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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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gewöhnlichsten Schlages gewesen sein. Anderswo zuweilen gute Musik zu
hören, erhielt er keine Gelegenheit. Mit siebzehn Jahren wurde er uach Paris
gebracht in die Lehre von Reicha und Pixis. Nach zwei Jahren hielt er seine
Ausbildung für vollendet. Nun gings ans Komponiren von Opern, franzö¬
sischen natürlich, und zunächst für Privatbühnen. Er schrieb sehr schnell und
flüchtig, erwarb sich aber eine gründliche Theaterkenntnis. Allmühlich gelangte
er auch auf öffentliche Schauplätze und hatte mit seinen flotten Melodien Er¬
folg. Einige dieser Opern wurden übersetzt und in Schwerin aufgeführt. Da
fällt es ihm ein, auch einmal eine originaldeutsche Oper zu machen. "Stra-
della" erscheint (1844) und zieht von Hamburg aus durch die Welt, überall
von dem stärksten Beifall begleitet, der sich drei Jahre spater bei der "Martha"
noch vervielfacht.

Man hat bei Flotow das Gefühl, daß er die eigentliche deutsche Musik
kaum kennt. Mozarts Opern wird er natürlich gehört haben, Beethovens
Sinfonien und Kammermusik vielleicht auch, aber von dem, was der Musiker
"keimen" nennt, kaun bei ihm nicht die Rede sein. Er betrachtete sein Leben
lang die Musik als eine Art Sport. Ein jovialer Kavalier, etwas leichtlebig
und unstet, liebenswürdig auch dadurch, daß er selbst nach seinen Welterfolgeu
fern von aller Anmaßung blieb. Er nahm die Dinge nicht sehr ernsthaft. Seiner
Musik fehlt deshalb auch der Adel; durch die Geburt wird dieser nicht erworben,
sondern durch die Ausnutzung des Erbes, das die großen Musiker hinterlassen
haben, und durch das stolze Bewußtsein von seinem Wert. Flotows Melodien
haben einen Stich ins Gassenhauerische, und wo sie empfindungsvoll sein
sollen, nähern sie sich bedenklich der Liedertafelsentimentalität. In dem zweiten
Punkte mag Marschners Vorbild manche Schuld tragen; was das erstere be¬
trifft, so ist bezeichnend, daß Offenbach Flotows sehr geschützter jüngerer Freund
gewesen ist. In gewisser Beziehung ist Offenbach Flotows Fortsetzung. Aber
Flotow ist ganz frei von Offenbachs musikalischen Unanständigkeiten, seine
Fröhlichkeit ist harmlos und naiv; um zu reflektiren und zu spekuliren, nahm
er das Komponiren überhaupt zu leicht. Mit gewandter Hand und sicherm
Instinkt gestaltet, bühnenwirksam, melodienreich, im Komischen besonders glück¬
lich, fließt seine Musik hin wie ein heiteres Geplauder. Sorgen läßt sie nicht
entstehen, und lacht sie hinweg, wo sie vorhanden sind.

Wenn auch Flotow fast ausschließlich französisch gebildet war, wenn er
bis ans Lebensende am meisten für französische Bühnen schrieb, übrigens sich
durch seine Erfolge in Italien, England, Rußland als Komponist von inter¬
nationalen Eigenschaften erwies, seine Bedeutung beruht doch auf den deutschen
Opern und der dauernden Wirkung, die sie im Vaterlande ausgeübt haben.
Darin, daß sie dieses konnten, zeigt sich eine der Unberechenbarkeiten der Oper.
Wer Hütte je gedacht, daß ein dilettantisirender Junker aus einem der am
wenigsten musikalischen Stämme Deutschlands, der sich ohne jede gediegne


gewöhnlichsten Schlages gewesen sein. Anderswo zuweilen gute Musik zu
hören, erhielt er keine Gelegenheit. Mit siebzehn Jahren wurde er uach Paris
gebracht in die Lehre von Reicha und Pixis. Nach zwei Jahren hielt er seine
Ausbildung für vollendet. Nun gings ans Komponiren von Opern, franzö¬
sischen natürlich, und zunächst für Privatbühnen. Er schrieb sehr schnell und
flüchtig, erwarb sich aber eine gründliche Theaterkenntnis. Allmühlich gelangte
er auch auf öffentliche Schauplätze und hatte mit seinen flotten Melodien Er¬
folg. Einige dieser Opern wurden übersetzt und in Schwerin aufgeführt. Da
fällt es ihm ein, auch einmal eine originaldeutsche Oper zu machen. „Stra-
della" erscheint (1844) und zieht von Hamburg aus durch die Welt, überall
von dem stärksten Beifall begleitet, der sich drei Jahre spater bei der „Martha"
noch vervielfacht.

Man hat bei Flotow das Gefühl, daß er die eigentliche deutsche Musik
kaum kennt. Mozarts Opern wird er natürlich gehört haben, Beethovens
Sinfonien und Kammermusik vielleicht auch, aber von dem, was der Musiker
„keimen" nennt, kaun bei ihm nicht die Rede sein. Er betrachtete sein Leben
lang die Musik als eine Art Sport. Ein jovialer Kavalier, etwas leichtlebig
und unstet, liebenswürdig auch dadurch, daß er selbst nach seinen Welterfolgeu
fern von aller Anmaßung blieb. Er nahm die Dinge nicht sehr ernsthaft. Seiner
Musik fehlt deshalb auch der Adel; durch die Geburt wird dieser nicht erworben,
sondern durch die Ausnutzung des Erbes, das die großen Musiker hinterlassen
haben, und durch das stolze Bewußtsein von seinem Wert. Flotows Melodien
haben einen Stich ins Gassenhauerische, und wo sie empfindungsvoll sein
sollen, nähern sie sich bedenklich der Liedertafelsentimentalität. In dem zweiten
Punkte mag Marschners Vorbild manche Schuld tragen; was das erstere be¬
trifft, so ist bezeichnend, daß Offenbach Flotows sehr geschützter jüngerer Freund
gewesen ist. In gewisser Beziehung ist Offenbach Flotows Fortsetzung. Aber
Flotow ist ganz frei von Offenbachs musikalischen Unanständigkeiten, seine
Fröhlichkeit ist harmlos und naiv; um zu reflektiren und zu spekuliren, nahm
er das Komponiren überhaupt zu leicht. Mit gewandter Hand und sicherm
Instinkt gestaltet, bühnenwirksam, melodienreich, im Komischen besonders glück¬
lich, fließt seine Musik hin wie ein heiteres Geplauder. Sorgen läßt sie nicht
entstehen, und lacht sie hinweg, wo sie vorhanden sind.

Wenn auch Flotow fast ausschließlich französisch gebildet war, wenn er
bis ans Lebensende am meisten für französische Bühnen schrieb, übrigens sich
durch seine Erfolge in Italien, England, Rußland als Komponist von inter¬
nationalen Eigenschaften erwies, seine Bedeutung beruht doch auf den deutschen
Opern und der dauernden Wirkung, die sie im Vaterlande ausgeübt haben.
Darin, daß sie dieses konnten, zeigt sich eine der Unberechenbarkeiten der Oper.
Wer Hütte je gedacht, daß ein dilettantisirender Junker aus einem der am
wenigsten musikalischen Stämme Deutschlands, der sich ohne jede gediegne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/374>, abgerufen am 27.08.2024.