Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Neue Novellen Sache gewaltig verschlimmert. Es fehlt uns eben an jeglicher Methode zu (Schluß folgt) Neue Novellen ut ist es doch, daß wir als Quintaner die Geschichte des Da¬ Neue Novellen Sache gewaltig verschlimmert. Es fehlt uns eben an jeglicher Methode zu (Schluß folgt) Neue Novellen ut ist es doch, daß wir als Quintaner die Geschichte des Da¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214931"/> <fw type="header" place="top"> Neue Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1837" prev="#ID_1836"> Sache gewaltig verschlimmert. Es fehlt uns eben an jeglicher Methode zu<lb/> reisen. Wir ersticken sast in pädagogischen Erörterungen; alle einzelnen Lehr¬<lb/> gegenständchen, alle nützlichen und praktischen Thätigkeiten haben ihre mit<lb/> einander streitenden und wetteifernden Theorien und Lehrgänge; nur eine so<lb/> wichtige „Disziplin" wie das Reisen wird ohne die Frage gelassen: Wie soll<lb/> man reisen? oder gar bloß auf die Menge, auf die Kilometerzahl gerichtet. Wer<lb/> nach Chicago zur Weltausstellung fährt, kommt natürlich als ein ganz andrer<lb/> Kerl zurück, als der, der sich etwa „nur" eine Reise nach Nürnberg oder<lb/> München leistet. So meint er selber, und — „man" im Durchschnitt auch.<lb/> Und dabei kommt der eine vielleicht um nichts als die verworrene Erinnerung<lb/> an allerhand Trubel bereichert und um etliche hundert Dollars leichter zurück,<lb/> während der andre Geist und Herz mit wertvollen und für das ganze Leben<lb/> nachwirkender Genüssen erfüllt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1838"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Neue Novellen</head><lb/> <p xml:id="ID_1839" next="#ID_1840"> ut ist es doch, daß wir als Quintaner die Geschichte des Da¬<lb/> mastes von Eleusis, des gefürchteten Prokrustes, gehört haben,<lb/> der seine kurzen Gäste auf seinem Bett zu Tode streckte, seinen<lb/> laugen Gästen aber Arme und Beine abhackte, bis sie für das<lb/> verwünschte Lager gerade Päßler. Der grimmige Ausstrecker ist<lb/> zwar schon von Theseus erschlagen worden und brauchte uns gegenwärtig<lb/> keine Sorge mehr zu machen. Aber seine ruchlose Thätigkeit wird fleißig<lb/> weiter geübt, und es ist fast unglaublich, wo man überall den Spuren des<lb/> Ungeheuers begegnen muß. Gestreckt und gekürzt, gestreckt, bis alle Glieder<lb/> aus den Fugen gehen, gekürzt, bis der letzte Blutstropfen aus dem Leibe ist,<lb/> werden vor allen Dingen litterarische Arbeiten. Namentlich die Erzähler können<lb/> berichten, daß fast jede Redaktion ein andres Prokrustesbett ist. Die eine<lb/> braucht Fortsetzungen, die genau ein Vierteljahr lang dauern, die andre kann<lb/> nichts „annehmen," was sich nicht in dem Rahmen von zwölf bis sechzehn<lb/> Spalten hält; die „Schriftleitung" großer Zeitungen findet es angemessen, nur<lb/> Erzählungen zu drucken, denen man wenigstens ihrem Umfange nach den Titel<lb/> Roman verleihen kann (die meisten modernen „Einbänder" sind nichts als<lb/> „gestreckte" Novellen), die „Schriftleitung" wöchentlich einmal erscheinender<lb/> Blätter empfiehlt den Autoren „die graziöse, von den amerikanischen Novel¬<lb/> listen zur klassischen Form durchgebildete «dort fuor/" (die in Wahrheit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0476]
Neue Novellen
Sache gewaltig verschlimmert. Es fehlt uns eben an jeglicher Methode zu
reisen. Wir ersticken sast in pädagogischen Erörterungen; alle einzelnen Lehr¬
gegenständchen, alle nützlichen und praktischen Thätigkeiten haben ihre mit
einander streitenden und wetteifernden Theorien und Lehrgänge; nur eine so
wichtige „Disziplin" wie das Reisen wird ohne die Frage gelassen: Wie soll
man reisen? oder gar bloß auf die Menge, auf die Kilometerzahl gerichtet. Wer
nach Chicago zur Weltausstellung fährt, kommt natürlich als ein ganz andrer
Kerl zurück, als der, der sich etwa „nur" eine Reise nach Nürnberg oder
München leistet. So meint er selber, und — „man" im Durchschnitt auch.
Und dabei kommt der eine vielleicht um nichts als die verworrene Erinnerung
an allerhand Trubel bereichert und um etliche hundert Dollars leichter zurück,
während der andre Geist und Herz mit wertvollen und für das ganze Leben
nachwirkender Genüssen erfüllt hat.
(Schluß folgt)
Neue Novellen
ut ist es doch, daß wir als Quintaner die Geschichte des Da¬
mastes von Eleusis, des gefürchteten Prokrustes, gehört haben,
der seine kurzen Gäste auf seinem Bett zu Tode streckte, seinen
laugen Gästen aber Arme und Beine abhackte, bis sie für das
verwünschte Lager gerade Päßler. Der grimmige Ausstrecker ist
zwar schon von Theseus erschlagen worden und brauchte uns gegenwärtig
keine Sorge mehr zu machen. Aber seine ruchlose Thätigkeit wird fleißig
weiter geübt, und es ist fast unglaublich, wo man überall den Spuren des
Ungeheuers begegnen muß. Gestreckt und gekürzt, gestreckt, bis alle Glieder
aus den Fugen gehen, gekürzt, bis der letzte Blutstropfen aus dem Leibe ist,
werden vor allen Dingen litterarische Arbeiten. Namentlich die Erzähler können
berichten, daß fast jede Redaktion ein andres Prokrustesbett ist. Die eine
braucht Fortsetzungen, die genau ein Vierteljahr lang dauern, die andre kann
nichts „annehmen," was sich nicht in dem Rahmen von zwölf bis sechzehn
Spalten hält; die „Schriftleitung" großer Zeitungen findet es angemessen, nur
Erzählungen zu drucken, denen man wenigstens ihrem Umfange nach den Titel
Roman verleihen kann (die meisten modernen „Einbänder" sind nichts als
„gestreckte" Novellen), die „Schriftleitung" wöchentlich einmal erscheinender
Blätter empfiehlt den Autoren „die graziöse, von den amerikanischen Novel¬
listen zur klassischen Form durchgebildete «dort fuor/" (die in Wahrheit
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