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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Familie Humboldt

zu entführen, meine Frau is so so alleene, da gab es doch was niedliches im
Hanse, die schwarzen Ogen muß sie aber helle waschen, das ist Tagesbefehl."
Als ihr Gemahl, Heinrich von Vülow, preußischer Gesandter in London ge¬
worden ist, wird sie mit einem Schlage in die große Welt versetzt und erwirbt
schnell die Zuneigung und Achtung des englischen Hofes und der gesamten
Hofgesellschaft. Aber auch als "Gesandtenweib," wie ihre Schwester sie stets
nennt, ändert sie nichts in ihren Anschauungen: ihren Kindern gegenüber ist
sie stets, trotz aller Ansprüche des aufregenden Londoner Lebens, die liebe¬
vollste Mutter, sodaß man dem ganzen Buche das Wort des Talmud, das
Wilhelm von Humboldt zitirt, voransetzen könnte: "Der nur findet süß den Ton
der Flöte oder der Zimbel, der nie das Geschwätz der Kinder gehört hat,"
und der Welt gegenüber zeigt sie ein eigentümliches Gemisch von Weltklugheit
und Leichtlebigkeit, dem gegenüber auch der steifste Engländer machtlos war.

Als ihre Kinderfrau in London für das kleinste Kind ein seidnes Kleid
als al-a^viiiZ-room, ckress verlangt, und zwar einerseits um uicht "den Spleen
zu bekommen" und andrerseits "als Zeichen meiner Zufriedenheit mit ihr," giebt
sie ihr ruhig nach, ohne freilich den Wunsch zu unterdrücken, doch noch einmal
nach "einem andern, in den Moden vernünftigem Ort als London" zu kommen.
Die englischen nursss bedürfen, klagt sie, mehr Bedienung als das Gesandtcn-
wcib. Sie stopft in London Strümpfe, aber im Versteck und mit klopfendem
Herzen, aus Furcht, dabei entdeckt zu werden; "denn die Leute hätten allen
Respekt verloren und mich obendrein für eine Heidin gehalten, da ich am
Sonntag arbeitete." Mit der Dienerschaft darf sie nicht sprechen, denn die
twuLö-lcocPöi- ist ihr Sprachorgan. Solchen echt englischen Zuständen verdankt
sie auch manchmal eine Überraschung: "So begegnete ich neulich oben dem
Kücheumädchcu, die zwar schon seit einem Jahre oder länger hier ist, die mein
Ange aber noch nicht erblickt hatte, und die so wunderhübsch ist, daß ich nur
gewünscht hätte, sie wäre nicht so erschrocken gewesen, damit ich sie länger hätte
ansehen können; aber sie floh wie ein Reh, da sie sich in den obern Regionen
eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Ich wollte, sie könnte mir aus ihrer
Unterwelt herauf etwas von ihrem schönen Teint abgeben." Vor allein er¬
leichtert ihr die Güte ihres Herzens ihre Stellung gegen das Heer von Dienern
und Dienerinnen, die "so gewohnt sind, wie Maschinen behandelt zu werden,
daß die geringste Äußerung und Bezeugung, daß man sie nicht für solche hält,
in ihnen unendliche Frende und Dankbarkeit erregt." Als sie einem zu einer
bessern Stellung abgehenden Hausmädchen einige freundliche Worte mit auf
den Weg gab, war diese "so gerührt, daß sie weinte uoch dazu ist sie ein
Koloß an Größe und Stärke -- und ihre Rührung gleich dem ganzen Hause
mitteilte."

Die merkwürdigste Gestalt des Londoner Kleinlebens, das sie mit scharfem
Blick verfolgt, ist der Koch, der in Verzweiflung ist, weil seiner Gebieterin, da


Die Familie Humboldt

zu entführen, meine Frau is so so alleene, da gab es doch was niedliches im
Hanse, die schwarzen Ogen muß sie aber helle waschen, das ist Tagesbefehl."
Als ihr Gemahl, Heinrich von Vülow, preußischer Gesandter in London ge¬
worden ist, wird sie mit einem Schlage in die große Welt versetzt und erwirbt
schnell die Zuneigung und Achtung des englischen Hofes und der gesamten
Hofgesellschaft. Aber auch als „Gesandtenweib," wie ihre Schwester sie stets
nennt, ändert sie nichts in ihren Anschauungen: ihren Kindern gegenüber ist
sie stets, trotz aller Ansprüche des aufregenden Londoner Lebens, die liebe¬
vollste Mutter, sodaß man dem ganzen Buche das Wort des Talmud, das
Wilhelm von Humboldt zitirt, voransetzen könnte: „Der nur findet süß den Ton
der Flöte oder der Zimbel, der nie das Geschwätz der Kinder gehört hat,"
und der Welt gegenüber zeigt sie ein eigentümliches Gemisch von Weltklugheit
und Leichtlebigkeit, dem gegenüber auch der steifste Engländer machtlos war.

