Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Land und Leute in Dstfriesland sprochen, als es selbst aHute. Man kann diesem "sogar" wirklich eine gewisse Seit unvordenklichen Zeiten haben sich die Ostfriesen für etwas ganz Ist es da ein Wunder, daß die Ostfriesen, da sie sich äußerlich so unab- Land und Leute in Dstfriesland sprochen, als es selbst aHute. Man kann diesem „sogar" wirklich eine gewisse Seit unvordenklichen Zeiten haben sich die Ostfriesen für etwas ganz Ist es da ein Wunder, daß die Ostfriesen, da sie sich äußerlich so unab- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214914"/> <fw type="header" place="top"> Land und Leute in Dstfriesland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1795" prev="#ID_1794"> sprochen, als es selbst aHute. Man kann diesem „sogar" wirklich eine gewisse<lb/> Berechtigung nicht absprechen. Äußerlich betrachtet ist es freilich mehr als<lb/> qnintcmerhaft. Aber wer wird am Äußern kleben? Ostfriesland ist in der<lb/> That tausend Jahre laug so vom deutschen Reiche geschieden gewesen, daß<lb/> man wohl von dem fernen Ostfriesland sprechen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1796"> Seit unvordenklichen Zeiten haben sich die Ostfriesen für etwas ganz<lb/> apartes gehalten und sich selbst aufs schärfste von den „Deutschen" unter¬<lb/> schiede!:. Ich gehe nach Deutschland — so hieß es allgemein im Sprach¬<lb/> gebrauch, wenn eiuer irgendwo die Grenzen gegen Niedersnchsen überschritt.<lb/> Deutschland und Friesland waren benachbarte Länder, etwa wie es Spanien<lb/> und Portugal sind, und wenn man anfängt, sich in die zahlreich vorhandnen<lb/> Urkunden aus der Häuptlingszeit zu vertiefen, so faßt man sich zuerst un¬<lb/> willkürlich an die Stirn, weil man meint, man träume, wenn man liest<lb/> ti'^sie <zu ane>»l<; aber überall und bei allen Gelegenheiten wird immer wieder<lb/> dieser Unterschied gemacht. Und das waren nicht etwa bloß Redensarten<lb/> weitschweifiger Vertragsurkunden mit vorsichtigen Bestimmungen, Unterschei¬<lb/> dungen, Verwahrungen und Vorbehalten, nein, es war bitterer Ernst mit dieser<lb/> Unterscheidung. Li>.1et tria ?r«Z8tZng, — das war die Losung, und die ward<lb/> eifersüchtig aufrecht erhalten gegen jedermann, und wären es Kaiser und Reich<lb/> oder selbst der Papst gewesen. Als Sigismund von Konstanz aus mit großen<lb/> Freiheiten lockte, lachte man ihn einfach aus: was der Kaiser geben könne,<lb/> das habe man längst. Sigismund und seine edle Konstanzer Versammlung<lb/> waren freilich auch wenig verlockend; das haben bald darauf dem Meineidigen<lb/> die Böhmen deutlich genug zu verstehen gegeben. Und nach dem Papst fragten<lb/> die Friesen von jeher nicht viel. Die Keulcnschlüge bei Dokkum, unter denen<lb/> Bonifacius fiel, waren keine besonders verheißungsvolle Anbahnung der Be¬<lb/> ziehungen, und die vielfachen Kämpfe mit den etwas hab- und händelsüchtigen<lb/> Münsterscheu Bischöfen trugen auch nicht dazu bei, sie herzlicher zu machen.<lb/> Man ließ sich von Rom wenig sagen. Nicht einmal die Ehelosigkeit der<lb/> Priester hat der Papst bei diesem hartnäckigen Geschlechte ganz durchführen<lb/> können; es gab immer einzelne rechtmüßig verheiratete Geistliche. Einer,<lb/> namens Johannes, hat in seinem ans Aurich vom 7. Oktober 1402 datirten<lb/> Testament als ein echter, d. h. ehelicher Vater für seine Kinder gesorgt. Und<lb/> wenn Nuseler in seinem bekannten Drama die Stedinger als fromme, aber<lb/> trotzige, freiheitliebende und auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtige Leute schildert,<lb/> so hebt er eben die Eigenschaften hervor, die sie aus ihrer alten ostfriesischen<lb/> Heimat mitgebracht hatten; sie waren Leute, die sich um keinen Kaiser noch<lb/> Papst kümmerten, weil sie sich, wie sie sagten, das von ihnen bewohnte Land<lb/> ganz allein durch ihrer Hände Arbeit geschaffen hätten und weder Papst noch<lb/> Kaiser ihnen dabei geholfen hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1797" next="#ID_1798"> Ist es da ein Wunder, daß die Ostfriesen, da sie sich äußerlich so unab-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
Land und Leute in Dstfriesland
sprochen, als es selbst aHute. Man kann diesem „sogar" wirklich eine gewisse
Berechtigung nicht absprechen. Äußerlich betrachtet ist es freilich mehr als
qnintcmerhaft. Aber wer wird am Äußern kleben? Ostfriesland ist in der
That tausend Jahre laug so vom deutschen Reiche geschieden gewesen, daß
man wohl von dem fernen Ostfriesland sprechen konnte.
