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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

läßt sich das Verhalten unsrer Spreeathener auf Reisen und Touren mit
ihnen in Deutschland selber beobachten; im Auslande hebt sich der Gegensatz
zu andern Deutschen nicht so scharf ab.

Ich habe einst mit lieben Freunden aus Berlin, tüchtigen, gescheiten,
daneben natürlich etwas schnoddrigen Leuten, als Student vom wunderschönen
Heidelberg aus Odenwald- und Schwarzwaldtouren gemacht, und wenn wir
uns verregnet und halb verirrt in das elendeste kleine Eiuödhcius flüchteten,
wo nebenbei ein bischen Gastwirtschaft für Landbriefträger und Waldarbeiter
betrieben wurde -- damals blühte das Sommerfrischen- und Luftknrortwesen
noch uicht so auf diesen weltentrückten Hohen --, da forderten sie dann stets
ein Glas Bier und ein belegtes Butterbrot. Das war gerade so, als
wollte jemand auf Rügen ein Viertel "Neuen" und ein saures Leberle ver¬
langen. Was half alles predigen, ein Zwctschgenwasser könnten sie haben und
ein paar Eier, vielleicht eine Landjügerwurst oder "Servila" (Cervelat, eine
kleine kugelige Fleischwurst) und ein Glas nicht vom schlechtesten Landwein --
nein, es wurde fortrüsonnirt, und bei der nächsten derartigen Einkehr ging es
gerade wieder so. In Tirol nicht weit von Wörgl lind Kufstein saßen wir
einmal in der Kantine eines kleinen Bergwerks oder vielmehr daran, nämlich
auf dem schmalen Bret, das als Bank außen an dem Verschlag befestigt war,
und ließen die Beine über den fast hundert Meter tiefen Abgrund baumeln.
Die Arbeiter, die auch gerade frühstückten, waren freundlich zusammengerückt,
und wie sie, schnitten auch wir mit dem Taschenmesser in das gemeinsame Brot
und stocherten außerdem in einem opulenten Spiegeleiermahl herum. Gerade
wurde auch ein Fäßchen schäumenden Biers angesteckt -- da bestellt so ein
Unglücksmensch vom grünen Strand der Spree -- Brauselimonade! Und dann
der Lärm, weil keine dawar! Daß ein Berliner zu irgend einer andern
Mundart je das geringste Verhältnis gewönne, kommt auch kaum vor, es ist
das beste, sie versuchens gar nicht, denn die mit lauter falschen sah-Lauten
vermengte Jüdelei, die sie dann für "süddeutsch" ausgeben (die großen Unter¬
schiede der bairischen, der alamannischen und der fränkischen Mundart merken sie
gar nicht), genügt, einen geradezu wild zu machen. Das widerwärtigste und
unzuträglichste aber ist das ewige und sich nie genug thuende Witzeln und spöt¬
tische Fragen über alles und jedes, was ander ists als in Berlin und Steglitz,
seis Speise und Trank, seis Lebensgewohnheit, seis einfacher, offner Sinn, und
vor allem über das, was wirklich besser ist. Seit Jahren schon ist mir aufgefallen,
daß immer im späten September und im Oktober ein Hauch erneuter Preußen-
nbueiguug durch die Baiern und ihre kleine lokale Presse geht, und daß man anch
sonst in süddeutschen Landen gerade um diese Zeit das alte böse Wort vom "hun¬
grige Preiß" wieder zu hören bekommt. Wie soll das gerade um diese Zeit ent¬
stehen, wenn nicht als unwillkürlicher Nachruf an den eben wieder abgezognen
Schwarm des Berliner und verwandten Sommerfrischler- und Tvuristentums?


Allerlei vom Reisen

läßt sich das Verhalten unsrer Spreeathener auf Reisen und Touren mit
ihnen in Deutschland selber beobachten; im Auslande hebt sich der Gegensatz
zu andern Deutschen nicht so scharf ab.

