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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

von winzigen Vorsprüngen an den grauen Wänden empor, ihre Wurzeln mit
suchenden Anklammern umherstreckend, Moos, Frauenhaar, Farnwedel hängen
feucht an dem überrieselten Gestein herab, und alles drängt sich an die Fenster,
um -- nach dem blechernen Hirsch zu spähen, den der Verschönerungsverein
auf eine der Felszacken gestellt hat, und macht sich nach der Weiterfahrt noch
eine Viertelstunde lang mit der ganzen überlegnen Befriedigung des Philisters
über den kurzsichtigen Professor der Philologie lustig, der geglaubt hat, da
stehe ein wirklicher Hirsch! -- So, Sie waren auch in Herrenchiemsee? Haben
Sie auch gesehen, daß der Führer die eine Thür nicht aufgemacht hat? Da
wirds wohl gewesen sein? -- Meinen Sie? -- Wer wird sich nnr die Blöße
geben, zu fragen, was da gewesen sein soll. Die beiden Damen tuscheln ge¬
heimnisvoll weiter, während die blauen Wasser des Chiemsees am Bug auf¬
schäumen und die sinkende Sonne die Schindeldächer und Baumgruppen der
Fraueninsel übergoldet und mit breitem Schein ans dem Hochgern liegt und
auf der ragenden Kcnnpenwcmd, und überall auf dem Dampfer zischelts und
räsonnirts über den armen König, und nur hie und da ist einer, der ehrlich
äußert, wie ihn all der leere Prunk und Glanz der Schloßsäle mit Be-
wundrung erfüllt habe. Aber dazu reiches kaum bei einem, sich in die
eigenthümliche, zugleich aus überreizter Laune und aus Resignation geborene
Stimmung zu vertiefen, die auf menschenfernen Eiland dieses neue Versailles
hat entstehen lassen wollen. -- Was ist denn das da drüben? fragt zwischendurch
ein andrer. -- Die Fraueninsel. -- Ist da auch was los? -- Nein. -- Da
soll übrigens ein ulkiges Fremdenbuch sein, bemerkt ein dritter. -- Na, jetzt
ists zu spät. Sonst ist also nichts dort los? -- Wie gesagt, nein. -- Möge
der gütige Himmel der kleinen Gemeinde auf der Fraueuinsel uoch lange ge¬
währen, daß solcher Stumpfsinn weiter gedeihe, und wenn hier und dort das
unglückseligerweise einmal für eine illustrirte Zeitung ausgebeutete Maler- und
Dichterbuch Neugierige zu Attacken auf die Insel verleitet, wo sonst "nichts
los ist,", daß dann die grobe Unzugänglichkeit des Stammtisches unter den
beiden Linden auch fernerhin dagegen schütze!

Und wenn nun all diese Ausflügler wieder nach Hause kommen, was ist
ihnen dann geblieben? Des modernen Menschen Neise währt dreißig, Wenns
hoch kommt fünfundvierzig Tage, und wenns köstlich gewesen, das heißt wenn
nichts pcissirt ist, so ists Langeweile und Ärger gewesen. Mitgebracht fürs
Leben, gelernt haben sie nichts. Zur Landschaft mögen sie in den Alpen oder
in Norwegen ein sie befriedigendes Verhältnis gewonnen haben, feinerer land¬
schaftlicher Reiz wird ihnen auch dort verborgen geblieben sein, die italische
Landschaft hat sie enttäuscht; dem Volke sind sie nirgends näher getreten,
sondern immer nur den Ausbeutern (sie kamen eben immer nur an die Orte alt-
betriebner oder schnellgelernter Fremdenindustrie), die peinliche Unkenntnis der
Sprache hat sie an jedem Verkehr über die gewerbsmäßigen Fremdenspediteure


Allerlei vom Reisen

von winzigen Vorsprüngen an den grauen Wänden empor, ihre Wurzeln mit
suchenden Anklammern umherstreckend, Moos, Frauenhaar, Farnwedel hängen
feucht an dem überrieselten Gestein herab, und alles drängt sich an die Fenster,
um — nach dem blechernen Hirsch zu spähen, den der Verschönerungsverein
auf eine der Felszacken gestellt hat, und macht sich nach der Weiterfahrt noch
eine Viertelstunde lang mit der ganzen überlegnen Befriedigung des Philisters
über den kurzsichtigen Professor der Philologie lustig, der geglaubt hat, da
stehe ein wirklicher Hirsch! — So, Sie waren auch in Herrenchiemsee? Haben
Sie auch gesehen, daß der Führer die eine Thür nicht aufgemacht hat? Da
wirds wohl gewesen sein? — Meinen Sie? — Wer wird sich nnr die Blöße
geben, zu fragen, was da gewesen sein soll. Die beiden Damen tuscheln ge¬
heimnisvoll weiter, während die blauen Wasser des Chiemsees am Bug auf¬
schäumen und die sinkende Sonne die Schindeldächer und Baumgruppen der
Fraueninsel übergoldet und mit breitem Schein ans dem Hochgern liegt und
auf der ragenden Kcnnpenwcmd, und überall auf dem Dampfer zischelts und
räsonnirts über den armen König, und nur hie und da ist einer, der ehrlich
äußert, wie ihn all der leere Prunk und Glanz der Schloßsäle mit Be-
wundrung erfüllt habe. Aber dazu reiches kaum bei einem, sich in die
eigenthümliche, zugleich aus überreizter Laune und aus Resignation geborene
Stimmung zu vertiefen, die auf menschenfernen Eiland dieses neue Versailles
hat entstehen lassen wollen. — Was ist denn das da drüben? fragt zwischendurch
ein andrer. — Die Fraueninsel. — Ist da auch was los? — Nein. — Da
soll übrigens ein ulkiges Fremdenbuch sein, bemerkt ein dritter. — Na, jetzt
ists zu spät. Sonst ist also nichts dort los? — Wie gesagt, nein. — Möge
der gütige Himmel der kleinen Gemeinde auf der Fraueuinsel uoch lange ge¬
währen, daß solcher Stumpfsinn weiter gedeihe, und wenn hier und dort das
unglückseligerweise einmal für eine illustrirte Zeitung ausgebeutete Maler- und
Dichterbuch Neugierige zu Attacken auf die Insel verleitet, wo sonst „nichts
los ist,", daß dann die grobe Unzugänglichkeit des Stammtisches unter den
beiden Linden auch fernerhin dagegen schütze!

