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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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drängt, hat sich in der Ringstraße eine Reihe von großartig gedachten und
großartig ausgeführten Prachtbauten geschlungen. Platze wie der zwischen
den beiden Hofinnsecn und der neu erstehendeu Hofburg um das Standbild
Maria Theresias mit dem Blick auf die grünen Baummassen des Hof- und
des Volksgartens und der zwischen dem mächtigen gotischen Rathaus des Dom¬
baumeisters Schmidt, dem klassisch-hellenischen Parlamentsgebäude Haufens,
dem imposanten Renaissancebau der Universität von Ferstet und dem ent¬
zückenden Hvfburgtheater Sempers haben in Europa schwerlich ihres gleichen.
Da hat man nicht mit dem Raume gegeizt wie in andern großen Städten,
wo zuweilen die schönsten Werke der Architektur so eng zusammengepfercht
werden an schmalen Straßen und winzigen Plätzen, daß man sie überhaupt
nicht ordentlich sehen kann; da ist alles weiträumig, großartig, kaiserlich, und
mit der Schönheit der Vauformcn wetteifert das wundervolle Material, das
ans den Marmorbrüchen des Untersberges u. a. in verschwenderischer Fülle
zur Verfügung gestellt worden ist. Wem ist wohl nicht, wenn er aus dem
herrlichen, in buntem Marmor und Goldbronze glänzenden Mittelbau des
kunsthistorischen Hofmuseums hinaustrat oder auf der hohen Rampe des Par¬
lamentsgebäudes stand, das alte Wort auf die Lippen gekommen:


S' giebt mir n Kaiserstndt,
s' giebt nur a Wien!

Schon in dieser unvergleichlichen Umgebung zu verweilen und in dem marmor¬
prangenden Treppenhause oder in den luftigen Bogengängen des Universitüts-
gebäudes, wo die Sitzungen des Kongresses stattfanden, zu wandeln, hatte
etwas erhebendes.

Und dieser Eindruck steigerte sich noch durch die fast erdrückende und ver¬
wirrende Fülle der gebotnen Veranstaltungen. Neben den allgemeinen Ver¬
sammlungen arbeiteten nicht weniger als elf Sektionen, und eine erstaunliche
Fülle von wissenschaftlichen Festschriften (M y, teilweise in der gewähltester Aus¬
stattung und vou hohem Werte, wurde von den Behörden, den Universitäten, der
Akademie, den österreichischen Mittelschulen u. s. w. über die Versammlung aus¬
geschüttet. Hier konnte der Reichsdeutsche eine recht ehrliche und herzliche Hoch¬
achtung vor den Leistungen der Wissenschaft und der Gelehrtenschulen in Öster¬
reich gewinnen, auf die man diesseits der Grenze oft mit einer gewissen Gering¬
schätzung herabzublicken Pflegt, obwohl doch diese Anstalten teilweise, nament¬
lich in den mehrsprachigen Ländern, unter viel schwierigern Verhältnissen zu
arbeiten haben als die unsern. Besonders erfreulich war es, dabei zu sehen,
wie emsig die Österreicher daran sind, den alten, so lange unter türkischer
Barbarei begrabnen Kulturboden Bosniens nach jeder Richtung hin wissen¬
schaftlich zu durchforschen. Dazu waren alle die reichen Sammlungen, die
Wien für Kunst und Wissenschaft darbietet, den Mitgliedern des Kongresses
fast unbeschränkt geöffnet, sogar mehrere besondre Ausstellungen veranstaltet,


drängt, hat sich in der Ringstraße eine Reihe von großartig gedachten und
großartig ausgeführten Prachtbauten geschlungen. Platze wie der zwischen
den beiden Hofinnsecn und der neu erstehendeu Hofburg um das Standbild
Maria Theresias mit dem Blick auf die grünen Baummassen des Hof- und
des Volksgartens und der zwischen dem mächtigen gotischen Rathaus des Dom¬
baumeisters Schmidt, dem klassisch-hellenischen Parlamentsgebäude Haufens,
dem imposanten Renaissancebau der Universität von Ferstet und dem ent¬
zückenden Hvfburgtheater Sempers haben in Europa schwerlich ihres gleichen.
Da hat man nicht mit dem Raume gegeizt wie in andern großen Städten,
wo zuweilen die schönsten Werke der Architektur so eng zusammengepfercht
werden an schmalen Straßen und winzigen Plätzen, daß man sie überhaupt
nicht ordentlich sehen kann; da ist alles weiträumig, großartig, kaiserlich, und
mit der Schönheit der Vauformcn wetteifert das wundervolle Material, das
ans den Marmorbrüchen des Untersberges u. a. in verschwenderischer Fülle
zur Verfügung gestellt worden ist. Wem ist wohl nicht, wenn er aus dem
herrlichen, in buntem Marmor und Goldbronze glänzenden Mittelbau des
kunsthistorischen Hofmuseums hinaustrat oder auf der hohen Rampe des Par¬
lamentsgebäudes stand, das alte Wort auf die Lippen gekommen:


S' giebt mir n Kaiserstndt,
s' giebt nur a Wien!

Schon in dieser unvergleichlichen Umgebung zu verweilen und in dem marmor¬
prangenden Treppenhause oder in den luftigen Bogengängen des Universitüts-
gebäudes, wo die Sitzungen des Kongresses stattfanden, zu wandeln, hatte
etwas erhebendes.

Und dieser Eindruck steigerte sich noch durch die fast erdrückende und ver¬
wirrende Fülle der gebotnen Veranstaltungen. Neben den allgemeinen Ver¬
sammlungen arbeiteten nicht weniger als elf Sektionen, und eine erstaunliche
Fülle von wissenschaftlichen Festschriften (M y, teilweise in der gewähltester Aus¬
stattung und vou hohem Werte, wurde von den Behörden, den Universitäten, der
Akademie, den österreichischen Mittelschulen u. s. w. über die Versammlung aus¬
geschüttet. Hier konnte der Reichsdeutsche eine recht ehrliche und herzliche Hoch¬
achtung vor den Leistungen der Wissenschaft und der Gelehrtenschulen in Öster¬
reich gewinnen, auf die man diesseits der Grenze oft mit einer gewissen Gering¬
schätzung herabzublicken Pflegt, obwohl doch diese Anstalten teilweise, nament¬
lich in den mehrsprachigen Ländern, unter viel schwierigern Verhältnissen zu
arbeiten haben als die unsern. Besonders erfreulich war es, dabei zu sehen,
wie emsig die Österreicher daran sind, den alten, so lange unter türkischer
Barbarei begrabnen Kulturboden Bosniens nach jeder Richtung hin wissen¬
schaftlich zu durchforschen. Dazu waren alle die reichen Sammlungen, die
Wien für Kunst und Wissenschaft darbietet, den Mitgliedern des Kongresses
fast unbeschränkt geöffnet, sogar mehrere besondre Ausstellungen veranstaltet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/500>, abgerufen am 03.07.2024.