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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Der Mangel an geschichtlichem Sinn

mästeten. Aber damit geraten wir wieder in die Nähe dessen, wovon hier
nicht die Rede sein soll; wer will, kann sich darüber bei Flürscheim aufs beste
Rats erholen. Hier soll nur gesagt werden, daß das durch Fleiß und Spar¬
samkeit angesammelte womöglich jeden Augenblick wieder in Fluß gebracht
werden muß zur Anregung und Auffrischung der Kräfte, auf deren lebens¬
voller Bethätigung allein die Hoffnung fröhlichen Gedeihens beruht.

Heraus denu, deutsches Volk, mit dem, was du hast, mag es dir nun in
Form von Anleihen oder in der Form von Bier- und Branntwein-, von
Börsen- und andern Steuern abgetropft werden! Es soll ja nicht angelegt
werden zur Erzeugung von Werten, die Motten und Rost fressen, sondern zu
immer höherer Anhäufung des Schatzes, aus dein, wie aus einem immer leben¬
digen Quell, dein nationales Leben hervorstießt! Will der Teufel jemand
fangen, so hüllt er sich in das Gewand, das für seine jeweiligen Absichten
passend ist. Wenn jetzt, wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten, viele Pro¬
pheten in deiner Mitte auftreten und behaupten, daß du in deinen Leistungen
schon an die Grenze des möglichen gekommen seist, und daß dich die neuen
Forderungen darüber hinausführen müßten, so glaube ihnen nicht, glaube ihnen
deshalb nicht, weil sie sich an das wenden, was schwach und sterblich in dir ist,
weil sie dir schmeicheln und dich bethören wollen, als wenn sie dir wie vom
Berge der Verheißung ein Land zeigten, in dem nnr Milch und Honig fließt.

Aber dieses Land ist nicht das Leben, das der Deutsche führen soll,
sondern das liegt, wie einst die Erdcnfcchrt des Herakles, in Mühseligkeit und
Beladenheit. Einmal muß es aber doch aufhören! hört man so hünfig auf
den Bierbänlen der Kneipenpolitiker. Nein, es wird nicht und es soll auch
gar nicht aufhören. Mit Freudigkeit sollen wir, wo es notthut, neue Lasten
auf unsre Schultern nehmen, um zu verhindern, daß wir in der Freude des
Daseins uns selber vergessen.

Die deutsche Armee soll vermehrt und endlich mit ungeheuern Mitteln
in die Verfassung gebracht werden, die einst als höchstes Ideal dem schöpfe¬
rischen Geiste Scharnhorsts vorschwebte. Das heißt nicht, daß irgend eine
beliebige Institution des Landes einer Reform entgegengeführt werden soll,
auch nicht allein, daß mit dieser Änderung einer von anßen drohenden
Gefahr begegnet werden soll, sondern daß der Einrichtung unsers Staates
der folgerichtige Abschluß gegeben werden soll, der das teuerste Kleinod unsers
Lebens ist, der nicht allein in siegreichen Kriegen ein glänzendes Kleinod war,
sondern es zu jeder Zeit und auch im Frieden ist. Denn das deutsche Heer
ist nicht eine, sondern es ist die Schule, durch die das ganze nationale Da¬
sein hindurch geht, um die denkbar beste Erziehung zu erlangen. Es ist auch
schon vorbildlich die Form des Sozialismus, in die wir im bürgerliche" Leben
erst noch hineinwachsen sollen -- auch hineinwachsen müssen, wenn wir die
Zeichen der Zeit verstehen



Der Mangel an geschichtlichem Sinn

mästeten. Aber damit geraten wir wieder in die Nähe dessen, wovon hier
nicht die Rede sein soll; wer will, kann sich darüber bei Flürscheim aufs beste
Rats erholen. Hier soll nur gesagt werden, daß das durch Fleiß und Spar¬
samkeit angesammelte womöglich jeden Augenblick wieder in Fluß gebracht
werden muß zur Anregung und Auffrischung der Kräfte, auf deren lebens¬
voller Bethätigung allein die Hoffnung fröhlichen Gedeihens beruht.

Heraus denu, deutsches Volk, mit dem, was du hast, mag es dir nun in
Form von Anleihen oder in der Form von Bier- und Branntwein-, von
Börsen- und andern Steuern abgetropft werden! Es soll ja nicht angelegt
werden zur Erzeugung von Werten, die Motten und Rost fressen, sondern zu
immer höherer Anhäufung des Schatzes, aus dein, wie aus einem immer leben¬
digen Quell, dein nationales Leben hervorstießt! Will der Teufel jemand
fangen, so hüllt er sich in das Gewand, das für seine jeweiligen Absichten
passend ist. Wenn jetzt, wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten, viele Pro¬
pheten in deiner Mitte auftreten und behaupten, daß du in deinen Leistungen
schon an die Grenze des möglichen gekommen seist, und daß dich die neuen
Forderungen darüber hinausführen müßten, so glaube ihnen nicht, glaube ihnen
deshalb nicht, weil sie sich an das wenden, was schwach und sterblich in dir ist,
weil sie dir schmeicheln und dich bethören wollen, als wenn sie dir wie vom
Berge der Verheißung ein Land zeigten, in dem nnr Milch und Honig fließt.

