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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Flotow und Gelo Nicolai

aus fast als das größere Glück, sein Gelungenstes leisten und schleunig sterbe",
wie es Nicolais Schicksal war.

Warum wir Flotow und Nicolai hier als Paar betrachten? Sie waren
Altersgenossen. Die Eigentümlichkeit ihrer Erfolge bietet manchen Vergleichungs-
punkt. Auch deren Voraussetzungen. In den vierziger Jahren war es um
die deutsche Oper dürftig bestellt. Weber war lange tot, Spvhr war ver¬
stummt, und Marschners spätere Werke wollten nicht mehr verfangen. Meyer¬
beer zählte als deutscher Komponist kaum noch mit. Wagner hatte sich noch
nicht geltend gemacht. Neben Lortzing hatten in diesem Jahrzehnt doch nur
Flotow und Nicolai durchschlagende unmittelbare Erfolge. Aber wir wollen
es offen gestehen: der Grund, sie zusammenzustellen, ist ein andrer, ein
ganz zufälliger. Denn nur als Zufall kann man es betrachten, daß beide im
vorigen Jahre gleichzeitig uuter die biographische Betrachtung genommen worden
sind, und daß sich diese bei beiden auf Tagebücher und autobiographische Auf¬
zeichnungen stützt.") Von diesen Biographien wollten wir eigentlich reden,
und thun es nun, soweit noch nötig.

Jedes einzelnen Menschen Leben hat Interesse für alle, es kommt nur
darauf an, wie man es darstellt. Das Bild einer Persönlichkeit zeichnen, ist
eine Kunst; von einem Kunstwerk verlangen wir Einheitlichkeit, und wenn
Selbstberichtetes benutzt wird, so muß es planvoll zum Ganzen gestaltet
werden. Darstellungskunst besitzen nun beide Verfasser wenig, aber der Bio¬
graph Nicolais ist dem andern doch noch um ein gutes Teil überlegen. Mit
Flotvws Lebensbeschreibung steht es so: wer den Mann gekannt hat, wird
manches darin finden, was ihm sein Bild lebendiger vor die Seele stellt,
manches, an das er Beziehungen zu Selbsterlebtem anknüpfen kann. Wer nicht
in dieser Lage ist, wird anch durch das Buch nicht viel klüger werden; hat
er nicht schon vorher Teilnahme für den Künstler gehabt, durch das Buch
wird sie nicht in ihm geweckt werden, und hat er an seinen muntern Opern
Gefallen gefunden, so wird er doch aus der Lebensbeschreibung nur weniges
entnehmen können, wodurch dieses Gefallen eine tiefere Resonanz erhielte.

Wir erfahren, daß das Manuskript zunächst nur für die Familie bestimmt
gewesen und erst später für einen weitern Leserkreis umgestaltet worden sei.
Mit Rücksicht auf die Familie ist manches stehen geblieben (die Geschichte
der Familie von Flotow seit dem zwölften Jahrhundert, die umständliche
Schilderung der Bestattungsfeierlichkeiten des Komponisten), was Fernerstehende
nicht interessirt; vor dem weitern Leserkreise ist, wie es scheint, manches ver¬
schwiegen worden, was gesagt werden mußte, wenn die Veröffentlichung des



Friedrich von Flvtows Leben. Von seiner Witwe. Leipzig, Breitkopf und
Härtel, 1892. -- Otto Nicolais Tagebücher nebst biographischen Ergänzungen. Vo"
B. Schröder. Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1892.
Friedrich von Flotow und Gelo Nicolai

aus fast als das größere Glück, sein Gelungenstes leisten und schleunig sterbe»,
wie es Nicolais Schicksal war.

Warum wir Flotow und Nicolai hier als Paar betrachten? Sie waren
Altersgenossen. Die Eigentümlichkeit ihrer Erfolge bietet manchen Vergleichungs-
punkt. Auch deren Voraussetzungen. In den vierziger Jahren war es um
die deutsche Oper dürftig bestellt. Weber war lange tot, Spvhr war ver¬
stummt, und Marschners spätere Werke wollten nicht mehr verfangen. Meyer¬
beer zählte als deutscher Komponist kaum noch mit. Wagner hatte sich noch
nicht geltend gemacht. Neben Lortzing hatten in diesem Jahrzehnt doch nur
Flotow und Nicolai durchschlagende unmittelbare Erfolge. Aber wir wollen
es offen gestehen: der Grund, sie zusammenzustellen, ist ein andrer, ein
ganz zufälliger. Denn nur als Zufall kann man es betrachten, daß beide im
vorigen Jahre gleichzeitig uuter die biographische Betrachtung genommen worden
sind, und daß sich diese bei beiden auf Tagebücher und autobiographische Auf¬
zeichnungen stützt.") Von diesen Biographien wollten wir eigentlich reden,
und thun es nun, soweit noch nötig.

