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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Flotow und Giro Nicolai

dessen, was der historische Staat ein für allemal als Verbrechen erklärt, wird
immer dieselbe Wirkung thun. Und wenn ein junger Mensch zum erstenmale
eine trockne Beschreibung von den Septembermvrden in Paris hört, so wird
ihm schauerlich zu Mute sein, mag der Lehrer, der Vater, die Gesellschaft diese
oder jene politischen Ansichten vertreten.

Um aber Thatsachenwirkungeu dieser Art hervorzubringen, ist es nötig,
daß diese Dinge gewußt werden. Wenn aber, wie es jetzt vorkommt, junge Leute
zu den Staatsprüfungen kommen und von den Vorgängen der französischen
Revolution nicht ein Wort gehört haben, da im besten Fall immer nur deutsche
Geschichte gelehrt worden ist, so kann man nicht verlangen, daß die geschicht¬
lichen Thatsachen ans die Gemüter der nachkommenden Welt Eindruck macheu
und Einfluß üben. Vor kurzem erzählte mir jemand einen hübschen Fall aus
einer sozialdemokratischen Versammlung. Ein Redner, der sich gegen die Militär¬
vorlage ereiferte, dozirte seinen willigen Zuhörern, wie der große Napoleon
seine Siege dadurch errungen habe, daß er das Milizsystem eingeführt hätte,
dann aber sei er zu dem Militarismus zurückgekehrt, wovon wieder die Folge
gewesen sei, daß er geschlagen worden und untergegangen sei. Der Mann soll
seine Sache ganz geschickt gemacht haben. Er wußte die Isves su to^hö für
seine Zwecke zu verwenden und erntete natürlich bei dem Verderben der Zrancllz
arlNL<z großen Beifall. Nun frage ich, dnrch welche Mittel wäre Vonseiten
eines Unterrichteten gegen dieses Geschwätz auszukommen? Durch die lehrhaften
Auseinandersetzungen volkswirtschaftlicher und verfassungsrechtlicher Betrach¬
tungen, wie man sie heute zuweilen mit dem Geschichtsunterricht verbunden
sehen will? Gewiß nicht. Eine einfache Darstellung des wahren Sachverhalts
würde genügen, aber die setzt Kenntnisse voraus, die man erworben haben
muß; hat man diese nicht, so können alle schönen Lehrmeinungen und Redens¬
arten nicht helfen, der Lüge entgegenzutreten.

(Schluß folgt)




Friedrich von Flotow und Otto Nicolai

s giebt keinen Kunstzweig, dessen Geschichte so reich an Über¬
raschungen wäre, wie die Oper. Bühnenpraktiker versichern, daß
es auch bei ausgebreiteter Erfahrung ganz unmöglich sei, die
Wirkung eines Theaterstücks im voraus sicher zu berechnen;
auch der geübteste Blick werde zu schänden gegenüber den ver¬
borgnen Wirkungen, die erst in dein Augenblick der Aufführung ungeahnt her?


Friedrich von Flotow und Giro Nicolai

dessen, was der historische Staat ein für allemal als Verbrechen erklärt, wird
immer dieselbe Wirkung thun. Und wenn ein junger Mensch zum erstenmale
eine trockne Beschreibung von den Septembermvrden in Paris hört, so wird
ihm schauerlich zu Mute sein, mag der Lehrer, der Vater, die Gesellschaft diese
oder jene politischen Ansichten vertreten.

Um aber Thatsachenwirkungeu dieser Art hervorzubringen, ist es nötig,
daß diese Dinge gewußt werden. Wenn aber, wie es jetzt vorkommt, junge Leute
zu den Staatsprüfungen kommen und von den Vorgängen der französischen
Revolution nicht ein Wort gehört haben, da im besten Fall immer nur deutsche
Geschichte gelehrt worden ist, so kann man nicht verlangen, daß die geschicht¬
lichen Thatsachen ans die Gemüter der nachkommenden Welt Eindruck macheu
und Einfluß üben. Vor kurzem erzählte mir jemand einen hübschen Fall aus
einer sozialdemokratischen Versammlung. Ein Redner, der sich gegen die Militär¬
vorlage ereiferte, dozirte seinen willigen Zuhörern, wie der große Napoleon
seine Siege dadurch errungen habe, daß er das Milizsystem eingeführt hätte,
dann aber sei er zu dem Militarismus zurückgekehrt, wovon wieder die Folge
gewesen sei, daß er geschlagen worden und untergegangen sei. Der Mann soll
seine Sache ganz geschickt gemacht haben. Er wußte die Isves su to^hö für
seine Zwecke zu verwenden und erntete natürlich bei dem Verderben der Zrancllz
arlNL<z großen Beifall. Nun frage ich, dnrch welche Mittel wäre Vonseiten
eines Unterrichteten gegen dieses Geschwätz auszukommen? Durch die lehrhaften
Auseinandersetzungen volkswirtschaftlicher und verfassungsrechtlicher Betrach¬
tungen, wie man sie heute zuweilen mit dem Geschichtsunterricht verbunden
sehen will? Gewiß nicht. Eine einfache Darstellung des wahren Sachverhalts
würde genügen, aber die setzt Kenntnisse voraus, die man erworben haben
muß; hat man diese nicht, so können alle schönen Lehrmeinungen und Redens¬
arten nicht helfen, der Lüge entgegenzutreten.

