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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

lebten, hatte er sie und ihre bescheidne Lebensstellung stets so vorsichtig ver¬
schwiegen, daß es ihm einen Augenblick zweifelhaft wurde, ob sie sich über¬
haupt noch auf dieser Erde aufhielten. Dann aber kehrte seine Fassung zurück,
und er murmelte etwas vom Himmel und von irdischer Trennung, Worte,
die die älteste Gräfin sehr rührten. Sie war nämlich etwas sentimental und
jeden Augenblick bereit, Thränen zu vergießen.

Ihre jüngste Schwester dagegen konnte nicht so leicht weinen. Sie sah
den Etatsrat mit einem gutmütig-spöttische" Blick an und sagte: Ich meine
übrigens in meiner Jugend Ihren Namen gehört zu haben. Eine meiner
liebsten Freundinnen hat mir von Ihnen erzählt!

Der Etatsrat fühlte, daß er blaß wurde. Ich weiß nicht, stotterte er,
eine Ihrer liebste" Freundinnen?

Komteß Jsidore lachte. Erschrecken Sie nur nicht! Ich glaube kaum, daß
Therese noch Ansprüche an Sie machen wird. Sie ist lange verheiratet! ,

Der Etatsrat seufzte erleichtert, und doch ärgerte er sich im nächsten Augen¬
blick, daß ihn Therese nicht dreißig Jahre unglücklich geliebt hatte.

Komteß Jsidore lächelte ihm aber freundlich zu. Jugend hat nun einmal
keine Tugend, meinte sie gutmütig. Aber es ist lustig, jung zu sein, lustiger, als
mit jedem Tage dem Alter und dem Tode näher zu kommen! Nun, hoffent¬
lich halten wir uns beides noch vom Leibe, lieber Etatsrat, und Sie besuchen
uns recht oft und erzählen uns hübsche Geschichten! ,

Als der Etatsrat wieder über die Straße ging, stieß er leise einen Fluch
aus, obgleich er einmal in einer christlichen Zeitung einen heftigen Aufsatz
gegen das Fluchen geschrieben hatte. Seitdem er hier wohnte, kam er sich
gar nicht mehr so edel und so erhaben vor, wie er sich angewöhnt hatte als
Bürgermeister zu sein. Auch war der Hauptzweck seines hiesigen Aufenthalts
nicht erreicht. Er hatte ausruhen wollen von dem Verdruß, den ihm die
Stadtverordneten von Osterburg, das schlechte Straßenpflaster und die schmutzigen
Rinnsteine gemacht hatten, und nun fand er keine Ruhe. Er dachte immer nur
an alberne Dinge, an Geschichtenerzühlen und an Therese. Es half ihm nichts,
daß er sich bemühte, an seine verstorbne Frau und ihr nettes Testament zu
denken; aus den kleinen Häusern der Stadt hüpften überall boshafte Geisterchen
und flüsterten: Erzähle uns eine Geschichte! und wenn ihm ein blondes
Mädchen begegnete, so wandte er sich nach ihr um und dachte an Therese, an
Therese, die er verlassen hatte, weil sie arm gewesen war.

(Schluß folgt)




Die Geschichte des Ltatsrats

lebten, hatte er sie und ihre bescheidne Lebensstellung stets so vorsichtig ver¬
schwiegen, daß es ihm einen Augenblick zweifelhaft wurde, ob sie sich über¬
haupt noch auf dieser Erde aufhielten. Dann aber kehrte seine Fassung zurück,
und er murmelte etwas vom Himmel und von irdischer Trennung, Worte,
die die älteste Gräfin sehr rührten. Sie war nämlich etwas sentimental und
jeden Augenblick bereit, Thränen zu vergießen.

Ihre jüngste Schwester dagegen konnte nicht so leicht weinen. Sie sah
den Etatsrat mit einem gutmütig-spöttische» Blick an und sagte: Ich meine
übrigens in meiner Jugend Ihren Namen gehört zu haben. Eine meiner
liebsten Freundinnen hat mir von Ihnen erzählt!

Der Etatsrat fühlte, daß er blaß wurde. Ich weiß nicht, stotterte er,
eine Ihrer liebste» Freundinnen?

Komteß Jsidore lachte. Erschrecken Sie nur nicht! Ich glaube kaum, daß
Therese noch Ansprüche an Sie machen wird. Sie ist lange verheiratet! ,

Der Etatsrat seufzte erleichtert, und doch ärgerte er sich im nächsten Augen¬
blick, daß ihn Therese nicht dreißig Jahre unglücklich geliebt hatte.