Jedes einzelnen Menschen Leben hat Interesse für alle, es kommt nur
darauf an, wie man es darstellt. Das Bild einer Persönlichkeit zeichnen, ist
eine Kunst; von einem Kunstwerk verlangen wir Einheitlichkeit, und wenn
Selbstberichtetes benutzt wird, so muß es planvoll zum Ganzen gestaltet
werden. Darstellungskunst besitzen nun beide Verfasser wenig, aber der Bio¬
graph Nicolais ist dem andern doch noch um ein gutes Teil überlegen. Mit
Flotvws Lebensbeschreibung steht es so: wer den Mann gekannt hat, wird
manches darin finden, was ihm sein Bild lebendiger vor die Seele stellt,
manches, an das er Beziehungen zu Selbsterlebtem anknüpfen kann. Wer nicht
in dieser Lage ist, wird anch durch das Buch nicht viel klüger werden; hat
er nicht schon vorher Teilnahme für den Künstler gehabt, durch das Buch
wird sie nicht in ihm geweckt werden, und hat er an seinen muntern Opern
Gefallen gefunden, so wird er doch aus der Lebensbeschreibung nur weniges
entnehmen können, wodurch dieses Gefallen eine tiefere Resonanz erhielte.

Wir erfahren, daß das Manuskript zunächst nur für die Familie bestimmt
gewesen und erst später für einen weitern Leserkreis umgestaltet worden sei.
Mit Rücksicht auf die Familie ist manches stehen geblieben (die Geschichte
der Familie von Flotow seit dem zwölften Jahrhundert, die umständliche
Schilderung der Bestattungsfeierlichkeiten des Komponisten), was Fernerstehende
nicht interessirt; vor dem weitern Leserkreise ist, wie es scheint, manches ver¬
schwiegen worden, was gesagt werden mußte, wenn die Veröffentlichung des



Friedrich von Flvtows Leben. Von seiner Witwe. Leipzig, Breitkopf und
Härtel, 1892. — Otto Nicolais Tagebücher nebst biographischen Ergänzungen. Vo»
B. Schröder. Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1892.
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[0376] Friedrich von Flotow und Gelo Nicolai aus fast als das größere Glück, sein Gelungenstes leisten und schleunig sterbe», wie es Nicolais Schicksal war. Warum wir Flotow und Nicolai hier als Paar betrachten? Sie waren Altersgenossen. Die Eigentümlichkeit ihrer Erfolge bietet manchen Vergleichungs- punkt. Auch deren Voraussetzungen. In den vierziger Jahren war es um die deutsche Oper dürftig bestellt. Weber war lange tot, Spvhr war ver¬ stummt, und Marschners spätere Werke wollten nicht mehr verfangen. Meyer¬ beer zählte als deutscher Komponist kaum noch mit. Wagner hatte sich noch nicht geltend gemacht. Neben Lortzing hatten in diesem Jahrzehnt doch nur Flotow und Nicolai durchschlagende unmittelbare Erfolge. Aber wir wollen es offen gestehen: der Grund, sie zusammenzustellen, ist ein andrer, ein ganz zufälliger. Denn nur als Zufall kann man es betrachten, daß beide im vorigen Jahre gleichzeitig uuter die biographische Betrachtung genommen worden sind, und daß sich diese bei beiden auf Tagebücher und autobiographische Auf¬ zeichnungen stützt.") Von diesen Biographien wollten wir eigentlich reden, und thun es nun, soweit noch nötig. Jedes einzelnen Menschen Leben hat Interesse für alle, es kommt nur darauf an, wie man es darstellt. Das Bild einer Persönlichkeit zeichnen, ist eine Kunst; von einem Kunstwerk verlangen wir Einheitlichkeit, und wenn Selbstberichtetes benutzt wird, so muß es planvoll zum Ganzen gestaltet werden. Darstellungskunst besitzen nun beide Verfasser wenig, aber der Bio¬ graph Nicolais ist dem andern doch noch um ein gutes Teil überlegen. Mit Flotvws Lebensbeschreibung steht es so: wer den Mann gekannt hat, wird manches darin finden, was ihm sein Bild lebendiger vor die Seele stellt, manches, an das er Beziehungen zu Selbsterlebtem anknüpfen kann. Wer nicht in dieser Lage ist, wird anch durch das Buch nicht viel klüger werden; hat er nicht schon vorher Teilnahme für den Künstler gehabt, durch das Buch wird sie nicht in ihm geweckt werden, und hat er an seinen muntern Opern Gefallen gefunden, so wird er doch aus der Lebensbeschreibung nur weniges entnehmen können, wodurch dieses Gefallen eine tiefere Resonanz erhielte. Wir erfahren, daß das Manuskript zunächst nur für die Familie bestimmt gewesen und erst später für einen weitern Leserkreis umgestaltet worden sei. Mit Rücksicht auf die Familie ist manches stehen geblieben (die Geschichte der Familie von Flotow seit dem zwölften Jahrhundert, die umständliche Schilderung der Bestattungsfeierlichkeiten des Komponisten), was Fernerstehende nicht interessirt; vor dem weitern Leserkreise ist, wie es scheint, manches ver¬ schwiegen worden, was gesagt werden mußte, wenn die Veröffentlichung des Friedrich von Flvtows Leben. Von seiner Witwe. Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1892. — Otto Nicolais Tagebücher nebst biographischen Ergänzungen. Vo» B. Schröder. Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1892.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/376>, abgerufen am 27.08.2024.