Als ihre Kinderfrau in London für das kleinste Kind ein seidnes Kleid
als al-a^viiiZ-room, ckress verlangt, und zwar einerseits um uicht „den Spleen
zu bekommen" und andrerseits „als Zeichen meiner Zufriedenheit mit ihr," giebt
sie ihr ruhig nach, ohne freilich den Wunsch zu unterdrücken, doch noch einmal
nach „einem andern, in den Moden vernünftigem Ort als London" zu kommen.
Die englischen nursss bedürfen, klagt sie, mehr Bedienung als das Gesandtcn-
wcib. Sie stopft in London Strümpfe, aber im Versteck und mit klopfendem
Herzen, aus Furcht, dabei entdeckt zu werden; „denn die Leute hätten allen
Respekt verloren und mich obendrein für eine Heidin gehalten, da ich am
Sonntag arbeitete." Mit der Dienerschaft darf sie nicht sprechen, denn die
twuLö-lcocPöi- ist ihr Sprachorgan. Solchen echt englischen Zuständen verdankt
sie auch manchmal eine Überraschung: „So begegnete ich neulich oben dem
Kücheumädchcu, die zwar schon seit einem Jahre oder länger hier ist, die mein
Ange aber noch nicht erblickt hatte, und die so wunderhübsch ist, daß ich nur
gewünscht hätte, sie wäre nicht so erschrocken gewesen, damit ich sie länger hätte
ansehen können; aber sie floh wie ein Reh, da sie sich in den obern Regionen
eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Ich wollte, sie könnte mir aus ihrer
Unterwelt herauf etwas von ihrem schönen Teint abgeben." Vor allein er¬
leichtert ihr die Güte ihres Herzens ihre Stellung gegen das Heer von Dienern
und Dienerinnen, die „so gewohnt sind, wie Maschinen behandelt zu werden,
daß die geringste Äußerung und Bezeugung, daß man sie nicht für solche hält,
in ihnen unendliche Frende und Dankbarkeit erregt." Als sie einem zu einer
bessern Stellung abgehenden Hausmädchen einige freundliche Worte mit auf
den Weg gab, war diese „so gerührt, daß sie weinte uoch dazu ist sie ein
Koloß an Größe und Stärke — und ihre Rührung gleich dem ganzen Hause
mitteilte."

Die merkwürdigste Gestalt des Londoner Kleinlebens, das sie mit scharfem
Blick verfolgt, ist der Koch, der in Verzweiflung ist, weil seiner Gebieterin, da


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[0411] Die Familie Humboldt zu entführen, meine Frau is so so alleene, da gab es doch was niedliches im Hanse, die schwarzen Ogen muß sie aber helle waschen, das ist Tagesbefehl." Als ihr Gemahl, Heinrich von Vülow, preußischer Gesandter in London ge¬ worden ist, wird sie mit einem Schlage in die große Welt versetzt und erwirbt schnell die Zuneigung und Achtung des englischen Hofes und der gesamten Hofgesellschaft. Aber auch als „Gesandtenweib," wie ihre Schwester sie stets nennt, ändert sie nichts in ihren Anschauungen: ihren Kindern gegenüber ist sie stets, trotz aller Ansprüche des aufregenden Londoner Lebens, die liebe¬ vollste Mutter, sodaß man dem ganzen Buche das Wort des Talmud, das Wilhelm von Humboldt zitirt, voransetzen könnte: „Der nur findet süß den Ton der Flöte oder der Zimbel, der nie das Geschwätz der Kinder gehört hat," und der Welt gegenüber zeigt sie ein eigentümliches Gemisch von Weltklugheit und Leichtlebigkeit, dem gegenüber auch der steifste Engländer machtlos war. Als ihre Kinderfrau in London für das kleinste Kind ein seidnes Kleid als al-a^viiiZ-room, ckress verlangt, und zwar einerseits um uicht „den Spleen zu bekommen" und andrerseits „als Zeichen meiner Zufriedenheit mit ihr," giebt sie ihr ruhig nach, ohne freilich den Wunsch zu unterdrücken, doch noch einmal nach „einem andern, in den Moden vernünftigem Ort als London" zu kommen. Die englischen nursss bedürfen, klagt sie, mehr Bedienung als das Gesandtcn- wcib. Sie stopft in London Strümpfe, aber im Versteck und mit klopfendem Herzen, aus Furcht, dabei entdeckt zu werden; „denn die Leute hätten allen Respekt verloren und mich obendrein für eine Heidin gehalten, da ich am Sonntag arbeitete." Mit der Dienerschaft darf sie nicht sprechen, denn die twuLö-lcocPöi- ist ihr Sprachorgan. Solchen echt englischen Zuständen verdankt sie auch manchmal eine Überraschung: „So begegnete ich neulich oben dem Kücheumädchcu, die zwar schon seit einem Jahre oder länger hier ist, die mein Ange aber noch nicht erblickt hatte, und die so wunderhübsch ist, daß ich nur gewünscht hätte, sie wäre nicht so erschrocken gewesen, damit ich sie länger hätte ansehen können; aber sie floh wie ein Reh, da sie sich in den obern Regionen eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Ich wollte, sie könnte mir aus ihrer Unterwelt herauf etwas von ihrem schönen Teint abgeben." Vor allein er¬ leichtert ihr die Güte ihres Herzens ihre Stellung gegen das Heer von Dienern und Dienerinnen, die „so gewohnt sind, wie Maschinen behandelt zu werden, daß die geringste Äußerung und Bezeugung, daß man sie nicht für solche hält, in ihnen unendliche Frende und Dankbarkeit erregt." Als sie einem zu einer bessern Stellung abgehenden Hausmädchen einige freundliche Worte mit auf den Weg gab, war diese „so gerührt, daß sie weinte uoch dazu ist sie ein Koloß an Größe und Stärke — und ihre Rührung gleich dem ganzen Hause mitteilte." Die merkwürdigste Gestalt des Londoner Kleinlebens, das sie mit scharfem Blick verfolgt, ist der Koch, der in Verzweiflung ist, weil seiner Gebieterin, da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/411>, abgerufen am 25.07.2024.