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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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man mannichfaltige Gründe für die Beibehaltung des alten Gebrauchs geltend
machen können. Die Frage wäre dann die, ob ein in der alten Geschichte gut
bewanderter junger Mann so viel Interesse gewonnen habe, sich in seinem
spätern Leben von selbst mit der modernen Welt und ihrer Geschichte zu
befassen. Jahrhunderte befanden sich bei dieser Methode wohl, und noch
in unsrer Zeit haben selbst die hervorragendsten Historiker in ihrer Jugend
vo" nichts anderm als von der alten Geschichte etwas rechtes und ordent¬
liches gehört. Wäre es dabei geblieben, so brauchte sich eine Versammlung
von Historikern gar nicht die Mühe zu nehme", sich in diese Schulfragen ein-
zumischen. In sechs, sieben Jahren konnten sich junge Leute ohne Zweifel
von den alten Völkern, Ariern und Semne", gerade so viel aneignen, daß sie
einen Schatz fürs Lebe" "ütnahmen. Erst dadurch, daß seit einigen Jahr¬
zehnte" die Geschichte der "euer" Völker immer mehr i" de" Vordergrund
gerückt worden ist, entstand der jetzige Schnlstreit, ""d die Frage, ob den ge¬
bildete" Ständen durch die Schule ein Wissen von der neuern und vor allein
der neueste" Geschichte vermittelt werde" soll.

Wenn, wie ich hoffe und wünsche, die Fachgenossen "och einmal zusammen-
kommen, so werden sie sich, wenn sie praktisch sein wollen, von drei Dingen
für eins entscheiden müssen. Entweder sie halten einen weltgeschichtlichen Unter¬
richt von Moses bis auf unsre Tage in einer Zahl von jährlich sechzig, siebzig
oder achtzig Stunden für eine Sache der Möglichkeit; alsdann mag alles
sei"e" pädagogisch breitgetrctenen Weg weitergehen, und wir Fachleute handeln
weise, wenn wir uns um die ganze Sache weiter nicht bekümmern -- eine
Auffassung, von der ich vermute, daß sie die bei der Münchner Versammlung
weggebliebnen Historiker meist gehegt habe" werden. Oder die Fachge"osse"
walte" ihres Amtes, erklären sich "ach reiflicher Überlegung und nach ihrer
eignen Erfahrung darüber, wie viel Geschichte ein guter Lehrer einem sei es
jungen oder alten Menschen in Zeit von etwa su"öd""dertscchzig Stunden
beizubringen imstande ist, und wenn sie sich nur für einen Teil dessen, was
jetzt getrieben wird, verbürgen könnten, dann müßten sie drittens sich darüber
entscheiden, ob sie die alte oder die neue Geschichte vorziehen wollen.

Ich hätte sehr gewünscht, man Hütte sich ans dem Historikertage i"
München mit diesen Fragen beschäftigt; denn in solcher Formulirung könnte
niemand bezweifeln, daß eine fachmännische Erörterung darüber am Platze
wäre. Ich hoffe zuversichtlich, daß bei Wiederholungen solcher Versammlungen
hierüber eingehender gesprochen werde" wird, da daS allgemeine Interesse für
die Sache einmal erwacht zu sein scheint, und ich will meuicrseits hier
nicht vorgreifen. Ich erlaube mir "ur die Bemerkung zu machen, daß mich
mehrere Äußerungen, die nach den Zeitungsberichten bei den Münchner Ver-
handlungen gefallen sind, zwar etwas erschreckt, aber in meinen bekannten An¬
sichten nicht zu beirren vermocht haben. Ein mir sehr lieber und von mir hoch-


man mannichfaltige Gründe für die Beibehaltung des alten Gebrauchs geltend
machen können. Die Frage wäre dann die, ob ein in der alten Geschichte gut
bewanderter junger Mann so viel Interesse gewonnen habe, sich in seinem
spätern Leben von selbst mit der modernen Welt und ihrer Geschichte zu
befassen. Jahrhunderte befanden sich bei dieser Methode wohl, und noch
in unsrer Zeit haben selbst die hervorragendsten Historiker in ihrer Jugend
vo» nichts anderm als von der alten Geschichte etwas rechtes und ordent¬
liches gehört. Wäre es dabei geblieben, so brauchte sich eine Versammlung
von Historikern gar nicht die Mühe zu nehme», sich in diese Schulfragen ein-
zumischen. In sechs, sieben Jahren konnten sich junge Leute ohne Zweifel
von den alten Völkern, Ariern und Semne», gerade so viel aneignen, daß sie
einen Schatz fürs Lebe» »ütnahmen. Erst dadurch, daß seit einigen Jahr¬
zehnte» die Geschichte der »euer» Völker immer mehr i» de» Vordergrund
gerückt worden ist, entstand der jetzige Schnlstreit, »»d die Frage, ob den ge¬
bildete» Ständen durch die Schule ein Wissen von der neuern und vor allein
der neueste» Geschichte vermittelt werde» soll.

Wenn, wie ich hoffe und wünsche, die Fachgenossen »och einmal zusammen-
kommen, so werden sie sich, wenn sie praktisch sein wollen, von drei Dingen
für eins entscheiden müssen. Entweder sie halten einen weltgeschichtlichen Unter¬
richt von Moses bis auf unsre Tage in einer Zahl von jährlich sechzig, siebzig
oder achtzig Stunden für eine Sache der Möglichkeit; alsdann mag alles
sei»e» pädagogisch breitgetrctenen Weg weitergehen, und wir Fachleute handeln
weise, wenn wir uns um die ganze Sache weiter nicht bekümmern — eine
Auffassung, von der ich vermute, daß sie die bei der Münchner Versammlung
weggebliebnen Historiker meist gehegt habe» werden. Oder die Fachge»osse»
walte» ihres Amtes, erklären sich »ach reiflicher Überlegung und nach ihrer
eignen Erfahrung darüber, wie viel Geschichte ein guter Lehrer einem sei es
jungen oder alten Menschen in Zeit von etwa su»öd»»dertscchzig Stunden
beizubringen imstande ist, und wenn sie sich nur für einen Teil dessen, was
jetzt getrieben wird, verbürgen könnten, dann müßten sie drittens sich darüber
entscheiden, ob sie die alte oder die neue Geschichte vorziehen wollen.

Ich hätte sehr gewünscht, man Hütte sich ans dem Historikertage i»
München mit diesen Fragen beschäftigt; denn in solcher Formulirung könnte
niemand bezweifeln, daß eine fachmännische Erörterung darüber am Platze
wäre. Ich hoffe zuversichtlich, daß bei Wiederholungen solcher Versammlungen
hierüber eingehender gesprochen werde» wird, da daS allgemeine Interesse für
die Sache einmal erwacht zu sein scheint, und ich will meuicrseits hier
nicht vorgreifen. Ich erlaube mir »ur die Bemerkung zu machen, daß mich
mehrere Äußerungen, die nach den Zeitungsberichten bei den Münchner Ver-
handlungen gefallen sind, zwar etwas erschreckt, aber in meinen bekannten An¬
sichten nicht zu beirren vermocht haben. Ein mir sehr lieber und von mir hoch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/401>, abgerufen am 26.08.2024.