Komteß Jsidore lächelte ihm aber freundlich zu. Jugend hat nun einmal
keine Tugend, meinte sie gutmütig. Aber es ist lustig, jung zu sein, lustiger, als
mit jedem Tage dem Alter und dem Tode näher zu kommen! Nun, hoffent¬
lich halten wir uns beides noch vom Leibe, lieber Etatsrat, und Sie besuchen
uns recht oft und erzählen uns hübsche Geschichten! ,

Als der Etatsrat wieder über die Straße ging, stieß er leise einen Fluch
aus, obgleich er einmal in einer christlichen Zeitung einen heftigen Aufsatz
gegen das Fluchen geschrieben hatte. Seitdem er hier wohnte, kam er sich
gar nicht mehr so edel und so erhaben vor, wie er sich angewöhnt hatte als
Bürgermeister zu sein. Auch war der Hauptzweck seines hiesigen Aufenthalts
nicht erreicht. Er hatte ausruhen wollen von dem Verdruß, den ihm die
Stadtverordneten von Osterburg, das schlechte Straßenpflaster und die schmutzigen
Rinnsteine gemacht hatten, und nun fand er keine Ruhe. Er dachte immer nur
an alberne Dinge, an Geschichtenerzühlen und an Therese. Es half ihm nichts,
daß er sich bemühte, an seine verstorbne Frau und ihr nettes Testament zu
denken; aus den kleinen Häusern der Stadt hüpften überall boshafte Geisterchen
und flüsterten: Erzähle uns eine Geschichte! und wenn ihm ein blondes
Mädchen begegnete, so wandte er sich nach ihr um und dachte an Therese, an
Therese, die er verlassen hatte, weil sie arm gewesen war.

(Schluß folgt)




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[0052] Die Geschichte des Ltatsrats lebten, hatte er sie und ihre bescheidne Lebensstellung stets so vorsichtig ver¬ schwiegen, daß es ihm einen Augenblick zweifelhaft wurde, ob sie sich über¬ haupt noch auf dieser Erde aufhielten. Dann aber kehrte seine Fassung zurück, und er murmelte etwas vom Himmel und von irdischer Trennung, Worte, die die älteste Gräfin sehr rührten. Sie war nämlich etwas sentimental und jeden Augenblick bereit, Thränen zu vergießen. Ihre jüngste Schwester dagegen konnte nicht so leicht weinen. Sie sah den Etatsrat mit einem gutmütig-spöttische» Blick an und sagte: Ich meine übrigens in meiner Jugend Ihren Namen gehört zu haben. Eine meiner liebsten Freundinnen hat mir von Ihnen erzählt! Der Etatsrat fühlte, daß er blaß wurde. Ich weiß nicht, stotterte er, eine Ihrer liebste» Freundinnen? Komteß Jsidore lachte. Erschrecken Sie nur nicht! Ich glaube kaum, daß Therese noch Ansprüche an Sie machen wird. Sie ist lange verheiratet! , Der Etatsrat seufzte erleichtert, und doch ärgerte er sich im nächsten Augen¬ blick, daß ihn Therese nicht dreißig Jahre unglücklich geliebt hatte. Komteß Jsidore lächelte ihm aber freundlich zu. Jugend hat nun einmal keine Tugend, meinte sie gutmütig. Aber es ist lustig, jung zu sein, lustiger, als mit jedem Tage dem Alter und dem Tode näher zu kommen! Nun, hoffent¬ lich halten wir uns beides noch vom Leibe, lieber Etatsrat, und Sie besuchen uns recht oft und erzählen uns hübsche Geschichten! , Als der Etatsrat wieder über die Straße ging, stieß er leise einen Fluch aus, obgleich er einmal in einer christlichen Zeitung einen heftigen Aufsatz gegen das Fluchen geschrieben hatte. Seitdem er hier wohnte, kam er sich gar nicht mehr so edel und so erhaben vor, wie er sich angewöhnt hatte als Bürgermeister zu sein. Auch war der Hauptzweck seines hiesigen Aufenthalts nicht erreicht. Er hatte ausruhen wollen von dem Verdruß, den ihm die Stadtverordneten von Osterburg, das schlechte Straßenpflaster und die schmutzigen Rinnsteine gemacht hatten, und nun fand er keine Ruhe. Er dachte immer nur an alberne Dinge, an Geschichtenerzühlen und an Therese. Es half ihm nichts, daß er sich bemühte, an seine verstorbne Frau und ihr nettes Testament zu denken; aus den kleinen Häusern der Stadt hüpften überall boshafte Geisterchen und flüsterten: Erzähle uns eine Geschichte! und wenn ihm ein blondes Mädchen begegnete, so wandte er sich nach ihr um und dachte an Therese, an Therese, die er verlassen hatte, weil sie arm gewesen war. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/52>, abgerufen am 23.07.2024.