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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

dann Arme und Beine abschneiden lassen, damit er sich als grauenhafter
Stumpf aus der Verbannung ins Vaterland zurückwälze, wo ihm endlich
,,des Königs heilige Majestät" in ,,brünstiger" Anerkennung den Kopf ab¬
schlägt? Sie schildern das Gattenglück eines Künstlerpaares -- ,,sie waren
Kinder" --, das nach Jahresfrist verhungert. Und dabei war die Magd auch
noch so eine schlechte Person, immer ,,listig lächelnd" ihr Marktgeld zu ver¬
langen, während die Frau Kunstmalerin bei ihrem Gemahl ,,im mattgedämpften
Purpurlicht plaudernd und phantasireud" saß. Die Magd scheint mir nicht
so grausam. Warum kümmert sich die Frau nicht um ihre Wirtschaft?
Warum ,,schafft sich" Clemens gleich "ein reizend Atelier" mit Purpurlicht
und wohnt nicht lieber einige Zeit etwas einfacher? Warum zeichnet er nicht
einige Zeit Illustrationen, bis er "Böcklin" wird? Nein, das "Kind" ist zu
vornehm, und Clemens porträtirt nicht einmal, er hält schon das für nnter
seiner Würde. Wir hatten bisher angenommen, daß es einen solchen kind--lichen
Künstler, der unter solchen Umstünden heiratet, gar nicht gebe. Daß Sie uns
mit ihm bekannt machen, noch dazu als mit einem Mustergatten, halten wir für
grausam.

Sappho hatte den Vorzug, keine modernen "Revuen" zu lesen, sie blieb
verschont von Litteraturgeschichtssimpelei, zu ihrer Zeit gab es keine Zeitungen.
Snppho hatte also uustreitbar im "Milieu" viel vor Maria Janitschek voraus.
Aber selbst Lu an ÄöolL in Berlin, München, Stuttgart oder Leipzig würde
es Sappho vorziehe", nicht Maria Janitschek zu sein. Sie würde sich zu
gut fühlen, bloß so ein Zeichen der Zeit zu sein, wo "die Frauen dichten."
Sie würde dieses fieberhafte Sichemporarbeiteu zu verrückte" und verzweifelten
Ideen als traurig, ja als unheimlich empfinden. Sie würde milde lächeln,
wenn diese "wahnsinnhastige" Geistesüberhitznng mit einemmale durch ein Wort
aus dem Salon, dein Toilettenzimmer, ja dem Tageblättchen unterbrochen
wird. Sie würde Bildungen wie "ehvor," "reglos," "wahnsinnhastig,"
"Greisheit," "Büngnis" n. tgi. nicht überflüssig häufen. Aus ganz be¬
stimmten Gründen nicht. Sie würde Eva nicht "ein Geschöpf mit langer,
goldner Mähne" nennen, "weit schöner als des Leuen schlankes Weib, des
Tigers buntgesprenkelte Genossin." Sie würde der Nacht zu viel Ehrfurcht
oder Grauen, vornehmlich zu viel Anschauungskraft entgegenbringen, als daß
sie sie, unter welchen Umständen es auch sei, die "Hündin Gottes" nennen
könnte. Nein, "da giebts nichts."

Ergreift uns bei dieser äußersten Erscheinungsform der dichtenden Frau
in besonders starkem Maße das bange politische Gefühl, das wir in der Ein¬
leitung erörterten, so wird dies etwas gemildert durch eine poetische Bekannt¬
schaft, wie die Heribertas von Poschinger.") Sie hat aber offenbar Hin-



*) Lieder der Waldfrau. München, Alberts Separatkvnto, 1L93.
Dichtende Frauen

dann Arme und Beine abschneiden lassen, damit er sich als grauenhafter
Stumpf aus der Verbannung ins Vaterland zurückwälze, wo ihm endlich
,,des Königs heilige Majestät" in ,,brünstiger" Anerkennung den Kopf ab¬
schlägt? Sie schildern das Gattenglück eines Künstlerpaares — ,,sie waren
Kinder" —, das nach Jahresfrist verhungert. Und dabei war die Magd auch
noch so eine schlechte Person, immer ,,listig lächelnd" ihr Marktgeld zu ver¬
langen, während die Frau Kunstmalerin bei ihrem Gemahl ,,im mattgedämpften
Purpurlicht plaudernd und phantasireud" saß. Die Magd scheint mir nicht
so grausam. Warum kümmert sich die Frau nicht um ihre Wirtschaft?
Warum ,,schafft sich" Clemens gleich „ein reizend Atelier" mit Purpurlicht
und wohnt nicht lieber einige Zeit etwas einfacher? Warum zeichnet er nicht
einige Zeit Illustrationen, bis er „Böcklin" wird? Nein, das „Kind" ist zu
vornehm, und Clemens porträtirt nicht einmal, er hält schon das für nnter
seiner Würde. Wir hatten bisher angenommen, daß es einen solchen kind—lichen
Künstler, der unter solchen Umstünden heiratet, gar nicht gebe. Daß Sie uns
mit ihm bekannt machen, noch dazu als mit einem Mustergatten, halten wir für
grausam.

