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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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lange einen Unterricht, der etwas stark ausgedehnt ist. Auch dürften bei
diesem Unterricht eine Menge Gegenstände unterlaufen, vou denen die Schiller
wahrscheinlich nichts begreifen werden, die man allerdings als das Endergebnis
einer guten historischen Bildung ansehen kann, von denen man aber doch zu¬
nächst besser nicht spricht. Die Versammlung scheint sich sogleich ausschließlich
auf diese pädagogische Frage gestürzt zu haben. Man hat es als etwas ganz
selbstverständliches angesehen, sich vorzugsweise mit dem zu beschäftigen, was
der Lehrer zu dem Gegenstande hinzuthun wird. Man scheint so sehr von
der Wichtigkeit dessen überzeugt zu sein, was in der Schule geschieht oder
nicht geschieht, daß man gar nicht mehr daran denkt, ob und was die Wissen¬
schaft als solche, der Gegenstand, sein positiver Inhalt leistet und bewirkt.
Man hat wenig Vertrauen zu dem, was Wissen und Können bedeuten; das
Gute kommt von der Schulkonferenz und von den Anweisungen, die der Lehrer
erhält, um in diesem oder jenein Sinne zu wirken. Unter diesen, wie mir
scheint, nicht sehr glücklichen Gesichtspunkten ist man an die Aufstellung der
Thesen gegangen und hat sie dann auch in Erwägung gezogen.

Die Fragestellung, die ich aus dem Programm der Versammlung unter
mitgeteilt habe, inwieweit der Geschichtsunterricht dazu diene, für die Aufgaben
des öffentlichen Lebens vorzubereiten, ist, man verzeihe mir diese offne Bemer¬
kung, von Grund aus verfehlt. Nach meinem Begriff von der Geschichte ist
das genau so, wie wenn ich fragen wollte: Kann nur das Einmaleins dazu
dienen, um von meinen Kapitalien die Zinsen auszurechnen? Freilich, wer das
Einmaleins nicht selber kann, braucht deshalb seine Zinsen nicht zu verlieren.
Er schneidet seine Coupons ni>, und der Bankier giebt ihm dafür so und so
dick Mark. Und der, der von der Geschichte nicht so viel erfahren hat, als
nötig ist, um sich einen Begriff von den Staaten Europas zu machen, kann
nicht verhindert werden, jede Art von Politik zu betreiben. Aber in beiden
Fällen befindet sich der Kapitalist so gut wie der Politiker in gleich trauriger
^age. Was soll es also heißen, wenn man die Dienlichkeit des historischen
Wissens für den politischen Betrieb beweist oder bestreitet? Das Verhältnis
von Politik und Geschichte so betrachten zu wollen, als ob es sich um den
Unterricht in der Mathematik oder Astronomie handelte, indem man dabei die
Frage aufwirft, ob es für die Kenntnis dieser Dinge nützlich sei, anch von der
Geschichte dieser Wissenschaften etwas mitzuteilen, wäre ein in jeder Beziehung
unglücklicher Vergleich, Die Geschichte bleibt Geschichte und beschäftigt sich
immer mit der Politik. Ganz einverstanden darf ich mich daher der Haupt¬
sache "ach mit deu Ausführungen Doves erklären, der, wie mir scheint, am
bestimmtesten der Zuversicht Ausdruck gegeben hat, daß man die Wirkung alles
geschichtlichen Unterrichts einfach von der Geschichte selbst zu erwarten habe,
^r hat jedoch mit dieser Bemerkung eigentlich mehr die These als das Referat
bes Herrn Mariens vernichtet. Denn zwischen seiner Ansicht und der des


lange einen Unterricht, der etwas stark ausgedehnt ist. Auch dürften bei
diesem Unterricht eine Menge Gegenstände unterlaufen, vou denen die Schiller
wahrscheinlich nichts begreifen werden, die man allerdings als das Endergebnis
einer guten historischen Bildung ansehen kann, von denen man aber doch zu¬
nächst besser nicht spricht. Die Versammlung scheint sich sogleich ausschließlich
auf diese pädagogische Frage gestürzt zu haben. Man hat es als etwas ganz
selbstverständliches angesehen, sich vorzugsweise mit dem zu beschäftigen, was
der Lehrer zu dem Gegenstande hinzuthun wird. Man scheint so sehr von
der Wichtigkeit dessen überzeugt zu sein, was in der Schule geschieht oder
nicht geschieht, daß man gar nicht mehr daran denkt, ob und was die Wissen¬
schaft als solche, der Gegenstand, sein positiver Inhalt leistet und bewirkt.
Man hat wenig Vertrauen zu dem, was Wissen und Können bedeuten; das
Gute kommt von der Schulkonferenz und von den Anweisungen, die der Lehrer
erhält, um in diesem oder jenein Sinne zu wirken. Unter diesen, wie mir
scheint, nicht sehr glücklichen Gesichtspunkten ist man an die Aufstellung der
Thesen gegangen und hat sie dann auch in Erwägung gezogen.

