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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Ole Versammlung deutscher Historiker i" Minche"

nach selbst nichts andres sein wird, als das Staatsbewußtsein und das
Nationalgefühl. Das wußten die alten Griechen viel besser als unsre heutigen
Schulmänner, sonst hatten sie nicht mit ihren Nationalfesten das Vorlesen von
Geschichtsbüchern verbunden. Aber freilich hat Herodot die Perserkriege nicht
mit den Augen eines Persers betrachtet, und es ist deu "einfachen" Menschen
des Altertums auch nicht eingefallen, ihren jungen Leuten jahraus jahrein
Lobeshymnen auf die Könige David und Salomon statt auf Solon und
Themistokles vorsingen zu lassen.

Die Geschichte hat die in ihr selbst beruhende Wirkung, daß der, der die
Thatsachen überhaupt kennt, zur Teilnahme an ihnen gezwungen wird, nicht
anders, als wie der Leser eines Romans ein deu Personen, die da vorgeführt
werde", Interesse gewinnt; wenn er es nicht gewinnt, so legt er eben das Buch
aus der Hand. Ich will nnn hier nicht untersuchen, wie es in dieser Be¬
ziehung mit den Geschichtsbüchern steht; ich möchte aber glauben, wenn
wirklich von Personen, Thatsachen, Handlungen, Schicksalen der Menschen die
Rede ist, so werden die Bucher schon gern gelesen werden. Dagegen scheinen
die Haupt- und Staatsaktionen und die "trefflichen pragmatischen Maximen"
heute den jungen Leuten noch unangenehmer geworden zu sein als zu Goethes
Zeit. Ist doch auch das sogenannte Verfassungsgerede, wobei man mit einer
Anzahl von mißverstanden Schlagwörtern möglichst viel zu sagen scheint und
doch eigentlich nichts thatsächliches zu wissen braucht, so beliebt wie möglich.
Diese Art von Geschichte scheint mir von mehreren Rednern ans der Münchner
Versammlung mit Recht getadelt worden zu sein. Sie dient in der That zu
gar nichts, als alte und junge Menschen zu langweilen. Wenn ich jederzeit
die nationale Geschichte aller andern Geschichte vorgezogen habe, so habe ich
immer nur die Geschichte gemeint, die sich mit den Thaten der hervorragenden
Menschen beschäftigt, die die Staaten und Völker regiert und insbesondre
der deutschen Nation im Laufe der Zeiten die Wege gebahnt und gewiesen
haben.

Hier ist der Punkt, wo künftige Historikerversammlnngcn einsetzen müßten,
wenn sie wirklich zu dem Zwecke, die historischen Studien zu befördern, zu-
sammenkommen. Die erste und wichtigste Frage, die sie zu beantworten haben
werden, und worüber nur der Fachmann ein entscheidendes Urteil haben kann,
wird die sein: Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den
höhern Schulen erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden
Gebildeten eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches
Wirken zu bieten? Und daran wird sich weiter die Frage anschließen: Ist
dieser Zweck am besten durch eine gründliche Kenntnis der Teile der
Geschichte zu erreichen, die unsrer heutigen Zeit nahestehen und sie un¬
mittelbar zu erklären geeignet sind, oder ans andre Weise? Werden die
Fragen so gestellt, so wird ihre Beantwortung von fachmännischer Seite


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nach selbst nichts andres sein wird, als das Staatsbewußtsein und das
Nationalgefühl. Das wußten die alten Griechen viel besser als unsre heutigen
Schulmänner, sonst hatten sie nicht mit ihren Nationalfesten das Vorlesen von
Geschichtsbüchern verbunden. Aber freilich hat Herodot die Perserkriege nicht
mit den Augen eines Persers betrachtet, und es ist deu „einfachen" Menschen
des Altertums auch nicht eingefallen, ihren jungen Leuten jahraus jahrein
Lobeshymnen auf die Könige David und Salomon statt auf Solon und
Themistokles vorsingen zu lassen.

Die Geschichte hat die in ihr selbst beruhende Wirkung, daß der, der die
Thatsachen überhaupt kennt, zur Teilnahme an ihnen gezwungen wird, nicht
anders, als wie der Leser eines Romans ein deu Personen, die da vorgeführt
werde», Interesse gewinnt; wenn er es nicht gewinnt, so legt er eben das Buch
aus der Hand. Ich will nnn hier nicht untersuchen, wie es in dieser Be¬
ziehung mit den Geschichtsbüchern steht; ich möchte aber glauben, wenn
wirklich von Personen, Thatsachen, Handlungen, Schicksalen der Menschen die
Rede ist, so werden die Bucher schon gern gelesen werden. Dagegen scheinen
die Haupt- und Staatsaktionen und die „trefflichen pragmatischen Maximen"
heute den jungen Leuten noch unangenehmer geworden zu sein als zu Goethes
Zeit. Ist doch auch das sogenannte Verfassungsgerede, wobei man mit einer
Anzahl von mißverstanden Schlagwörtern möglichst viel zu sagen scheint und
doch eigentlich nichts thatsächliches zu wissen braucht, so beliebt wie möglich.
Diese Art von Geschichte scheint mir von mehreren Rednern ans der Münchner
Versammlung mit Recht getadelt worden zu sein. Sie dient in der That zu
gar nichts, als alte und junge Menschen zu langweilen. Wenn ich jederzeit
die nationale Geschichte aller andern Geschichte vorgezogen habe, so habe ich
immer nur die Geschichte gemeint, die sich mit den Thaten der hervorragenden
Menschen beschäftigt, die die Staaten und Völker regiert und insbesondre
der deutschen Nation im Laufe der Zeiten die Wege gebahnt und gewiesen
haben.