Sappho hatte den Vorzug, keine modernen „Revuen" zu lesen, sie blieb
verschont von Litteraturgeschichtssimpelei, zu ihrer Zeit gab es keine Zeitungen.
Snppho hatte also uustreitbar im „Milieu" viel vor Maria Janitschek voraus.
Aber selbst Lu an ÄöolL in Berlin, München, Stuttgart oder Leipzig würde
es Sappho vorziehe», nicht Maria Janitschek zu sein. Sie würde sich zu
gut fühlen, bloß so ein Zeichen der Zeit zu sein, wo „die Frauen dichten."
Sie würde dieses fieberhafte Sichemporarbeiteu zu verrückte» und verzweifelten
Ideen als traurig, ja als unheimlich empfinden. Sie würde milde lächeln,
wenn diese „wahnsinnhastige" Geistesüberhitznng mit einemmale durch ein Wort
aus dem Salon, dein Toilettenzimmer, ja dem Tageblättchen unterbrochen
wird. Sie würde Bildungen wie „ehvor," „reglos," „wahnsinnhastig,"
„Greisheit," „Büngnis" n. tgi. nicht überflüssig häufen. Aus ganz be¬
stimmten Gründen nicht. Sie würde Eva nicht „ein Geschöpf mit langer,
goldner Mähne" nennen, „weit schöner als des Leuen schlankes Weib, des
Tigers buntgesprenkelte Genossin." Sie würde der Nacht zu viel Ehrfurcht
oder Grauen, vornehmlich zu viel Anschauungskraft entgegenbringen, als daß
sie sie, unter welchen Umständen es auch sei, die „Hündin Gottes" nennen
könnte. Nein, „da giebts nichts."

Ergreift uns bei dieser äußersten Erscheinungsform der dichtenden Frau
in besonders starkem Maße das bange politische Gefühl, das wir in der Ein¬
leitung erörterten, so wird dies etwas gemildert durch eine poetische Bekannt¬
schaft, wie die Heribertas von Poschinger.") Sie hat aber offenbar Hin-



*) Lieder der Waldfrau. München, Alberts Separatkvnto, 1L93.
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[0521] Dichtende Frauen dann Arme und Beine abschneiden lassen, damit er sich als grauenhafter Stumpf aus der Verbannung ins Vaterland zurückwälze, wo ihm endlich ,,des Königs heilige Majestät" in ,,brünstiger" Anerkennung den Kopf ab¬ schlägt? Sie schildern das Gattenglück eines Künstlerpaares — ,,sie waren Kinder" —, das nach Jahresfrist verhungert. Und dabei war die Magd auch noch so eine schlechte Person, immer ,,listig lächelnd" ihr Marktgeld zu ver¬ langen, während die Frau Kunstmalerin bei ihrem Gemahl ,,im mattgedämpften Purpurlicht plaudernd und phantasireud" saß. Die Magd scheint mir nicht so grausam. Warum kümmert sich die Frau nicht um ihre Wirtschaft? Warum ,,schafft sich" Clemens gleich „ein reizend Atelier" mit Purpurlicht und wohnt nicht lieber einige Zeit etwas einfacher? Warum zeichnet er nicht einige Zeit Illustrationen, bis er „Böcklin" wird? Nein, das „Kind" ist zu vornehm, und Clemens porträtirt nicht einmal, er hält schon das für nnter seiner Würde. Wir hatten bisher angenommen, daß es einen solchen kind—lichen Künstler, der unter solchen Umstünden heiratet, gar nicht gebe. Daß Sie uns mit ihm bekannt machen, noch dazu als mit einem Mustergatten, halten wir für grausam. Sappho hatte den Vorzug, keine modernen „Revuen" zu lesen, sie blieb verschont von Litteraturgeschichtssimpelei, zu ihrer Zeit gab es keine Zeitungen. Snppho hatte also uustreitbar im „Milieu" viel vor Maria Janitschek voraus. Aber selbst Lu an ÄöolL in Berlin, München, Stuttgart oder Leipzig würde es Sappho vorziehe», nicht Maria Janitschek zu sein. Sie würde sich zu gut fühlen, bloß so ein Zeichen der Zeit zu sein, wo „die Frauen dichten." Sie würde dieses fieberhafte Sichemporarbeiteu zu verrückte» und verzweifelten Ideen als traurig, ja als unheimlich empfinden. Sie würde milde lächeln, wenn diese „wahnsinnhastige" Geistesüberhitznng mit einemmale durch ein Wort aus dem Salon, dein Toilettenzimmer, ja dem Tageblättchen unterbrochen wird. Sie würde Bildungen wie „ehvor," „reglos," „wahnsinnhastig," „Greisheit," „Büngnis" n. tgi. nicht überflüssig häufen. Aus ganz be¬ stimmten Gründen nicht. Sie würde Eva nicht „ein Geschöpf mit langer, goldner Mähne" nennen, „weit schöner als des Leuen schlankes Weib, des Tigers buntgesprenkelte Genossin." Sie würde der Nacht zu viel Ehrfurcht oder Grauen, vornehmlich zu viel Anschauungskraft entgegenbringen, als daß sie sie, unter welchen Umständen es auch sei, die „Hündin Gottes" nennen könnte. Nein, „da giebts nichts." Ergreift uns bei dieser äußersten Erscheinungsform der dichtenden Frau in besonders starkem Maße das bange politische Gefühl, das wir in der Ein¬ leitung erörterten, so wird dies etwas gemildert durch eine poetische Bekannt¬ schaft, wie die Heribertas von Poschinger.") Sie hat aber offenbar Hin- *) Lieder der Waldfrau. München, Alberts Separatkvnto, 1L93.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/521>, abgerufen am 06.02.2025.