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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

mit ihr verlobt und ihr ewige Treue geschworen hatte, sich von ihr losgesagt,
nachdem er Student geworden war.

Sie war wohl aus einer guten Familie gewesen, aber ganz arm. Als
Primaner, wo man Schillersche Gedichte lernt, erscheint Armut der Liebe nicht
hinderlich; als Student wird man schon vernünftiger. Bald nach seiner Im¬
matrikulation war Peter Lanritzen die Unvernunft seiner Verlobung unheim¬
lich klar geworden, und er hatte der reizenden Therese einen Abschiedsbrief
geschrieben, an den er noch heute mit Stolz dachte. Dieser Abschiedsbrief
war wie ein Schwamm gewesen. Er hatte alle Thorheit und Unvernunft, die
sich möglicherweise noch in seinem Herzen befand, weggewischt und die Erinne¬
rung an das Vergangne ganz ausgelöscht. Als er sich später mit der wür¬
digen Witwe verlobte, wußte er gar nicht mehr, daß er ehemals ein frisches,
unberührtes Lippenpaar geküßt hatte, und als seine Frau starb, und er sich
darum sorgte, ob er auch so viel erben würde, wie er erwartet hatte, da siel
es ihm nicht ein, daß er schon einmal jemand begraben hatte, nümlich seine
erste und einzige Liebe.

Mehr als dreißig Jahre mußten vergehen, ehe diese Erinnerung wieder
aufstand und an sein Herz klopfte. Aber sie fand keine offne Thür. Der
Etatsrat wunderte sich nur, daß ihm mit einemmale eine so alte Geschichte
wieder einfallen konnte; dann freute er sich, daß er sich so vernünftig be¬
nommen hatte, und dann stand er auf und begab sich in selbstzufriedner Stim¬
mung in seine Wohnung.

Er hatte sich durch seinen Gastwirt einige hübsche Zimmer mieten
lassen, und derselbe gefüllige Mann hatte ihm auch eine Haushälterin besorgt.
Vor seiner Abreise von Osterburg hatte sich nümlich die bisherige Hausdame
des Etatsrath plötzlich verheiratet, eine Handlung, die ihr das ungeheuchelte
Mißfallen ihres Prinzipals eintrug. Daher nahm er Mamsell Reimers, seine
neue Hausstütze und eine kräftige Fünfzigerin, nur unter der Bedingung in
seine Dienste, daß sie sich nie verheiraten würde.

Sie sah ihn ziemlich erstaunt an, als er ihr diese Bedingung stellte. Du
liebe Zeit, Herr Etatsrat, wer sollte mir denn nehmen?

Ich kann es mir auch nicht denken, sagte Peter Lciuritzen. Aber es giebt
heutzutage viele Esel!

Hier in unser Stadt nich, versicherte die Mamsell treuherzig. Da müssen
sie schon von auswärts kommen!

Der Etatsrat schüttelte den Kopf. Nach seiner Ansicht waren die meisten
Menschen Esel; aber er hielt es für unter seiner Würde, sich mit einer Haus¬
hälterin in eine längere Unterhaltung einzulassen, und nahm sie an, nachdem
er ihr noch einmal seine Abneigung gegen spätes Heiraten ausgesprochen hatte.

In wenigen Tagen waren die häuslichen Einrichtungen des Etatsrath in
schönster Ordnung, und er konnte daran denken, sich den Einwohnern des


Die Geschichte des Ltatsrats

mit ihr verlobt und ihr ewige Treue geschworen hatte, sich von ihr losgesagt,
nachdem er Student geworden war.

Sie war wohl aus einer guten Familie gewesen, aber ganz arm. Als
Primaner, wo man Schillersche Gedichte lernt, erscheint Armut der Liebe nicht
hinderlich; als Student wird man schon vernünftiger. Bald nach seiner Im¬
matrikulation war Peter Lanritzen die Unvernunft seiner Verlobung unheim¬
lich klar geworden, und er hatte der reizenden Therese einen Abschiedsbrief
geschrieben, an den er noch heute mit Stolz dachte. Dieser Abschiedsbrief
war wie ein Schwamm gewesen. Er hatte alle Thorheit und Unvernunft, die
sich möglicherweise noch in seinem Herzen befand, weggewischt und die Erinne¬
rung an das Vergangne ganz ausgelöscht. Als er sich später mit der wür¬
digen Witwe verlobte, wußte er gar nicht mehr, daß er ehemals ein frisches,
unberührtes Lippenpaar geküßt hatte, und als seine Frau starb, und er sich
darum sorgte, ob er auch so viel erben würde, wie er erwartet hatte, da siel
es ihm nicht ein, daß er schon einmal jemand begraben hatte, nümlich seine
erste und einzige Liebe.

Mehr als dreißig Jahre mußten vergehen, ehe diese Erinnerung wieder
aufstand und an sein Herz klopfte. Aber sie fand keine offne Thür. Der
Etatsrat wunderte sich nur, daß ihm mit einemmale eine so alte Geschichte
wieder einfallen konnte; dann freute er sich, daß er sich so vernünftig be¬
nommen hatte, und dann stand er auf und begab sich in selbstzufriedner Stim¬
mung in seine Wohnung.

