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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

verraten "Reiterlieder," bei denen uns aber der Ausdruck der Liebesempfindung
in der Maske des Mannes wie durchweg in solchen Fällen stört, sowie sehr
leidenschaftlich gehaltne Liebeslieder, daß auch hier die Ruhe dem Sturm ab¬
zuringen war. Ein sehr hübsches Gedenkblatt der Liebe aus der Zeit, "da
einst die Post fuhr," wird besonders gefallen. Das patriotische Empfinden,
anf das wohl schon der Name der Dichterin schließen läßt, sammelt sich besonders
zu einer Vision am Kaiscrsarge im Dom zur "Jdenzeit des März."

Eine preußische Dichterin ganz besondrer Art stellen uns drei Berliner
Schriftsteller, Herman Grimm, Erich Schmidt und Ernst von Wildenbruch, in
dem poetischen Nachlaß der mit dem litterarischen Berlin durch ein Jahr¬
hundert eng verwachsenen Frau von Olfers^) vor. Hedwig von Olfers war
die Tochter eines der poetischen Weckrufer der Freiheitskriege, des Staatsrath
F. A. von Stägemann. Sie war mit dem Jahrhundert geboren und ein-
undncunzig Jahre alt geworden. Sie, die schon lebte, als das Berliner
Pflaster am Gendarmenmarkte durch Schillers Heldenschritt geweiht wurde,
die schon mitempfindend die schmerzensreiche preußische Königin in die Ver¬
bannung begleitet hatte, die Heinrich von Kleists Freundin und die "schöne
Müllerin" der Schubertschen "Müllerlieder" gewesen war, sie wandelte noch
zwanzig Jahre dnrch das Berlin des neuen Reichs, dieser wundersamen Er¬
füllung der mit ihrem Leben verwöhnen Ideale. Ob nach allen Richtungen
so mitlebend und angebend, wie die Nachrufe der genannten drei Vorredner
versichern, erscheint nach dem durchgehenden Charakter und einzelnen dnrch alle
Milde und Ruhe durchbrechenden Schnttirungen der wenigen, meist Fmnilicn-
und Freuudschaftszwecken dienenden Gedichte zweifelhaft. Sie sind wirklich
recht und herzlich "unmodern." Ein Mitglied der "Jbseugemeinde," der "freien
Bühne" ist diese Frau nicht gewesen, für deren Geniusse hätte sie das "Ver¬
ständnis" und die "Reife" niemals erlangt, und wenn sie auch nochmals
hundert Jahre alt geworden wäre. Ehrwürdige Frau, die uns den Hauch
großer Geister und reiner Menschen herüberträgt in die Tage des Kleinen und
Gemeinen, da so wie niemals "das Knabenvolk Herr der Bahn ist!" Sie
blieb stark im Großen und im Rechten, in der Liebe zu all ihren Lieben, ihrem
König, ihrem erlösenden Gotte, unbesorgt, daß diese Sinnesweise etwa allzu
verbreitet und trivial werden möchte. Sie vermaß sich nicht und blähte sich
nicht auf, wie dies Froschgeschlecht, das einem mit unendlichem, abscheulichem
Gequake heute den Kopf erfüllt. Ju ihrer schlichten Bescheidenheit wirkt sie
groß, und ihre wenigen Laute erfreuen das Herz. Sie warf die Welt nicht
prahlerisch weg, und gerade weil sie das Höhere suchte, verschönte sie mit
liebendem, aufmerkendem Blick die Räume, in denen wir keine bleibende Statt
haben. Mit frommem Schalksinn beichtet das Schlußwort:



") Gedichte. Berlin, Hertz, 1892,
Dichtende Frauen

verraten „Reiterlieder," bei denen uns aber der Ausdruck der Liebesempfindung
in der Maske des Mannes wie durchweg in solchen Fällen stört, sowie sehr
leidenschaftlich gehaltne Liebeslieder, daß auch hier die Ruhe dem Sturm ab¬
zuringen war. Ein sehr hübsches Gedenkblatt der Liebe aus der Zeit, „da
einst die Post fuhr," wird besonders gefallen. Das patriotische Empfinden,
anf das wohl schon der Name der Dichterin schließen läßt, sammelt sich besonders
zu einer Vision am Kaiscrsarge im Dom zur „Jdenzeit des März."