Seit unvordenklichen Zeiten haben sich die Ostfriesen für etwas ganz
apartes gehalten und sich selbst aufs schärfste von den „Deutschen" unter¬
schiede!:. Ich gehe nach Deutschland — so hieß es allgemein im Sprach¬
gebrauch, wenn eiuer irgendwo die Grenzen gegen Niedersnchsen überschritt.
Deutschland und Friesland waren benachbarte Länder, etwa wie es Spanien
und Portugal sind, und wenn man anfängt, sich in die zahlreich vorhandnen
Urkunden aus der Häuptlingszeit zu vertiefen, so faßt man sich zuerst un¬
willkürlich an die Stirn, weil man meint, man träume, wenn man liest
ti'^sie <zu ane>»l<; aber überall und bei allen Gelegenheiten wird immer wieder
dieser Unterschied gemacht. Und das waren nicht etwa bloß Redensarten
weitschweifiger Vertragsurkunden mit vorsichtigen Bestimmungen, Unterschei¬
dungen, Verwahrungen und Vorbehalten, nein, es war bitterer Ernst mit dieser
Unterscheidung. Li>.1et tria ?r«Z8tZng, — das war die Losung, und die ward
eifersüchtig aufrecht erhalten gegen jedermann, und wären es Kaiser und Reich
oder selbst der Papst gewesen. Als Sigismund von Konstanz aus mit großen
Freiheiten lockte, lachte man ihn einfach aus: was der Kaiser geben könne,
das habe man längst. Sigismund und seine edle Konstanzer Versammlung
waren freilich auch wenig verlockend; das haben bald darauf dem Meineidigen
die Böhmen deutlich genug zu verstehen gegeben. Und nach dem Papst fragten
die Friesen von jeher nicht viel. Die Keulcnschlüge bei Dokkum, unter denen
Bonifacius fiel, waren keine besonders verheißungsvolle Anbahnung der Be¬
ziehungen, und die vielfachen Kämpfe mit den etwas hab- und händelsüchtigen
Münsterscheu Bischöfen trugen auch nicht dazu bei, sie herzlicher zu machen.
Man ließ sich von Rom wenig sagen. Nicht einmal die Ehelosigkeit der
Priester hat der Papst bei diesem hartnäckigen Geschlechte ganz durchführen
können; es gab immer einzelne rechtmüßig verheiratete Geistliche. Einer,
namens Johannes, hat in seinem ans Aurich vom 7. Oktober 1402 datirten
Testament als ein echter, d. h. ehelicher Vater für seine Kinder gesorgt. Und
wenn Nuseler in seinem bekannten Drama die Stedinger als fromme, aber
trotzige, freiheitliebende und auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtige Leute schildert,
so hebt er eben die Eigenschaften hervor, die sie aus ihrer alten ostfriesischen
Heimat mitgebracht hatten; sie waren Leute, die sich um keinen Kaiser noch
Papst kümmerten, weil sie sich, wie sie sagten, das von ihnen bewohnte Land
ganz allein durch ihrer Hände Arbeit geschaffen hätten und weder Papst noch
Kaiser ihnen dabei geholfen hätte.
Ist es da ein Wunder, daß die Ostfriesen, da sie sich äußerlich so unab-
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