Er hatte sich durch seinen Gastwirt einige hübsche Zimmer mieten
lassen, und derselbe gefüllige Mann hatte ihm auch eine Haushälterin besorgt.
Vor seiner Abreise von Osterburg hatte sich nümlich die bisherige Hausdame
des Etatsrath plötzlich verheiratet, eine Handlung, die ihr das ungeheuchelte
Mißfallen ihres Prinzipals eintrug. Daher nahm er Mamsell Reimers, seine
neue Hausstütze und eine kräftige Fünfzigerin, nur unter der Bedingung in
seine Dienste, daß sie sich nie verheiraten würde.

Sie sah ihn ziemlich erstaunt an, als er ihr diese Bedingung stellte. Du
liebe Zeit, Herr Etatsrat, wer sollte mir denn nehmen?

Ich kann es mir auch nicht denken, sagte Peter Lciuritzen. Aber es giebt
heutzutage viele Esel!

Hier in unser Stadt nich, versicherte die Mamsell treuherzig. Da müssen
sie schon von auswärts kommen!

Der Etatsrat schüttelte den Kopf. Nach seiner Ansicht waren die meisten
Menschen Esel; aber er hielt es für unter seiner Würde, sich mit einer Haus¬
hälterin in eine längere Unterhaltung einzulassen, und nahm sie an, nachdem
er ihr noch einmal seine Abneigung gegen spätes Heiraten ausgesprochen hatte.

In wenigen Tagen waren die häuslichen Einrichtungen des Etatsrath in
schönster Ordnung, und er konnte daran denken, sich den Einwohnern des


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[0047] Die Geschichte des Ltatsrats mit ihr verlobt und ihr ewige Treue geschworen hatte, sich von ihr losgesagt, nachdem er Student geworden war. Sie war wohl aus einer guten Familie gewesen, aber ganz arm. Als Primaner, wo man Schillersche Gedichte lernt, erscheint Armut der Liebe nicht hinderlich; als Student wird man schon vernünftiger. Bald nach seiner Im¬ matrikulation war Peter Lanritzen die Unvernunft seiner Verlobung unheim¬ lich klar geworden, und er hatte der reizenden Therese einen Abschiedsbrief geschrieben, an den er noch heute mit Stolz dachte. Dieser Abschiedsbrief war wie ein Schwamm gewesen. Er hatte alle Thorheit und Unvernunft, die sich möglicherweise noch in seinem Herzen befand, weggewischt und die Erinne¬ rung an das Vergangne ganz ausgelöscht. Als er sich später mit der wür¬ digen Witwe verlobte, wußte er gar nicht mehr, daß er ehemals ein frisches, unberührtes Lippenpaar geküßt hatte, und als seine Frau starb, und er sich darum sorgte, ob er auch so viel erben würde, wie er erwartet hatte, da siel es ihm nicht ein, daß er schon einmal jemand begraben hatte, nümlich seine erste und einzige Liebe. Mehr als dreißig Jahre mußten vergehen, ehe diese Erinnerung wieder aufstand und an sein Herz klopfte. Aber sie fand keine offne Thür. Der Etatsrat wunderte sich nur, daß ihm mit einemmale eine so alte Geschichte wieder einfallen konnte; dann freute er sich, daß er sich so vernünftig be¬ nommen hatte, und dann stand er auf und begab sich in selbstzufriedner Stim¬ mung in seine Wohnung. Er hatte sich durch seinen Gastwirt einige hübsche Zimmer mieten lassen, und derselbe gefüllige Mann hatte ihm auch eine Haushälterin besorgt. Vor seiner Abreise von Osterburg hatte sich nümlich die bisherige Hausdame des Etatsrath plötzlich verheiratet, eine Handlung, die ihr das ungeheuchelte Mißfallen ihres Prinzipals eintrug. Daher nahm er Mamsell Reimers, seine neue Hausstütze und eine kräftige Fünfzigerin, nur unter der Bedingung in seine Dienste, daß sie sich nie verheiraten würde. Sie sah ihn ziemlich erstaunt an, als er ihr diese Bedingung stellte. Du liebe Zeit, Herr Etatsrat, wer sollte mir denn nehmen? Ich kann es mir auch nicht denken, sagte Peter Lciuritzen. Aber es giebt heutzutage viele Esel! Hier in unser Stadt nich, versicherte die Mamsell treuherzig. Da müssen sie schon von auswärts kommen! Der Etatsrat schüttelte den Kopf. Nach seiner Ansicht waren die meisten Menschen Esel; aber er hielt es für unter seiner Würde, sich mit einer Haus¬ hälterin in eine längere Unterhaltung einzulassen, und nahm sie an, nachdem er ihr noch einmal seine Abneigung gegen spätes Heiraten ausgesprochen hatte. In wenigen Tagen waren die häuslichen Einrichtungen des Etatsrath in schönster Ordnung, und er konnte daran denken, sich den Einwohnern des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/47>, abgerufen am 23.07.2024.