, an Prag, in den rheinischen Landen an Straßburg, Speier und Worms, Aachen und Köln, an Limburg und Marburg, an Goslar, Braunschweig und Hildes¬ heim, oder Lübeck, Rostock, Strnlsund und — wer dahin kommt — Danzig. Dagegen auf ein paar wahre Perlen alten Städtetums möchten wir doch nach¬ drücklich aufmerksam machen, wir meinen die Städtchen am östlichen Vogesen- fuße, insbesondre Rappoltsweiler, Kaysersberg, Reichenweier, dann die am württembergischen Neckar von Besigheim bis Rottweil hinauf, ferner Überlingen, ferner fast all die alten kleinen Städte in den altbairischen und den bairisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/531>, abgerufen am 23.07.2024.