(Schluß folgt)




Friedrich von Flotow und Otto Nicolai

s giebt keinen Kunstzweig, dessen Geschichte so reich an Über¬
raschungen wäre, wie die Oper. Bühnenpraktiker versichern, daß
es auch bei ausgebreiteter Erfahrung ganz unmöglich sei, die
Wirkung eines Theaterstücks im voraus sicher zu berechnen;
auch der geübteste Blick werde zu schänden gegenüber den ver¬
borgnen Wirkungen, die erst in dein Augenblick der Aufführung ungeahnt her?


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[0372] Friedrich von Flotow und Giro Nicolai dessen, was der historische Staat ein für allemal als Verbrechen erklärt, wird immer dieselbe Wirkung thun. Und wenn ein junger Mensch zum erstenmale eine trockne Beschreibung von den Septembermvrden in Paris hört, so wird ihm schauerlich zu Mute sein, mag der Lehrer, der Vater, die Gesellschaft diese oder jene politischen Ansichten vertreten. Um aber Thatsachenwirkungeu dieser Art hervorzubringen, ist es nötig, daß diese Dinge gewußt werden. Wenn aber, wie es jetzt vorkommt, junge Leute zu den Staatsprüfungen kommen und von den Vorgängen der französischen Revolution nicht ein Wort gehört haben, da im besten Fall immer nur deutsche Geschichte gelehrt worden ist, so kann man nicht verlangen, daß die geschicht¬ lichen Thatsachen ans die Gemüter der nachkommenden Welt Eindruck macheu und Einfluß üben. Vor kurzem erzählte mir jemand einen hübschen Fall aus einer sozialdemokratischen Versammlung. Ein Redner, der sich gegen die Militär¬ vorlage ereiferte, dozirte seinen willigen Zuhörern, wie der große Napoleon seine Siege dadurch errungen habe, daß er das Milizsystem eingeführt hätte, dann aber sei er zu dem Militarismus zurückgekehrt, wovon wieder die Folge gewesen sei, daß er geschlagen worden und untergegangen sei. Der Mann soll seine Sache ganz geschickt gemacht haben. Er wußte die Isves su to^hö für seine Zwecke zu verwenden und erntete natürlich bei dem Verderben der Zrancllz arlNL<z großen Beifall. Nun frage ich, dnrch welche Mittel wäre Vonseiten eines Unterrichteten gegen dieses Geschwätz auszukommen? Durch die lehrhaften Auseinandersetzungen volkswirtschaftlicher und verfassungsrechtlicher Betrach¬ tungen, wie man sie heute zuweilen mit dem Geschichtsunterricht verbunden sehen will? Gewiß nicht. Eine einfache Darstellung des wahren Sachverhalts würde genügen, aber die setzt Kenntnisse voraus, die man erworben haben muß; hat man diese nicht, so können alle schönen Lehrmeinungen und Redens¬ arten nicht helfen, der Lüge entgegenzutreten. (Schluß folgt) Friedrich von Flotow und Otto Nicolai s giebt keinen Kunstzweig, dessen Geschichte so reich an Über¬ raschungen wäre, wie die Oper. Bühnenpraktiker versichern, daß es auch bei ausgebreiteter Erfahrung ganz unmöglich sei, die Wirkung eines Theaterstücks im voraus sicher zu berechnen; auch der geübteste Blick werde zu schänden gegenüber den ver¬ borgnen Wirkungen, die erst in dein Augenblick der Aufführung ungeahnt her?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/372>, abgerufen am 27.08.2024.