Eine preußische Dichterin ganz besondrer Art stellen uns drei Berliner
Schriftsteller, Herman Grimm, Erich Schmidt und Ernst von Wildenbruch, in
dem poetischen Nachlaß der mit dem litterarischen Berlin durch ein Jahr¬
hundert eng verwachsenen Frau von Olfers^) vor. Hedwig von Olfers war
die Tochter eines der poetischen Weckrufer der Freiheitskriege, des Staatsrath
F. A. von Stägemann. Sie war mit dem Jahrhundert geboren und ein-
undncunzig Jahre alt geworden. Sie, die schon lebte, als das Berliner
Pflaster am Gendarmenmarkte durch Schillers Heldenschritt geweiht wurde,
die schon mitempfindend die schmerzensreiche preußische Königin in die Ver¬
bannung begleitet hatte, die Heinrich von Kleists Freundin und die „schöne
Müllerin" der Schubertschen „Müllerlieder" gewesen war, sie wandelte noch
zwanzig Jahre dnrch das Berlin des neuen Reichs, dieser wundersamen Er¬
füllung der mit ihrem Leben verwöhnen Ideale. Ob nach allen Richtungen
so mitlebend und angebend, wie die Nachrufe der genannten drei Vorredner
versichern, erscheint nach dem durchgehenden Charakter und einzelnen dnrch alle
Milde und Ruhe durchbrechenden Schnttirungen der wenigen, meist Fmnilicn-
und Freuudschaftszwecken dienenden Gedichte zweifelhaft. Sie sind wirklich
recht und herzlich „unmodern." Ein Mitglied der „Jbseugemeinde," der „freien
Bühne" ist diese Frau nicht gewesen, für deren Geniusse hätte sie das „Ver¬
ständnis" und die „Reife" niemals erlangt, und wenn sie auch nochmals
hundert Jahre alt geworden wäre. Ehrwürdige Frau, die uns den Hauch
großer Geister und reiner Menschen herüberträgt in die Tage des Kleinen und
Gemeinen, da so wie niemals „das Knabenvolk Herr der Bahn ist!" Sie
blieb stark im Großen und im Rechten, in der Liebe zu all ihren Lieben, ihrem
König, ihrem erlösenden Gotte, unbesorgt, daß diese Sinnesweise etwa allzu
verbreitet und trivial werden möchte. Sie vermaß sich nicht und blähte sich
nicht auf, wie dies Froschgeschlecht, das einem mit unendlichem, abscheulichem
Gequake heute den Kopf erfüllt. Ju ihrer schlichten Bescheidenheit wirkt sie
groß, und ihre wenigen Laute erfreuen das Herz. Sie warf die Welt nicht
prahlerisch weg, und gerade weil sie das Höhere suchte, verschönte sie mit
liebendem, aufmerkendem Blick die Räume, in denen wir keine bleibende Statt
haben. Mit frommem Schalksinn beichtet das Schlußwort:



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[0526] Dichtende Frauen verraten „Reiterlieder," bei denen uns aber der Ausdruck der Liebesempfindung in der Maske des Mannes wie durchweg in solchen Fällen stört, sowie sehr leidenschaftlich gehaltne Liebeslieder, daß auch hier die Ruhe dem Sturm ab¬ zuringen war. Ein sehr hübsches Gedenkblatt der Liebe aus der Zeit, „da einst die Post fuhr," wird besonders gefallen. Das patriotische Empfinden, anf das wohl schon der Name der Dichterin schließen läßt, sammelt sich besonders zu einer Vision am Kaiscrsarge im Dom zur „Jdenzeit des März." Eine preußische Dichterin ganz besondrer Art stellen uns drei Berliner Schriftsteller, Herman Grimm, Erich Schmidt und Ernst von Wildenbruch, in dem poetischen Nachlaß der mit dem litterarischen Berlin durch ein Jahr¬ hundert eng verwachsenen Frau von Olfers^) vor. Hedwig von Olfers war die Tochter eines der poetischen Weckrufer der Freiheitskriege, des Staatsrath F. A. von Stägemann. Sie war mit dem Jahrhundert geboren und ein- undncunzig Jahre alt geworden. Sie, die schon lebte, als das Berliner Pflaster am Gendarmenmarkte durch Schillers Heldenschritt geweiht wurde, die schon mitempfindend die schmerzensreiche preußische Königin in die Ver¬ bannung begleitet hatte, die Heinrich von Kleists Freundin und die „schöne Müllerin" der Schubertschen „Müllerlieder" gewesen war, sie wandelte noch zwanzig Jahre dnrch das Berlin des neuen Reichs, dieser wundersamen Er¬ füllung der mit ihrem Leben verwöhnen Ideale. Ob nach allen Richtungen so mitlebend und angebend, wie die Nachrufe der genannten drei Vorredner versichern, erscheint nach dem durchgehenden Charakter und einzelnen dnrch alle Milde und Ruhe durchbrechenden Schnttirungen der wenigen, meist Fmnilicn- und Freuudschaftszwecken dienenden Gedichte zweifelhaft. Sie sind wirklich recht und herzlich „unmodern." Ein Mitglied der „Jbseugemeinde," der „freien Bühne" ist diese Frau nicht gewesen, für deren Geniusse hätte sie das „Ver¬ ständnis" und die „Reife" niemals erlangt, und wenn sie auch nochmals hundert Jahre alt geworden wäre. Ehrwürdige Frau, die uns den Hauch großer Geister und reiner Menschen herüberträgt in die Tage des Kleinen und Gemeinen, da so wie niemals „das Knabenvolk Herr der Bahn ist!" Sie blieb stark im Großen und im Rechten, in der Liebe zu all ihren Lieben, ihrem König, ihrem erlösenden Gotte, unbesorgt, daß diese Sinnesweise etwa allzu verbreitet und trivial werden möchte. Sie vermaß sich nicht und blähte sich nicht auf, wie dies Froschgeschlecht, das einem mit unendlichem, abscheulichem Gequake heute den Kopf erfüllt. Ju ihrer schlichten Bescheidenheit wirkt sie groß, und ihre wenigen Laute erfreuen das Herz. Sie warf die Welt nicht prahlerisch weg, und gerade weil sie das Höhere suchte, verschönte sie mit liebendem, aufmerkendem Blick die Räume, in denen wir keine bleibende Statt haben. Mit frommem Schalksinn beichtet das Schlußwort: ") Gedichte. Berlin, Hertz, 1892,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/526>, abgerufen am 23.07.2024.