Und wenn nun all diese Ausflügler wieder nach Hause kommen, was ist
ihnen dann geblieben? Des modernen Menschen Neise währt dreißig, Wenns
hoch kommt fünfundvierzig Tage, und wenns köstlich gewesen, das heißt wenn
nichts pcissirt ist, so ists Langeweile und Ärger gewesen. Mitgebracht fürs
Leben, gelernt haben sie nichts. Zur Landschaft mögen sie in den Alpen oder
in Norwegen ein sie befriedigendes Verhältnis gewonnen haben, feinerer land¬
schaftlicher Reiz wird ihnen auch dort verborgen geblieben sein, die italische
Landschaft hat sie enttäuscht; dem Volke sind sie nirgends näher getreten,
sondern immer nur den Ausbeutern (sie kamen eben immer nur an die Orte alt-
betriebner oder schnellgelernter Fremdenindustrie), die peinliche Unkenntnis der
Sprache hat sie an jedem Verkehr über die gewerbsmäßigen Fremdenspediteure


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[0471] Allerlei vom Reisen von winzigen Vorsprüngen an den grauen Wänden empor, ihre Wurzeln mit suchenden Anklammern umherstreckend, Moos, Frauenhaar, Farnwedel hängen feucht an dem überrieselten Gestein herab, und alles drängt sich an die Fenster, um — nach dem blechernen Hirsch zu spähen, den der Verschönerungsverein auf eine der Felszacken gestellt hat, und macht sich nach der Weiterfahrt noch eine Viertelstunde lang mit der ganzen überlegnen Befriedigung des Philisters über den kurzsichtigen Professor der Philologie lustig, der geglaubt hat, da stehe ein wirklicher Hirsch! — So, Sie waren auch in Herrenchiemsee? Haben Sie auch gesehen, daß der Führer die eine Thür nicht aufgemacht hat? Da wirds wohl gewesen sein? — Meinen Sie? — Wer wird sich nnr die Blöße geben, zu fragen, was da gewesen sein soll. Die beiden Damen tuscheln ge¬ heimnisvoll weiter, während die blauen Wasser des Chiemsees am Bug auf¬ schäumen und die sinkende Sonne die Schindeldächer und Baumgruppen der Fraueninsel übergoldet und mit breitem Schein ans dem Hochgern liegt und auf der ragenden Kcnnpenwcmd, und überall auf dem Dampfer zischelts und räsonnirts über den armen König, und nur hie und da ist einer, der ehrlich äußert, wie ihn all der leere Prunk und Glanz der Schloßsäle mit Be- wundrung erfüllt habe. Aber dazu reiches kaum bei einem, sich in die eigenthümliche, zugleich aus überreizter Laune und aus Resignation geborene Stimmung zu vertiefen, die auf menschenfernen Eiland dieses neue Versailles hat entstehen lassen wollen. — Was ist denn das da drüben? fragt zwischendurch ein andrer. — Die Fraueninsel. — Ist da auch was los? — Nein. — Da soll übrigens ein ulkiges Fremdenbuch sein, bemerkt ein dritter. — Na, jetzt ists zu spät. Sonst ist also nichts dort los? — Wie gesagt, nein. — Möge der gütige Himmel der kleinen Gemeinde auf der Fraueuinsel uoch lange ge¬ währen, daß solcher Stumpfsinn weiter gedeihe, und wenn hier und dort das unglückseligerweise einmal für eine illustrirte Zeitung ausgebeutete Maler- und Dichterbuch Neugierige zu Attacken auf die Insel verleitet, wo sonst „nichts los ist,", daß dann die grobe Unzugänglichkeit des Stammtisches unter den beiden Linden auch fernerhin dagegen schütze! Und wenn nun all diese Ausflügler wieder nach Hause kommen, was ist ihnen dann geblieben? Des modernen Menschen Neise währt dreißig, Wenns hoch kommt fünfundvierzig Tage, und wenns köstlich gewesen, das heißt wenn nichts pcissirt ist, so ists Langeweile und Ärger gewesen. Mitgebracht fürs Leben, gelernt haben sie nichts. Zur Landschaft mögen sie in den Alpen oder in Norwegen ein sie befriedigendes Verhältnis gewonnen haben, feinerer land¬ schaftlicher Reiz wird ihnen auch dort verborgen geblieben sein, die italische Landschaft hat sie enttäuscht; dem Volke sind sie nirgends näher getreten, sondern immer nur den Ausbeutern (sie kamen eben immer nur an die Orte alt- betriebner oder schnellgelernter Fremdenindustrie), die peinliche Unkenntnis der Sprache hat sie an jedem Verkehr über die gewerbsmäßigen Fremdenspediteure

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/471>, abgerufen am 29.09.2024.