Ich habe einst mit lieben Freunden aus Berlin, tüchtigen, gescheiten,
daneben natürlich etwas schnoddrigen Leuten, als Student vom wunderschönen
Heidelberg aus Odenwald- und Schwarzwaldtouren gemacht, und wenn wir
uns verregnet und halb verirrt in das elendeste kleine Eiuödhcius flüchteten,
wo nebenbei ein bischen Gastwirtschaft für Landbriefträger und Waldarbeiter
betrieben wurde — damals blühte das Sommerfrischen- und Luftknrortwesen
noch uicht so auf diesen weltentrückten Hohen —, da forderten sie dann stets
ein Glas Bier und ein belegtes Butterbrot. Das war gerade so, als
wollte jemand auf Rügen ein Viertel „Neuen" und ein saures Leberle ver¬
langen. Was half alles predigen, ein Zwctschgenwasser könnten sie haben und
ein paar Eier, vielleicht eine Landjügerwurst oder „Servila" (Cervelat, eine
kleine kugelige Fleischwurst) und ein Glas nicht vom schlechtesten Landwein —
nein, es wurde fortrüsonnirt, und bei der nächsten derartigen Einkehr ging es
gerade wieder so. In Tirol nicht weit von Wörgl lind Kufstein saßen wir
einmal in der Kantine eines kleinen Bergwerks oder vielmehr daran, nämlich
auf dem schmalen Bret, das als Bank außen an dem Verschlag befestigt war,
und ließen die Beine über den fast hundert Meter tiefen Abgrund baumeln.
Die Arbeiter, die auch gerade frühstückten, waren freundlich zusammengerückt,
und wie sie, schnitten auch wir mit dem Taschenmesser in das gemeinsame Brot
und stocherten außerdem in einem opulenten Spiegeleiermahl herum. Gerade
wurde auch ein Fäßchen schäumenden Biers angesteckt — da bestellt so ein
Unglücksmensch vom grünen Strand der Spree — Brauselimonade! Und dann
der Lärm, weil keine dawar! Daß ein Berliner zu irgend einer andern
Mundart je das geringste Verhältnis gewönne, kommt auch kaum vor, es ist
das beste, sie versuchens gar nicht, denn die mit lauter falschen sah-Lauten
vermengte Jüdelei, die sie dann für „süddeutsch" ausgeben (die großen Unter¬
schiede der bairischen, der alamannischen und der fränkischen Mundart merken sie
gar nicht), genügt, einen geradezu wild zu machen. Das widerwärtigste und
unzuträglichste aber ist das ewige und sich nie genug thuende Witzeln und spöt¬
tische Fragen über alles und jedes, was ander ists als in Berlin und Steglitz,
seis Speise und Trank, seis Lebensgewohnheit, seis einfacher, offner Sinn, und
vor allem über das, was wirklich besser ist. Seit Jahren schon ist mir aufgefallen,
daß immer im späten September und im Oktober ein Hauch erneuter Preußen-
nbueiguug durch die Baiern und ihre kleine lokale Presse geht, und daß man anch
sonst in süddeutschen Landen gerade um diese Zeit das alte böse Wort vom „hun¬
grige Preiß" wieder zu hören bekommt. Wie soll das gerade um diese Zeit ent¬
stehen, wenn nicht als unwillkürlicher Nachruf an den eben wieder abgezognen
Schwarm des Berliner und verwandten Sommerfrischler- und Tvuristentums?


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[0473] Allerlei vom Reisen läßt sich das Verhalten unsrer Spreeathener auf Reisen und Touren mit ihnen in Deutschland selber beobachten; im Auslande hebt sich der Gegensatz zu andern Deutschen nicht so scharf ab. Ich habe einst mit lieben Freunden aus Berlin, tüchtigen, gescheiten, daneben natürlich etwas schnoddrigen Leuten, als Student vom wunderschönen Heidelberg aus Odenwald- und Schwarzwaldtouren gemacht, und wenn wir uns verregnet und halb verirrt in das elendeste kleine Eiuödhcius flüchteten, wo nebenbei ein bischen Gastwirtschaft für Landbriefträger und Waldarbeiter betrieben wurde — damals blühte das Sommerfrischen- und Luftknrortwesen noch uicht so auf diesen weltentrückten Hohen —, da forderten sie dann stets ein Glas Bier und ein belegtes Butterbrot. Das war gerade so, als wollte jemand auf Rügen ein Viertel „Neuen" und ein saures Leberle ver¬ langen. Was half alles predigen, ein Zwctschgenwasser könnten sie haben und ein paar Eier, vielleicht eine Landjügerwurst oder „Servila" (Cervelat, eine kleine kugelige Fleischwurst) und ein Glas nicht vom schlechtesten Landwein — nein, es wurde fortrüsonnirt, und bei der nächsten derartigen Einkehr ging es gerade wieder so. In Tirol nicht weit von Wörgl lind Kufstein saßen wir einmal in der Kantine eines kleinen Bergwerks oder vielmehr daran, nämlich auf dem schmalen Bret, das als Bank außen an dem Verschlag befestigt war, und ließen die Beine über den fast hundert Meter tiefen Abgrund baumeln. Die Arbeiter, die auch gerade frühstückten, waren freundlich zusammengerückt, und wie sie, schnitten auch wir mit dem Taschenmesser in das gemeinsame Brot und stocherten außerdem in einem opulenten Spiegeleiermahl herum. Gerade wurde auch ein Fäßchen schäumenden Biers angesteckt — da bestellt so ein Unglücksmensch vom grünen Strand der Spree — Brauselimonade! Und dann der Lärm, weil keine dawar! Daß ein Berliner zu irgend einer andern Mundart je das geringste Verhältnis gewönne, kommt auch kaum vor, es ist das beste, sie versuchens gar nicht, denn die mit lauter falschen sah-Lauten vermengte Jüdelei, die sie dann für „süddeutsch" ausgeben (die großen Unter¬ schiede der bairischen, der alamannischen und der fränkischen Mundart merken sie gar nicht), genügt, einen geradezu wild zu machen. Das widerwärtigste und unzuträglichste aber ist das ewige und sich nie genug thuende Witzeln und spöt¬ tische Fragen über alles und jedes, was ander ists als in Berlin und Steglitz, seis Speise und Trank, seis Lebensgewohnheit, seis einfacher, offner Sinn, und vor allem über das, was wirklich besser ist. Seit Jahren schon ist mir aufgefallen, daß immer im späten September und im Oktober ein Hauch erneuter Preußen- nbueiguug durch die Baiern und ihre kleine lokale Presse geht, und daß man anch sonst in süddeutschen Landen gerade um diese Zeit das alte böse Wort vom „hun¬ grige Preiß" wieder zu hören bekommt. Wie soll das gerade um diese Zeit ent¬ stehen, wenn nicht als unwillkürlicher Nachruf an den eben wieder abgezognen Schwarm des Berliner und verwandten Sommerfrischler- und Tvuristentums?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/473>, abgerufen am 29.09.2024.