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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

der Schrift untersagt; er hat nur gegen mich den persönlichen Wunsch aus¬
gesprochen, daß er nicht gedruckt werde. Ich habe ihm darauf geantwortet, der
Aufsatz sei nicht für den Druck bestimmt gewesen; nach meinen Ansichten von
dein, was sich ziemt und was nicht, hätte ich ihn wohl bei Lebzeiten des
Kaisers Nikolaus der Öffentlichkeit übergeben können, nicht aber unmittelbar
nach seinem Tode. Aber woher wissen Sie von der Sache? ich hatte Grund
zu glauben, daß sie niemandem weiter bekannt sei."

Lächelnd erwidert G. Freytag: von wein er das alles erfahre" habe,
das könne er mir nicht sagen; nur um einer nahe liegenden Vermutung zu
begegnen, fügt er hinzu: "Der Herzog ist es nicht!"

Rückfahrt nach Gotha -- Souper im Deutschen Hanse. Der Wirt hatte
mir gesagt, der Herzog werde morgen aus Reinhardsbrunn zur Stadt kommen,
erstens zur Kirche, um einen neuangestellteu Prediger zu hören, und dann um
die Großherzogin Marie Pawlowna von Weimar zu sehen, die Gotha auf der
Durchreise nach Eisenach berührt. G. Freytag wollte das alles nicht recht
glauben. Auf seinen Rat neue Erkundigungen eingezogen, zum Kastellan ge¬
schickt, der soll mich benachrichtigen.

8. August. Schönes Wetter. G. Freytag kommt früh zu mir und bleibt
ein paar Stunden. Der Herzog kommt wirklich heute (am Sonntag) zur
Stadt, um in die Kirche zu gehen und sich Vortrag in Geschäften halten zu
lassen, nicht aber um die russisch-weimarische Großherzogin zu sehen; diese und
der Herzog gehen vielmehr einander aus dem Wege, da sie natürlich ent¬
schieden für Rußland Partei nimmt, des Herzogs Verbindungen und Sym¬
pathien dagegen in England liegen.

Vielerlei von Politik und Geschichte gesprochen. Freytag begleitet das,
was ich sage, mehrfach mit einem halblaut ausgesprochnen: "Sehr wahr!
Sehr richtig!" Besonders ist ihm merkwürdig, was ich über Friedrich den
Großen und Napoleon sagte: daß ich nämlich Friedrich unbedingt für den
größern Feldherrn hielte aus Gründen, die ich ihm auseinander setzte, und
die ihm sehr überzeugend schienen.

Später, um zwölf Uhr, dem Herzog meine Aufwartung gemacht; nicht
in dem alten großen Schloß -- das bewohnt er nie --, sondern im "Palais,"
einem hübschen, nicht sehr großen, landhansnrtigen Gebunde am Eingang der
Stadt vom Bahnhof her. Nach kurzem Warten in einem unteren Saal wurde
ich die Treppe hinauf zu ihm in eine Art von Kabinett geführt.

Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha ist ein wirklich schöner Mann, der
ungewöhnlich geistreich aussieht; vierzig Jahre alt, aber jünger als seine Jahre;
mau sollte glauben, er stehe kaum in der Mitte der Dreißiger. Er nimmt
mich sehr freundlich auf, erwähnt Usedom unter denen, die ihm von mir
gesprochen haben, und bestätigt, daß ihn Usedom zu Anfang des Sommers in
Koburg besucht hat und dann dein Prinzen von Preußen nach Baden gefolgt ist.


Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

der Schrift untersagt; er hat nur gegen mich den persönlichen Wunsch aus¬
gesprochen, daß er nicht gedruckt werde. Ich habe ihm darauf geantwortet, der
Aufsatz sei nicht für den Druck bestimmt gewesen; nach meinen Ansichten von
dein, was sich ziemt und was nicht, hätte ich ihn wohl bei Lebzeiten des
Kaisers Nikolaus der Öffentlichkeit übergeben können, nicht aber unmittelbar
nach seinem Tode. Aber woher wissen Sie von der Sache? ich hatte Grund
zu glauben, daß sie niemandem weiter bekannt sei."

Lächelnd erwidert G. Freytag: von wein er das alles erfahre» habe,
das könne er mir nicht sagen; nur um einer nahe liegenden Vermutung zu
begegnen, fügt er hinzu: „Der Herzog ist es nicht!"

Rückfahrt nach Gotha — Souper im Deutschen Hanse. Der Wirt hatte
mir gesagt, der Herzog werde morgen aus Reinhardsbrunn zur Stadt kommen,
erstens zur Kirche, um einen neuangestellteu Prediger zu hören, und dann um
die Großherzogin Marie Pawlowna von Weimar zu sehen, die Gotha auf der
Durchreise nach Eisenach berührt. G. Freytag wollte das alles nicht recht
glauben. Auf seinen Rat neue Erkundigungen eingezogen, zum Kastellan ge¬
schickt, der soll mich benachrichtigen.

