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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Erziehung zum Rachekrieg

Der Genemlinspektor des Unterrichts, Gustave Merket, hat eine Auswahl
lyrischer Dichtungen des neunzehnten Jahrhunderts für die untern und mittlern
Klassen der höhern Schulen herausgegeben, um "vor allem den Mut der
Jugend durch die Aussicht auf eine Vergeltung anzufeuern, wie sie der männ¬
liche" Tüchtigkeit gebührt." Das Buch ist amtlich für die Schulbibliotheken
gutgeheißen. Wo sich Gelegenheit bietet, hat der Herausgeber in den An¬
merkungen auf die Pflicht des Rachekriegs hingewiesen. In einem Gedichte
wird unser ehrwürdiger Hcldeukaiser, die Verkörperung der Herzensgüte, als
ein Enkel Attilas, als ein grausamer Wüterich geschildert, der mit teuflischer
Lust seinen Kanonieren befiehlt, auf die Kiuder und auf die Kranken zu schießen.
Ein glühendes Gebot der Rache ist der Schluß. Dazu bemerkt der Heraus¬
geber: "Diese Verse wurden mitten in der Aufregung der fürchterlichen Er¬
eignisse verfaßt, die wir weder vergessen können noch dürfen." Und ein Schwur
der Rache, aus der Seele Sully Prudhommes, begleitet diesen Fingerzeig.
Das Buch stammt aus dem Jahre 1890.

Aber die Dichtung ist nicht der einzige Weg, ans dem die Rachsucht in
die Seele der Jugend geleitet wird. Auch der Unterricht in der Muttersprache,
in der Geschichte, in den bürgerlichen Pflichten muß Gelegenheit bieten. In
dein kleinen Lesebuch von Röck, das sür etwa siebenjährige Kinder bestimmt
ist, wird erzählt: ,,Seit lange war Preußen auf Frankreich eifersüchtig und
trachtete uus anzugreifen. Im Jahre 1870 war es endlich kriegsbereit. Es
wußte, daß wir nicht kriegsbereit waren, und verfuhr deshalb mit uns so,
daß der Krieg ausbrechen mußte. Unsre Soldaten kämpften tapfer; aber da
sie gegen eine dreifache Übermacht stritten, konnten sie den Feind nicht vom
Vaterlande abhalten. Die Deutschen kamen in großer Menge nach Paris.
Aber sie getrauten sich nicht die Stadt anzugreifen. Sie hatten gedacht: die
Pariser sind ein lustiges Völkchen; sobald sie nicht mehr behaglich leben können,
werden sie des Kriegs überdrüssig werden und ihre Regierung zum Frieden
zwingen. . . . Aber Bismarck sah wohl ein, daß er sich über die Pariser ge¬
täuscht hatte. Darum ließ er sie aus Ärger und Grimm bombardiren. Einen
Monat lang fielen die Granaten Tag und Nacht auf Paris nieder; kleine
Kinder wurden in der Wiege getötet, andre im Schulzimmer. . . . Nun, Kinder,
ist das vielleicht tapfer, so aus dein sichern Versteck, aus weiter Ferne auf
Kinder, Frauen und Kranke zu schießen? ... Da Deutschland nun einmal nur
das Recht des Stärkern anerkennt, so wollen wir stark sein. Jeder Franzose,
ob reich oder arm, möge ein tüchtiger Soldat werden für den Tag, da es
vielleicht gilt, das Vaterland zu schirmen oder zu rächen" (die letzten Worte
sind durch die Schrift hervorgehoben). Das Büchlein ist in siebenter Auflage
erschienen und auf der Weltausstellung 188!) mit der silbernen Medaille aus¬
gezeichnet worden.

Der Genemlinspektor der Volksschule, Carre-, hat mit einem Genossen eine


Die Erziehung zum Rachekrieg

Der Genemlinspektor des Unterrichts, Gustave Merket, hat eine Auswahl
lyrischer Dichtungen des neunzehnten Jahrhunderts für die untern und mittlern
Klassen der höhern Schulen herausgegeben, um „vor allem den Mut der
Jugend durch die Aussicht auf eine Vergeltung anzufeuern, wie sie der männ¬
liche» Tüchtigkeit gebührt." Das Buch ist amtlich für die Schulbibliotheken
gutgeheißen. Wo sich Gelegenheit bietet, hat der Herausgeber in den An¬
merkungen auf die Pflicht des Rachekriegs hingewiesen. In einem Gedichte
wird unser ehrwürdiger Hcldeukaiser, die Verkörperung der Herzensgüte, als
ein Enkel Attilas, als ein grausamer Wüterich geschildert, der mit teuflischer
Lust seinen Kanonieren befiehlt, auf die Kiuder und auf die Kranken zu schießen.
Ein glühendes Gebot der Rache ist der Schluß. Dazu bemerkt der Heraus¬
geber: „Diese Verse wurden mitten in der Aufregung der fürchterlichen Er¬
eignisse verfaßt, die wir weder vergessen können noch dürfen." Und ein Schwur
der Rache, aus der Seele Sully Prudhommes, begleitet diesen Fingerzeig.
Das Buch stammt aus dem Jahre 1890.