Die Fragestellung, die ich aus dem Programm der Versammlung unter
mitgeteilt habe, inwieweit der Geschichtsunterricht dazu diene, für die Aufgaben
des öffentlichen Lebens vorzubereiten, ist, man verzeihe mir diese offne Bemer¬
kung, von Grund aus verfehlt. Nach meinem Begriff von der Geschichte ist
das genau so, wie wenn ich fragen wollte: Kann nur das Einmaleins dazu
dienen, um von meinen Kapitalien die Zinsen auszurechnen? Freilich, wer das
Einmaleins nicht selber kann, braucht deshalb seine Zinsen nicht zu verlieren.
Er schneidet seine Coupons ni>, und der Bankier giebt ihm dafür so und so
dick Mark. Und der, der von der Geschichte nicht so viel erfahren hat, als
nötig ist, um sich einen Begriff von den Staaten Europas zu machen, kann
nicht verhindert werden, jede Art von Politik zu betreiben. Aber in beiden
Fällen befindet sich der Kapitalist so gut wie der Politiker in gleich trauriger
^age. Was soll es also heißen, wenn man die Dienlichkeit des historischen
Wissens für den politischen Betrieb beweist oder bestreitet? Das Verhältnis
von Politik und Geschichte so betrachten zu wollen, als ob es sich um den
Unterricht in der Mathematik oder Astronomie handelte, indem man dabei die
Frage aufwirft, ob es für die Kenntnis dieser Dinge nützlich sei, anch von der
Geschichte dieser Wissenschaften etwas mitzuteilen, wäre ein in jeder Beziehung
unglücklicher Vergleich, Die Geschichte bleibt Geschichte und beschäftigt sich
immer mit der Politik. Ganz einverstanden darf ich mich daher der Haupt¬
sache „ach mit deu Ausführungen Doves erklären, der, wie mir scheint, am
bestimmtesten der Zuversicht Ausdruck gegeben hat, daß man die Wirkung alles
geschichtlichen Unterrichts einfach von der Geschichte selbst zu erwarten habe,
^r hat jedoch mit dieser Bemerkung eigentlich mehr die These als das Referat
bes Herrn Mariens vernichtet. Denn zwischen seiner Ansicht und der des


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[0368] lange einen Unterricht, der etwas stark ausgedehnt ist. Auch dürften bei diesem Unterricht eine Menge Gegenstände unterlaufen, vou denen die Schiller wahrscheinlich nichts begreifen werden, die man allerdings als das Endergebnis einer guten historischen Bildung ansehen kann, von denen man aber doch zu¬ nächst besser nicht spricht. Die Versammlung scheint sich sogleich ausschließlich auf diese pädagogische Frage gestürzt zu haben. Man hat es als etwas ganz selbstverständliches angesehen, sich vorzugsweise mit dem zu beschäftigen, was der Lehrer zu dem Gegenstande hinzuthun wird. Man scheint so sehr von der Wichtigkeit dessen überzeugt zu sein, was in der Schule geschieht oder nicht geschieht, daß man gar nicht mehr daran denkt, ob und was die Wissen¬ schaft als solche, der Gegenstand, sein positiver Inhalt leistet und bewirkt. Man hat wenig Vertrauen zu dem, was Wissen und Können bedeuten; das Gute kommt von der Schulkonferenz und von den Anweisungen, die der Lehrer erhält, um in diesem oder jenein Sinne zu wirken. Unter diesen, wie mir scheint, nicht sehr glücklichen Gesichtspunkten ist man an die Aufstellung der Thesen gegangen und hat sie dann auch in Erwägung gezogen. Die Fragestellung, die ich aus dem Programm der Versammlung unter mitgeteilt habe, inwieweit der Geschichtsunterricht dazu diene, für die Aufgaben des öffentlichen Lebens vorzubereiten, ist, man verzeihe mir diese offne Bemer¬ kung, von Grund aus verfehlt. Nach meinem Begriff von der Geschichte ist das genau so, wie wenn ich fragen wollte: Kann nur das Einmaleins dazu dienen, um von meinen Kapitalien die Zinsen auszurechnen? Freilich, wer das Einmaleins nicht selber kann, braucht deshalb seine Zinsen nicht zu verlieren. Er schneidet seine Coupons ni>, und der Bankier giebt ihm dafür so und so dick Mark. Und der, der von der Geschichte nicht so viel erfahren hat, als nötig ist, um sich einen Begriff von den Staaten Europas zu machen, kann nicht verhindert werden, jede Art von Politik zu betreiben. Aber in beiden Fällen befindet sich der Kapitalist so gut wie der Politiker in gleich trauriger ^age. Was soll es also heißen, wenn man die Dienlichkeit des historischen Wissens für den politischen Betrieb beweist oder bestreitet? Das Verhältnis von Politik und Geschichte so betrachten zu wollen, als ob es sich um den Unterricht in der Mathematik oder Astronomie handelte, indem man dabei die Frage aufwirft, ob es für die Kenntnis dieser Dinge nützlich sei, anch von der Geschichte dieser Wissenschaften etwas mitzuteilen, wäre ein in jeder Beziehung unglücklicher Vergleich, Die Geschichte bleibt Geschichte und beschäftigt sich immer mit der Politik. Ganz einverstanden darf ich mich daher der Haupt¬ sache „ach mit deu Ausführungen Doves erklären, der, wie mir scheint, am bestimmtesten der Zuversicht Ausdruck gegeben hat, daß man die Wirkung alles geschichtlichen Unterrichts einfach von der Geschichte selbst zu erwarten habe, ^r hat jedoch mit dieser Bemerkung eigentlich mehr die These als das Referat bes Herrn Mariens vernichtet. Denn zwischen seiner Ansicht und der des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/368>, abgerufen am 27.08.2024.