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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

sich doch ein paar nette Geschichten aus. Beim Glase Punsch kommen die
guten Gedanken, und wir sind dankbare Zuhörer. Unser Punsch ist besser,
als der königliche Punsch in Flensburg.

Wieso? fragte Lauritzen.

Der alte Herr rückte sich im Stuhle zurecht. Er mußte doch dem Etats¬
rat zeigen, wie man eine Geschichte erzählt.

Also der König, begann er, war in Flensburg und gab seinen Ständen
ein Mittagessen. Zu den Abgeordneten gehörten auch mehrere fchleswigfche
Bauern, die bei Tische mit großem Eifer aßen und kein Wort sprachen.
Majestät amüsirte sich über sie, und nach dem Essen trug er mir auf, ich sollte
mich erkundigen, wie es ihnen geschmeckt Hütte. Sie standen nämlich in einer
Ecke des Saals und machten so ernsthafte Gesichter, als ob sie nicht so recht
zufrieden wären. Nun, meine Herren -- mit diesen Worten ging ich auf sie
zu --, wie gefüllt es Ihnen denn, an Seiner Majestät Tafel zu speisen? Sie
sahen mich alle ganz bekümmert an, und einer von ihnen, ein hübscher alter
Bauer, schüttelte den Kopf. Was das Essen war, mein guter Herr, sagte er,
da kann ich nix von sagen. Das war allens in Ordnung. Abers der Punsch,
den .König sein Punsch! Wenn der arme Mann jeden Tag son Punsch kriegt,
denn thut es uns allen wahrhaftigen Gott leid! Und die andern Bauern
nickten so betrübt bei dieser Rede ihres Genossen, daß man ihnen ansah, wie
ernst sie es mit ihrem Bedauern meinten. Es hatte aber beim Essen gar
keinen Punsch gegeben!

Der Geheimrat schwieg und rührte seinen Punsch um, während der Pastor
hastig einen Schluck aus dem Glase des Etatsrath nahm. Er konnte es un¬
gestraft thun, denn Peter Lauritzen war ganz Ohr; ihm hatte noch niemals
ein wirklicher Geheimrat eine Geschichte erzählt.

Was hatten denn die Bauern als Punsch getrunken? fragte er.

Das parfümirte Wasser in den Fingergläsern! Daher ihr Entsetzen und
das Mitleid mit dem König. Er bedürfte dieses Mitgefühls eigentlich nicht!
setzte er leiser hinzu, und alle Stammgäste lachten; denn jedermann wußte, daß
König Friedrich sich doch noch besser auf Punsch verstand, als seine Bauern.

Lauritzen hatte herzlich über die Erzählung des Geheimrath gelacht, und
als nun die Unterhaltung weiter ging, da saß er nachdenklich in seinem Stuhl
und dachte nach. So also erzählt man Geschichten! Es war ein ganz hübscher
Zeitvertreib. Aber er, der Etatsrat, hatte doch eigentlich nicht nötig, andern
Leuten die Zeit zu vertreiben. Als er sich daher später von seinen neuen
Freunden verabschiedete, nahm er sich gleich vor, selbst keine Geschichte zu er¬
zählen.

Am andern Abend fand er sich wieder rechtzeitig in der Weinstube ein,
und der Geheimrat nickte ihm wohlwollend zu.

Setzen Sie sich zu mir, lieber Etatsrat. Heute wissen Sie doch eine Geschichte?


Die Geschichte des Ltatsrats

sich doch ein paar nette Geschichten aus. Beim Glase Punsch kommen die
guten Gedanken, und wir sind dankbare Zuhörer. Unser Punsch ist besser,
als der königliche Punsch in Flensburg.

Wieso? fragte Lauritzen.

Der alte Herr rückte sich im Stuhle zurecht. Er mußte doch dem Etats¬
rat zeigen, wie man eine Geschichte erzählt.

Also der König, begann er, war in Flensburg und gab seinen Ständen
ein Mittagessen. Zu den Abgeordneten gehörten auch mehrere fchleswigfche
Bauern, die bei Tische mit großem Eifer aßen und kein Wort sprachen.
Majestät amüsirte sich über sie, und nach dem Essen trug er mir auf, ich sollte
mich erkundigen, wie es ihnen geschmeckt Hütte. Sie standen nämlich in einer
Ecke des Saals und machten so ernsthafte Gesichter, als ob sie nicht so recht
zufrieden wären. Nun, meine Herren — mit diesen Worten ging ich auf sie
zu —, wie gefüllt es Ihnen denn, an Seiner Majestät Tafel zu speisen? Sie
sahen mich alle ganz bekümmert an, und einer von ihnen, ein hübscher alter
Bauer, schüttelte den Kopf. Was das Essen war, mein guter Herr, sagte er,
da kann ich nix von sagen. Das war allens in Ordnung. Abers der Punsch,
den .König sein Punsch! Wenn der arme Mann jeden Tag son Punsch kriegt,
denn thut es uns allen wahrhaftigen Gott leid! Und die andern Bauern
nickten so betrübt bei dieser Rede ihres Genossen, daß man ihnen ansah, wie
ernst sie es mit ihrem Bedauern meinten. Es hatte aber beim Essen gar
keinen Punsch gegeben!