Aber dieses Land ist nicht das Leben, das der Deutsche führen soll,
sondern das liegt, wie einst die Erdcnfcchrt des Herakles, in Mühseligkeit und
Beladenheit. Einmal muß es aber doch aufhören! hört man so hünfig auf
den Bierbänlen der Kneipenpolitiker. Nein, es wird nicht und es soll auch
gar nicht aufhören. Mit Freudigkeit sollen wir, wo es notthut, neue Lasten
auf unsre Schultern nehmen, um zu verhindern, daß wir in der Freude des
Daseins uns selber vergessen.

Die deutsche Armee soll vermehrt und endlich mit ungeheuern Mitteln
in die Verfassung gebracht werden, die einst als höchstes Ideal dem schöpfe¬
rischen Geiste Scharnhorsts vorschwebte. Das heißt nicht, daß irgend eine
beliebige Institution des Landes einer Reform entgegengeführt werden soll,
auch nicht allein, daß mit dieser Änderung einer von anßen drohenden
Gefahr begegnet werden soll, sondern daß der Einrichtung unsers Staates
der folgerichtige Abschluß gegeben werden soll, der das teuerste Kleinod unsers
Lebens ist, der nicht allein in siegreichen Kriegen ein glänzendes Kleinod war,
sondern es zu jeder Zeit und auch im Frieden ist. Denn das deutsche Heer
ist nicht eine, sondern es ist die Schule, durch die das ganze nationale Da¬
sein hindurch geht, um die denkbar beste Erziehung zu erlangen. Es ist auch
schon vorbildlich die Form des Sozialismus, in die wir im bürgerliche» Leben
erst noch hineinwachsen sollen — auch hineinwachsen müssen, wenn wir die
Zeichen der Zeit verstehen



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[0497] Der Mangel an geschichtlichem Sinn mästeten. Aber damit geraten wir wieder in die Nähe dessen, wovon hier nicht die Rede sein soll; wer will, kann sich darüber bei Flürscheim aufs beste Rats erholen. Hier soll nur gesagt werden, daß das durch Fleiß und Spar¬ samkeit angesammelte womöglich jeden Augenblick wieder in Fluß gebracht werden muß zur Anregung und Auffrischung der Kräfte, auf deren lebens¬ voller Bethätigung allein die Hoffnung fröhlichen Gedeihens beruht. Heraus denu, deutsches Volk, mit dem, was du hast, mag es dir nun in Form von Anleihen oder in der Form von Bier- und Branntwein-, von Börsen- und andern Steuern abgetropft werden! Es soll ja nicht angelegt werden zur Erzeugung von Werten, die Motten und Rost fressen, sondern zu immer höherer Anhäufung des Schatzes, aus dein, wie aus einem immer leben¬ digen Quell, dein nationales Leben hervorstießt! Will der Teufel jemand fangen, so hüllt er sich in das Gewand, das für seine jeweiligen Absichten passend ist. Wenn jetzt, wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten, viele Pro¬ pheten in deiner Mitte auftreten und behaupten, daß du in deinen Leistungen schon an die Grenze des möglichen gekommen seist, und daß dich die neuen Forderungen darüber hinausführen müßten, so glaube ihnen nicht, glaube ihnen deshalb nicht, weil sie sich an das wenden, was schwach und sterblich in dir ist, weil sie dir schmeicheln und dich bethören wollen, als wenn sie dir wie vom Berge der Verheißung ein Land zeigten, in dem nnr Milch und Honig fließt. Aber dieses Land ist nicht das Leben, das der Deutsche führen soll, sondern das liegt, wie einst die Erdcnfcchrt des Herakles, in Mühseligkeit und Beladenheit. Einmal muß es aber doch aufhören! hört man so hünfig auf den Bierbänlen der Kneipenpolitiker. Nein, es wird nicht und es soll auch gar nicht aufhören. Mit Freudigkeit sollen wir, wo es notthut, neue Lasten auf unsre Schultern nehmen, um zu verhindern, daß wir in der Freude des Daseins uns selber vergessen. Die deutsche Armee soll vermehrt und endlich mit ungeheuern Mitteln in die Verfassung gebracht werden, die einst als höchstes Ideal dem schöpfe¬ rischen Geiste Scharnhorsts vorschwebte. Das heißt nicht, daß irgend eine beliebige Institution des Landes einer Reform entgegengeführt werden soll, auch nicht allein, daß mit dieser Änderung einer von anßen drohenden Gefahr begegnet werden soll, sondern daß der Einrichtung unsers Staates der folgerichtige Abschluß gegeben werden soll, der das teuerste Kleinod unsers Lebens ist, der nicht allein in siegreichen Kriegen ein glänzendes Kleinod war, sondern es zu jeder Zeit und auch im Frieden ist. Denn das deutsche Heer ist nicht eine, sondern es ist die Schule, durch die das ganze nationale Da¬ sein hindurch geht, um die denkbar beste Erziehung zu erlangen. Es ist auch schon vorbildlich die Form des Sozialismus, in die wir im bürgerliche» Leben erst noch hineinwachsen sollen — auch hineinwachsen müssen, wenn wir die Zeichen der Zeit verstehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/497>, abgerufen am 23.07.2024.