Hier ist der Punkt, wo künftige Historikerversammlnngcn einsetzen müßten,
wenn sie wirklich zu dem Zwecke, die historischen Studien zu befördern, zu-
sammenkommen. Die erste und wichtigste Frage, die sie zu beantworten haben
werden, und worüber nur der Fachmann ein entscheidendes Urteil haben kann,
wird die sein: Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den
höhern Schulen erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden
Gebildeten eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches
Wirken zu bieten? Und daran wird sich weiter die Frage anschließen: Ist
dieser Zweck am besten durch eine gründliche Kenntnis der Teile der
Geschichte zu erreichen, die unsrer heutigen Zeit nahestehen und sie un¬
mittelbar zu erklären geeignet sind, oder ans andre Weise? Werden die
Fragen so gestellt, so wird ihre Beantwortung von fachmännischer Seite


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[0404] Ole Versammlung deutscher Historiker i" Minche» nach selbst nichts andres sein wird, als das Staatsbewußtsein und das Nationalgefühl. Das wußten die alten Griechen viel besser als unsre heutigen Schulmänner, sonst hatten sie nicht mit ihren Nationalfesten das Vorlesen von Geschichtsbüchern verbunden. Aber freilich hat Herodot die Perserkriege nicht mit den Augen eines Persers betrachtet, und es ist deu „einfachen" Menschen des Altertums auch nicht eingefallen, ihren jungen Leuten jahraus jahrein Lobeshymnen auf die Könige David und Salomon statt auf Solon und Themistokles vorsingen zu lassen. Die Geschichte hat die in ihr selbst beruhende Wirkung, daß der, der die Thatsachen überhaupt kennt, zur Teilnahme an ihnen gezwungen wird, nicht anders, als wie der Leser eines Romans ein deu Personen, die da vorgeführt werde», Interesse gewinnt; wenn er es nicht gewinnt, so legt er eben das Buch aus der Hand. Ich will nnn hier nicht untersuchen, wie es in dieser Be¬ ziehung mit den Geschichtsbüchern steht; ich möchte aber glauben, wenn wirklich von Personen, Thatsachen, Handlungen, Schicksalen der Menschen die Rede ist, so werden die Bucher schon gern gelesen werden. Dagegen scheinen die Haupt- und Staatsaktionen und die „trefflichen pragmatischen Maximen" heute den jungen Leuten noch unangenehmer geworden zu sein als zu Goethes Zeit. Ist doch auch das sogenannte Verfassungsgerede, wobei man mit einer Anzahl von mißverstanden Schlagwörtern möglichst viel zu sagen scheint und doch eigentlich nichts thatsächliches zu wissen braucht, so beliebt wie möglich. Diese Art von Geschichte scheint mir von mehreren Rednern ans der Münchner Versammlung mit Recht getadelt worden zu sein. Sie dient in der That zu gar nichts, als alte und junge Menschen zu langweilen. Wenn ich jederzeit die nationale Geschichte aller andern Geschichte vorgezogen habe, so habe ich immer nur die Geschichte gemeint, die sich mit den Thaten der hervorragenden Menschen beschäftigt, die die Staaten und Völker regiert und insbesondre der deutschen Nation im Laufe der Zeiten die Wege gebahnt und gewiesen haben. Hier ist der Punkt, wo künftige Historikerversammlnngcn einsetzen müßten, wenn sie wirklich zu dem Zwecke, die historischen Studien zu befördern, zu- sammenkommen. Die erste und wichtigste Frage, die sie zu beantworten haben werden, und worüber nur der Fachmann ein entscheidendes Urteil haben kann, wird die sein: Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den höhern Schulen erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden Gebildeten eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches Wirken zu bieten? Und daran wird sich weiter die Frage anschließen: Ist dieser Zweck am besten durch eine gründliche Kenntnis der Teile der Geschichte zu erreichen, die unsrer heutigen Zeit nahestehen und sie un¬ mittelbar zu erklären geeignet sind, oder ans andre Weise? Werden die Fragen so gestellt, so wird ihre Beantwortung von fachmännischer Seite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/404>, abgerufen am 26.08.2024.