Aber die Dichtung ist nicht der einzige Weg, ans dem die Rachsucht in
die Seele der Jugend geleitet wird. Auch der Unterricht in der Muttersprache,
in der Geschichte, in den bürgerlichen Pflichten muß Gelegenheit bieten. In
dein kleinen Lesebuch von Röck, das sür etwa siebenjährige Kinder bestimmt
ist, wird erzählt: ,,Seit lange war Preußen auf Frankreich eifersüchtig und
trachtete uus anzugreifen. Im Jahre 1870 war es endlich kriegsbereit. Es
wußte, daß wir nicht kriegsbereit waren, und verfuhr deshalb mit uns so,
daß der Krieg ausbrechen mußte. Unsre Soldaten kämpften tapfer; aber da
sie gegen eine dreifache Übermacht stritten, konnten sie den Feind nicht vom
Vaterlande abhalten. Die Deutschen kamen in großer Menge nach Paris.
Aber sie getrauten sich nicht die Stadt anzugreifen. Sie hatten gedacht: die
Pariser sind ein lustiges Völkchen; sobald sie nicht mehr behaglich leben können,
werden sie des Kriegs überdrüssig werden und ihre Regierung zum Frieden
zwingen. . . . Aber Bismarck sah wohl ein, daß er sich über die Pariser ge¬
täuscht hatte. Darum ließ er sie aus Ärger und Grimm bombardiren. Einen
Monat lang fielen die Granaten Tag und Nacht auf Paris nieder; kleine
Kinder wurden in der Wiege getötet, andre im Schulzimmer. . . . Nun, Kinder,
ist das vielleicht tapfer, so aus dein sichern Versteck, aus weiter Ferne auf
Kinder, Frauen und Kranke zu schießen? ... Da Deutschland nun einmal nur
das Recht des Stärkern anerkennt, so wollen wir stark sein. Jeder Franzose,
ob reich oder arm, möge ein tüchtiger Soldat werden für den Tag, da es
vielleicht gilt, das Vaterland zu schirmen oder zu rächen" (die letzten Worte
sind durch die Schrift hervorgehoben). Das Büchlein ist in siebenter Auflage
erschienen und auf der Weltausstellung 188!) mit der silbernen Medaille aus¬
gezeichnet worden.

Der Genemlinspektor der Volksschule, Carre-, hat mit einem Genossen eine


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[0395] Die Erziehung zum Rachekrieg Der Genemlinspektor des Unterrichts, Gustave Merket, hat eine Auswahl lyrischer Dichtungen des neunzehnten Jahrhunderts für die untern und mittlern Klassen der höhern Schulen herausgegeben, um „vor allem den Mut der Jugend durch die Aussicht auf eine Vergeltung anzufeuern, wie sie der männ¬ liche» Tüchtigkeit gebührt." Das Buch ist amtlich für die Schulbibliotheken gutgeheißen. Wo sich Gelegenheit bietet, hat der Herausgeber in den An¬ merkungen auf die Pflicht des Rachekriegs hingewiesen. In einem Gedichte wird unser ehrwürdiger Hcldeukaiser, die Verkörperung der Herzensgüte, als ein Enkel Attilas, als ein grausamer Wüterich geschildert, der mit teuflischer Lust seinen Kanonieren befiehlt, auf die Kiuder und auf die Kranken zu schießen. Ein glühendes Gebot der Rache ist der Schluß. Dazu bemerkt der Heraus¬ geber: „Diese Verse wurden mitten in der Aufregung der fürchterlichen Er¬ eignisse verfaßt, die wir weder vergessen können noch dürfen." Und ein Schwur der Rache, aus der Seele Sully Prudhommes, begleitet diesen Fingerzeig. Das Buch stammt aus dem Jahre 1890. Aber die Dichtung ist nicht der einzige Weg, ans dem die Rachsucht in die Seele der Jugend geleitet wird. Auch der Unterricht in der Muttersprache, in der Geschichte, in den bürgerlichen Pflichten muß Gelegenheit bieten. In dein kleinen Lesebuch von Röck, das sür etwa siebenjährige Kinder bestimmt ist, wird erzählt: ,,Seit lange war Preußen auf Frankreich eifersüchtig und trachtete uus anzugreifen. Im Jahre 1870 war es endlich kriegsbereit. Es wußte, daß wir nicht kriegsbereit waren, und verfuhr deshalb mit uns so, daß der Krieg ausbrechen mußte. Unsre Soldaten kämpften tapfer; aber da sie gegen eine dreifache Übermacht stritten, konnten sie den Feind nicht vom Vaterlande abhalten. Die Deutschen kamen in großer Menge nach Paris. Aber sie getrauten sich nicht die Stadt anzugreifen. Sie hatten gedacht: die Pariser sind ein lustiges Völkchen; sobald sie nicht mehr behaglich leben können, werden sie des Kriegs überdrüssig werden und ihre Regierung zum Frieden zwingen. . . . Aber Bismarck sah wohl ein, daß er sich über die Pariser ge¬ täuscht hatte. Darum ließ er sie aus Ärger und Grimm bombardiren. Einen Monat lang fielen die Granaten Tag und Nacht auf Paris nieder; kleine Kinder wurden in der Wiege getötet, andre im Schulzimmer. . . . Nun, Kinder, ist das vielleicht tapfer, so aus dein sichern Versteck, aus weiter Ferne auf Kinder, Frauen und Kranke zu schießen? ... Da Deutschland nun einmal nur das Recht des Stärkern anerkennt, so wollen wir stark sein. Jeder Franzose, ob reich oder arm, möge ein tüchtiger Soldat werden für den Tag, da es vielleicht gilt, das Vaterland zu schirmen oder zu rächen" (die letzten Worte sind durch die Schrift hervorgehoben). Das Büchlein ist in siebenter Auflage erschienen und auf der Weltausstellung 188!) mit der silbernen Medaille aus¬ gezeichnet worden. Der Genemlinspektor der Volksschule, Carre-, hat mit einem Genossen eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/395>, abgerufen am 23.07.2024.