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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder ans dem Westen

alles dreifach rasch gehn muß als in Deutschland. Aber wahrend der
Berliner Zentralviehhof ein Muster dessen ist, was polizeiliche Ordnung ver¬
mag, ist der amerikanische Weltfleischmarkt ein Beispiel davon, l>is zu welchen
ungeahnten Graden der Liefernngsfähigteit sich eine auf gemeinsame Interessen
aufgebaute Einrichtung steigern kann, anch ohne viel polizeiliche Regelung,
anch ohne Gängelnng und Eingreifen des Staates, nur durch den Instinkt
des Bedürfnisses und der Gegenseitigkeit.

Eine große Halbinsel oder Landzunge des Missouri, ein gnuzcr Stadtteil
ist gefüllt mit den vierzehn Schlachthäusern und deren zugehörigen Fabriken,
Guanowcrken, Eishäusern, Kisten- und Blechbüchsenwerkstätten, Bntterfabriken
u. s. w. Je mehr wir uns diesem Gewirr von hochstöckigen, kastenförmigen
weißen Häusern, von Bahnzügen, Fabrikschloten und Biehtrausporttreppeu
näherten, um so zudringlicher umfing uns der Geruch von altem Talg und
frischem Guano, vermischt mit dem verbrannten Horns. Alles, wo wir ginge"
und standen, atmete Fettdnft. Man kam sich beinahe selbst wie mit einer
Fettschicht überzogen vor. Der Konsul ging mit mir über ein halbes Dutzend
Vahnstränge, wo große Güterwagen mit Gefriereinrichtung in langen Zügen
der Füllung harrten, um dann auf die Flußbahn gebracht zu werden. Die
Bahnsteige standen offen wie überall in Amerika. Ungehindert gingen wir durch
bis in das Allerheiligste des Herrn Armvnr. Es war ein großer Komptoirsanl, der
in sich etwa dreißig bis vierzig Abteilungen barg, so eingerichtet, wie mau jetzt
allgemein die großen Geschäftshäuser in England und in den Vereinigten Staaten
einrichtet: ein großer, hoher Oberlichtsaal, mit langen Mittel- und einigen Seiten-
gängen, von denen jeder rechts und links mehrere Sitz- und elegante Stehpulte
nebst Sesseln und der nötigen Sprechzimmereinrichtung birgt. Alle sind durch
lautlose Telegrapheneinrichtnugen mit mehreren der Hanptpnltc verbunden, sodaß
es kein Kvmmandiren giebt; Depeschen und Briefe zum Registriren oder Ab¬
schreiben werden nicht herumgetragen, sondern bewegen sich oberhalb der Pulte
um Schnüren und Drähten wie in kleinen Drahteisenbahnen ähnlich wie bei
den Packet- und Geldbeförderern in den großen Verkaufsgeschäften. Man hört
nur gedämpfte Stimmen hier, wo Hunderte von Menschen angestrengt arbeiten.
Selbst das Ticken der Schreibklaviere klingt gedämpft, leiser als das Kreischen
der Federn, die es hier nur ausnahmsweise giebt. Wer nicht Schreibklaviere
benutzt, bedient sich meist des Tintenstifts. Die Zahlplatten sind ans Glas
oder Marmor, die Drahtgitter um die einzelnen Komptoirabteilungeu zierlich
bemalt und vergoldet. Alles ist solid und geschmackvoll. Man sieht keine
altfränkischen Schränke, nur höchst elegante eiserne Geldschränke, die nachts
in die Erdgeschosse versenkt werden, wo sie unter Wasser gesetzt werden können.
Das Uhrwerk ihrer Schlösser ist so eingerichtet, daß selbst der Vertrauens-
mann den Schrank nur um die Stunde öffnen kann, ans die er es selbst am
Abend vorher eingestellt hat.


Bilder ans dem Westen

alles dreifach rasch gehn muß als in Deutschland. Aber wahrend der
Berliner Zentralviehhof ein Muster dessen ist, was polizeiliche Ordnung ver¬
mag, ist der amerikanische Weltfleischmarkt ein Beispiel davon, l>is zu welchen
ungeahnten Graden der Liefernngsfähigteit sich eine auf gemeinsame Interessen
aufgebaute Einrichtung steigern kann, anch ohne viel polizeiliche Regelung,
anch ohne Gängelnng und Eingreifen des Staates, nur durch den Instinkt
des Bedürfnisses und der Gegenseitigkeit.

Eine große Halbinsel oder Landzunge des Missouri, ein gnuzcr Stadtteil
ist gefüllt mit den vierzehn Schlachthäusern und deren zugehörigen Fabriken,
Guanowcrken, Eishäusern, Kisten- und Blechbüchsenwerkstätten, Bntterfabriken
u. s. w. Je mehr wir uns diesem Gewirr von hochstöckigen, kastenförmigen
weißen Häusern, von Bahnzügen, Fabrikschloten und Biehtrausporttreppeu
näherten, um so zudringlicher umfing uns der Geruch von altem Talg und
frischem Guano, vermischt mit dem verbrannten Horns. Alles, wo wir ginge»
und standen, atmete Fettdnft. Man kam sich beinahe selbst wie mit einer
Fettschicht überzogen vor. Der Konsul ging mit mir über ein halbes Dutzend
Vahnstränge, wo große Güterwagen mit Gefriereinrichtung in langen Zügen
der Füllung harrten, um dann auf die Flußbahn gebracht zu werden. Die
Bahnsteige standen offen wie überall in Amerika. Ungehindert gingen wir durch
bis in das Allerheiligste des Herrn Armvnr. Es war ein großer Komptoirsanl, der
in sich etwa dreißig bis vierzig Abteilungen barg, so eingerichtet, wie mau jetzt
allgemein die großen Geschäftshäuser in England und in den Vereinigten Staaten
einrichtet: ein großer, hoher Oberlichtsaal, mit langen Mittel- und einigen Seiten-
gängen, von denen jeder rechts und links mehrere Sitz- und elegante Stehpulte
nebst Sesseln und der nötigen Sprechzimmereinrichtung birgt. Alle sind durch
lautlose Telegrapheneinrichtnugen mit mehreren der Hanptpnltc verbunden, sodaß
es kein Kvmmandiren giebt; Depeschen und Briefe zum Registriren oder Ab¬
schreiben werden nicht herumgetragen, sondern bewegen sich oberhalb der Pulte
um Schnüren und Drähten wie in kleinen Drahteisenbahnen ähnlich wie bei
den Packet- und Geldbeförderern in den großen Verkaufsgeschäften. Man hört
nur gedämpfte Stimmen hier, wo Hunderte von Menschen angestrengt arbeiten.
Selbst das Ticken der Schreibklaviere klingt gedämpft, leiser als das Kreischen
der Federn, die es hier nur ausnahmsweise giebt. Wer nicht Schreibklaviere
benutzt, bedient sich meist des Tintenstifts. Die Zahlplatten sind ans Glas
oder Marmor, die Drahtgitter um die einzelnen Komptoirabteilungeu zierlich
bemalt und vergoldet. Alles ist solid und geschmackvoll. Man sieht keine
altfränkischen Schränke, nur höchst elegante eiserne Geldschränke, die nachts
in die Erdgeschosse versenkt werden, wo sie unter Wasser gesetzt werden können.
Das Uhrwerk ihrer Schlösser ist so eingerichtet, daß selbst der Vertrauens-
mann den Schrank nur um die Stunde öffnen kann, ans die er es selbst am
Abend vorher eingestellt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/414>, abgerufen am 24.07.2024.