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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

Sinne frauenhafte Büchlein. Man hat doch sonst eine leise Scheu, wenn eine
Frau ihre Liebesempfindung, zumal ihre glückliche Liebesempfindung ausspricht.
Wer denkt da nicht an die weit lohnendere Sprache, die dem Frauenmunde
dann zu Gebote steht! Wenn es aber so munter, wechselvoll und in sich selbst
vergnügt zum Ausdruck kommt, wie in diesen "Müdchenliedern," so kann es
selbst den verbissensten Misogyn mit fortreißen. Man schlage auf, wo man will:

Was ihm an mir gefallen mag?
Zur Kammer Schleich ich oft im Tag,
Schied vor die Thür den Riegel
Und schau in meinen Spiegel.
Warum erwählt er nicht die Nos'?
Bin eine schlichte Blume bloß,
Und nimmer wills mir glücken,
Mich also hold zu schmücken.
Doch eine Zier ist mein fürwahr!
Die Schönste wär ich aus der Schar,
Stund all mein treues Lieben
Im Antlitz mir geschrieben.

Seit du mein Liebster worden,
Bin ich der Sorgen bar.
Ins Buch des Herzens schreib ich
Ein seliges Neujahr.
In hoher Lust erglüht mein Sinn,
Stolz meine Blicke gleiten,
Mir ist, als sollt ich schreiten
Gleich einer Königin.
Wie fröhlich kaun ich schaffen,
So laug die Sonne blinkt!
Wie süß im Schatten ruhen.
Wenn spät sie niedersinkt!
Und schließt mein müdes Aug sich sacht:
DaS Kindlein in der Wiegen
Kann nicht so wohlig liegen,
Als ich die ganze Nacht.

Das sind bekannte Klänge. Doch wem erfreuen sie nicht aufs neue das Herz!
Wie klingt das leicht und frei heraus, welcher Musiker hört es nicht so¬
fort in Tönen? Was persönlich daran so gewinnt, das ist die durch das
ganze Buch verbreitete Gewähr von dem fröhlichen Walten und Schaffen der
Dichterin als Frau. Sie spinnt nicht eitel litterarische Fortschrittsfäden, sie
grübelt nicht unnütz über halb erfaßten Ideen, sie giebt sich nicht müßig tausend
Schmerzen hin. Nein, sie regt ihre Hände, und überall begleitet uns durch diese
freundlichen Aufzeichnungen das Bild eines wackern, geschäftigen Geistes. Auch
sie hat wohl ihren Jugendrvmmi gehabt, der nicht so ausging wie die in der


Dichtende Frauen

Sinne frauenhafte Büchlein. Man hat doch sonst eine leise Scheu, wenn eine
Frau ihre Liebesempfindung, zumal ihre glückliche Liebesempfindung ausspricht.
Wer denkt da nicht an die weit lohnendere Sprache, die dem Frauenmunde
dann zu Gebote steht! Wenn es aber so munter, wechselvoll und in sich selbst
vergnügt zum Ausdruck kommt, wie in diesen „Müdchenliedern," so kann es
selbst den verbissensten Misogyn mit fortreißen. Man schlage auf, wo man will:

Was ihm an mir gefallen mag?
Zur Kammer Schleich ich oft im Tag,
Schied vor die Thür den Riegel
Und schau in meinen Spiegel.
Warum erwählt er nicht die Nos'?
Bin eine schlichte Blume bloß,
Und nimmer wills mir glücken,
Mich also hold zu schmücken.
Doch eine Zier ist mein fürwahr!
Die Schönste wär ich aus der Schar,
Stund all mein treues Lieben
Im Antlitz mir geschrieben.

Seit du mein Liebster worden,
Bin ich der Sorgen bar.
Ins Buch des Herzens schreib ich
Ein seliges Neujahr.
In hoher Lust erglüht mein Sinn,
Stolz meine Blicke gleiten,
Mir ist, als sollt ich schreiten
Gleich einer Königin.
Wie fröhlich kaun ich schaffen,
So laug die Sonne blinkt!
Wie süß im Schatten ruhen.
Wenn spät sie niedersinkt!
Und schließt mein müdes Aug sich sacht:
DaS Kindlein in der Wiegen
Kann nicht so wohlig liegen,
Als ich die ganze Nacht.

Das sind bekannte Klänge. Doch wem erfreuen sie nicht aufs neue das Herz!
Wie klingt das leicht und frei heraus, welcher Musiker hört es nicht so¬
fort in Tönen? Was persönlich daran so gewinnt, das ist die durch das
ganze Buch verbreitete Gewähr von dem fröhlichen Walten und Schaffen der
Dichterin als Frau. Sie spinnt nicht eitel litterarische Fortschrittsfäden, sie
grübelt nicht unnütz über halb erfaßten Ideen, sie giebt sich nicht müßig tausend
Schmerzen hin. Nein, sie regt ihre Hände, und überall begleitet uns durch diese
freundlichen Aufzeichnungen das Bild eines wackern, geschäftigen Geistes. Auch
sie hat wohl ihren Jugendrvmmi gehabt, der nicht so ausging wie die in der


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[0523] Dichtende Frauen Sinne frauenhafte Büchlein. Man hat doch sonst eine leise Scheu, wenn eine Frau ihre Liebesempfindung, zumal ihre glückliche Liebesempfindung ausspricht. Wer denkt da nicht an die weit lohnendere Sprache, die dem Frauenmunde dann zu Gebote steht! Wenn es aber so munter, wechselvoll und in sich selbst vergnügt zum Ausdruck kommt, wie in diesen „Müdchenliedern," so kann es selbst den verbissensten Misogyn mit fortreißen. Man schlage auf, wo man will: Was ihm an mir gefallen mag? Zur Kammer Schleich ich oft im Tag, Schied vor die Thür den Riegel Und schau in meinen Spiegel. Warum erwählt er nicht die Nos'? Bin eine schlichte Blume bloß, Und nimmer wills mir glücken, Mich also hold zu schmücken. Doch eine Zier ist mein fürwahr! Die Schönste wär ich aus der Schar, Stund all mein treues Lieben Im Antlitz mir geschrieben. Seit du mein Liebster worden, Bin ich der Sorgen bar. Ins Buch des Herzens schreib ich Ein seliges Neujahr. In hoher Lust erglüht mein Sinn, Stolz meine Blicke gleiten, Mir ist, als sollt ich schreiten Gleich einer Königin. Wie fröhlich kaun ich schaffen, So laug die Sonne blinkt! Wie süß im Schatten ruhen. Wenn spät sie niedersinkt! Und schließt mein müdes Aug sich sacht: DaS Kindlein in der Wiegen Kann nicht so wohlig liegen, Als ich die ganze Nacht. Das sind bekannte Klänge. Doch wem erfreuen sie nicht aufs neue das Herz! Wie klingt das leicht und frei heraus, welcher Musiker hört es nicht so¬ fort in Tönen? Was persönlich daran so gewinnt, das ist die durch das ganze Buch verbreitete Gewähr von dem fröhlichen Walten und Schaffen der Dichterin als Frau. Sie spinnt nicht eitel litterarische Fortschrittsfäden, sie grübelt nicht unnütz über halb erfaßten Ideen, sie giebt sich nicht müßig tausend Schmerzen hin. Nein, sie regt ihre Hände, und überall begleitet uns durch diese freundlichen Aufzeichnungen das Bild eines wackern, geschäftigen Geistes. Auch sie hat wohl ihren Jugendrvmmi gehabt, der nicht so ausging wie die in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/523>, abgerufen am 24.07.2024.