Der Geheimrat schwieg und rührte seinen Punsch um, während der Pastor
hastig einen Schluck aus dem Glase des Etatsrath nahm. Er konnte es un¬
gestraft thun, denn Peter Lauritzen war ganz Ohr; ihm hatte noch niemals
ein wirklicher Geheimrat eine Geschichte erzählt.

Was hatten denn die Bauern als Punsch getrunken? fragte er.

Das parfümirte Wasser in den Fingergläsern! Daher ihr Entsetzen und
das Mitleid mit dem König. Er bedürfte dieses Mitgefühls eigentlich nicht!
setzte er leiser hinzu, und alle Stammgäste lachten; denn jedermann wußte, daß
König Friedrich sich doch noch besser auf Punsch verstand, als seine Bauern.

Lauritzen hatte herzlich über die Erzählung des Geheimrath gelacht, und
als nun die Unterhaltung weiter ging, da saß er nachdenklich in seinem Stuhl
und dachte nach. So also erzählt man Geschichten! Es war ein ganz hübscher
Zeitvertreib. Aber er, der Etatsrat, hatte doch eigentlich nicht nötig, andern
Leuten die Zeit zu vertreiben. Als er sich daher später von seinen neuen
Freunden verabschiedete, nahm er sich gleich vor, selbst keine Geschichte zu er¬
zählen.

Am andern Abend fand er sich wieder rechtzeitig in der Weinstube ein,
und der Geheimrat nickte ihm wohlwollend zu.

Setzen Sie sich zu mir, lieber Etatsrat. Heute wissen Sie doch eine Geschichte?


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[0050] Die Geschichte des Ltatsrats sich doch ein paar nette Geschichten aus. Beim Glase Punsch kommen die guten Gedanken, und wir sind dankbare Zuhörer. Unser Punsch ist besser, als der königliche Punsch in Flensburg. Wieso? fragte Lauritzen. Der alte Herr rückte sich im Stuhle zurecht. Er mußte doch dem Etats¬ rat zeigen, wie man eine Geschichte erzählt. Also der König, begann er, war in Flensburg und gab seinen Ständen ein Mittagessen. Zu den Abgeordneten gehörten auch mehrere fchleswigfche Bauern, die bei Tische mit großem Eifer aßen und kein Wort sprachen. Majestät amüsirte sich über sie, und nach dem Essen trug er mir auf, ich sollte mich erkundigen, wie es ihnen geschmeckt Hütte. Sie standen nämlich in einer Ecke des Saals und machten so ernsthafte Gesichter, als ob sie nicht so recht zufrieden wären. Nun, meine Herren — mit diesen Worten ging ich auf sie zu —, wie gefüllt es Ihnen denn, an Seiner Majestät Tafel zu speisen? Sie sahen mich alle ganz bekümmert an, und einer von ihnen, ein hübscher alter Bauer, schüttelte den Kopf. Was das Essen war, mein guter Herr, sagte er, da kann ich nix von sagen. Das war allens in Ordnung. Abers der Punsch, den .König sein Punsch! Wenn der arme Mann jeden Tag son Punsch kriegt, denn thut es uns allen wahrhaftigen Gott leid! Und die andern Bauern nickten so betrübt bei dieser Rede ihres Genossen, daß man ihnen ansah, wie ernst sie es mit ihrem Bedauern meinten. Es hatte aber beim Essen gar keinen Punsch gegeben! Der Geheimrat schwieg und rührte seinen Punsch um, während der Pastor hastig einen Schluck aus dem Glase des Etatsrath nahm. Er konnte es un¬ gestraft thun, denn Peter Lauritzen war ganz Ohr; ihm hatte noch niemals ein wirklicher Geheimrat eine Geschichte erzählt. Was hatten denn die Bauern als Punsch getrunken? fragte er. Das parfümirte Wasser in den Fingergläsern! Daher ihr Entsetzen und das Mitleid mit dem König. Er bedürfte dieses Mitgefühls eigentlich nicht! setzte er leiser hinzu, und alle Stammgäste lachten; denn jedermann wußte, daß König Friedrich sich doch noch besser auf Punsch verstand, als seine Bauern. Lauritzen hatte herzlich über die Erzählung des Geheimrath gelacht, und als nun die Unterhaltung weiter ging, da saß er nachdenklich in seinem Stuhl und dachte nach. So also erzählt man Geschichten! Es war ein ganz hübscher Zeitvertreib. Aber er, der Etatsrat, hatte doch eigentlich nicht nötig, andern Leuten die Zeit zu vertreiben. Als er sich daher später von seinen neuen Freunden verabschiedete, nahm er sich gleich vor, selbst keine Geschichte zu er¬ zählen. Am andern Abend fand er sich wieder rechtzeitig in der Weinstube ein, und der Geheimrat nickte ihm wohlwollend zu. Setzen Sie sich zu mir, lieber Etatsrat. Heute wissen Sie doch eine Geschichte?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/50>, abgerufen am 23.07.2024.