8. August. Schönes Wetter. G. Freytag kommt früh zu mir und bleibt
ein paar Stunden. Der Herzog kommt wirklich heute (am Sonntag) zur
Stadt, um in die Kirche zu gehen und sich Vortrag in Geschäften halten zu
lassen, nicht aber um die russisch-weimarische Großherzogin zu sehen; diese und
der Herzog gehen vielmehr einander aus dem Wege, da sie natürlich ent¬
schieden für Rußland Partei nimmt, des Herzogs Verbindungen und Sym¬
pathien dagegen in England liegen.

Vielerlei von Politik und Geschichte gesprochen. Freytag begleitet das,
was ich sage, mehrfach mit einem halblaut ausgesprochnen: „Sehr wahr!
Sehr richtig!" Besonders ist ihm merkwürdig, was ich über Friedrich den
Großen und Napoleon sagte: daß ich nämlich Friedrich unbedingt für den
größern Feldherrn hielte aus Gründen, die ich ihm auseinander setzte, und
die ihm sehr überzeugend schienen.

Später, um zwölf Uhr, dem Herzog meine Aufwartung gemacht; nicht
in dem alten großen Schloß — das bewohnt er nie —, sondern im „Palais,"
einem hübschen, nicht sehr großen, landhansnrtigen Gebunde am Eingang der
Stadt vom Bahnhof her. Nach kurzem Warten in einem unteren Saal wurde
ich die Treppe hinauf zu ihm in eine Art von Kabinett geführt.

Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha ist ein wirklich schöner Mann, der
ungewöhnlich geistreich aussieht; vierzig Jahre alt, aber jünger als seine Jahre;
mau sollte glauben, er stehe kaum in der Mitte der Dreißiger. Er nimmt
mich sehr freundlich auf, erwähnt Usedom unter denen, die ihm von mir
gesprochen haben, und bestätigt, daß ihn Usedom zu Anfang des Sommers in
Koburg besucht hat und dann dein Prinzen von Preußen nach Baden gefolgt ist.


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[0507] Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardts der Schrift untersagt; er hat nur gegen mich den persönlichen Wunsch aus¬ gesprochen, daß er nicht gedruckt werde. Ich habe ihm darauf geantwortet, der Aufsatz sei nicht für den Druck bestimmt gewesen; nach meinen Ansichten von dein, was sich ziemt und was nicht, hätte ich ihn wohl bei Lebzeiten des Kaisers Nikolaus der Öffentlichkeit übergeben können, nicht aber unmittelbar nach seinem Tode. Aber woher wissen Sie von der Sache? ich hatte Grund zu glauben, daß sie niemandem weiter bekannt sei." Lächelnd erwidert G. Freytag: von wein er das alles erfahre» habe, das könne er mir nicht sagen; nur um einer nahe liegenden Vermutung zu begegnen, fügt er hinzu: „Der Herzog ist es nicht!" Rückfahrt nach Gotha — Souper im Deutschen Hanse. Der Wirt hatte mir gesagt, der Herzog werde morgen aus Reinhardsbrunn zur Stadt kommen, erstens zur Kirche, um einen neuangestellteu Prediger zu hören, und dann um die Großherzogin Marie Pawlowna von Weimar zu sehen, die Gotha auf der Durchreise nach Eisenach berührt. G. Freytag wollte das alles nicht recht glauben. Auf seinen Rat neue Erkundigungen eingezogen, zum Kastellan ge¬ schickt, der soll mich benachrichtigen. 8. August. Schönes Wetter. G. Freytag kommt früh zu mir und bleibt ein paar Stunden. Der Herzog kommt wirklich heute (am Sonntag) zur Stadt, um in die Kirche zu gehen und sich Vortrag in Geschäften halten zu lassen, nicht aber um die russisch-weimarische Großherzogin zu sehen; diese und der Herzog gehen vielmehr einander aus dem Wege, da sie natürlich ent¬ schieden für Rußland Partei nimmt, des Herzogs Verbindungen und Sym¬ pathien dagegen in England liegen. Vielerlei von Politik und Geschichte gesprochen. Freytag begleitet das, was ich sage, mehrfach mit einem halblaut ausgesprochnen: „Sehr wahr! Sehr richtig!" Besonders ist ihm merkwürdig, was ich über Friedrich den Großen und Napoleon sagte: daß ich nämlich Friedrich unbedingt für den größern Feldherrn hielte aus Gründen, die ich ihm auseinander setzte, und die ihm sehr überzeugend schienen. Später, um zwölf Uhr, dem Herzog meine Aufwartung gemacht; nicht in dem alten großen Schloß — das bewohnt er nie —, sondern im „Palais," einem hübschen, nicht sehr großen, landhansnrtigen Gebunde am Eingang der Stadt vom Bahnhof her. Nach kurzem Warten in einem unteren Saal wurde ich die Treppe hinauf zu ihm in eine Art von Kabinett geführt. Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha ist ein wirklich schöner Mann, der ungewöhnlich geistreich aussieht; vierzig Jahre alt, aber jünger als seine Jahre; mau sollte glauben, er stehe kaum in der Mitte der Dreißiger. Er nimmt mich sehr freundlich auf, erwähnt Usedom unter denen, die ihm von mir gesprochen haben, und bestätigt, daß ihn Usedom zu Anfang des Sommers in Koburg besucht hat und dann dein Prinzen von Preußen nach Baden gefolgt ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/507>, abgerufen am 26.08.2024.