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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Versammlung deutscher Historiker in München

Stufe des Unterrichts man auch dabei denken möge, mit Staatsbewußtsein
und Vaterlandsliebe nichts zu thun, möchte man gern für unmöglich
halten; aber in einer Zeit, wo so viel widersprechendes und sonderbares
über diese Dinge zu Tage gekommen ist, muß es als eine Pflicht angesehen
werden, Mißverständnisse von so erschrecklicher Art wie die, die hier vorge¬
kommen zu sein scheinen, so rasch und gründlich als möglich zu beseitigen.

Die Münchner Freunde werden ohne Zweifel für eine richtige Darstellung
der wahren Meinung der Versammlung sorgen. Ich meinerseits möchte hier
ein offnes Wort in Bezug auf die Form der aufgestellten Fragen aussprechen.
Gleich anfangs, als mir das Programm des Historikertags zu Gesichte kam,
hatte ich Zweifel, ob es möglich sein werde, zu irgend einer Verständigung
über einen Satz zu gelangen, der entweder selbstverständlich ist, also keine
Frage enthält, oder aber wenn er in einem andern als dem selbstverständ¬
lichen Sinn aufgefaßt werden sollte, jedenfalls zu den weitgehendsten Mi߬
verständnissen führen muß. Die Frage war so gefaßt- In wie weit hat
der Geschichtsunterricht zu dienen als Vorbereitung zur Teilnahme an den
Aufgaben, die das öffentliche Leben der Gegenwart um jeden Gebildeten stellt?
I". Wie ist demgemäß der Geschichtsunterricht zu erteilen?" In der Debatte
wurde von irgend einer Seite die treffende Bemerkung gemacht, daß es scheine,
als befände man sich nicht auf einer Historiker-, sondern ans einer Pädagogen¬
versammlung, und ich kann nicht leugnen, daß ich beim Lesen der meisten
Reden, so weit sie mir bekannt geworden sind, durchaus diesen Eindruck ge¬
habt habe. Es scheint wirklich, als ob es bei uns eine gewisse Schwierigkeit
hätte, sich in der Unterhaltung über eine Frage der Wissenschaft an die sach¬
lichen und objektiven Fragen des Gegenstandes zu halten und sich darauf zu
beschränken. Immer tritt gleich die Absicht hervor, durch Mitteilung von
positivem Wissen irgend etwas zu "bezwecke""; so sehr ist man gewöhnlich von
pädagogischen Gesichtspunkten beherrscht, die doch den Fachmann, der seine
Aufmerksamkeit rein auf den Gegenstand gerichtet hat, zunächst gar nichts an¬
zugehen brauchen. Ich erlaube mir daher gleich von vornherein die Bemerkung
zu machen, daß ich für diese pädagogische Seite der Frage durchaus kein In¬
teresse habe, sondern daß ich mich lediglich über die Bedeutung des geschicht¬
lichen Studiums, seine Aufgaben und Ziele äußern kann. Mir scheint es
falsch, daß man in München anstatt von dem Nutzen und der Natur ge¬
schichtlicher Kenntnisse überhaupt zu reden, sich in einen den Fachmann un¬
mittelbar eigentlich nicht berührenden Streit über das gymnasiale Lehrpensum
eingelassen hat. Man scheint dabei dem Berichterstatter, Herrn Direktor
Wartens, wirklich Unrecht gethan zu haben, wenn man fast von allen Seiten
voraussetzte, es komme ihm darauf an, seinen Schülern diese oder jene Ge¬
sinnung gleichsam obrigkeitlich einzuflößen. Soweit ich seine Schrift gelesen
habe, kann ich nur sagen, daß ich den Eindruck gewonnen habe, Martens ver-


Die Versammlung deutscher Historiker in München

Stufe des Unterrichts man auch dabei denken möge, mit Staatsbewußtsein
und Vaterlandsliebe nichts zu thun, möchte man gern für unmöglich
halten; aber in einer Zeit, wo so viel widersprechendes und sonderbares
über diese Dinge zu Tage gekommen ist, muß es als eine Pflicht angesehen
werden, Mißverständnisse von so erschrecklicher Art wie die, die hier vorge¬
kommen zu sein scheinen, so rasch und gründlich als möglich zu beseitigen.

Die Münchner Freunde werden ohne Zweifel für eine richtige Darstellung
der wahren Meinung der Versammlung sorgen. Ich meinerseits möchte hier
ein offnes Wort in Bezug auf die Form der aufgestellten Fragen aussprechen.
Gleich anfangs, als mir das Programm des Historikertags zu Gesichte kam,
hatte ich Zweifel, ob es möglich sein werde, zu irgend einer Verständigung
über einen Satz zu gelangen, der entweder selbstverständlich ist, also keine
Frage enthält, oder aber wenn er in einem andern als dem selbstverständ¬
lichen Sinn aufgefaßt werden sollte, jedenfalls zu den weitgehendsten Mi߬
verständnissen führen muß. Die Frage war so gefaßt- In wie weit hat
der Geschichtsunterricht zu dienen als Vorbereitung zur Teilnahme an den
Aufgaben, die das öffentliche Leben der Gegenwart um jeden Gebildeten stellt?
I». Wie ist demgemäß der Geschichtsunterricht zu erteilen?" In der Debatte
wurde von irgend einer Seite die treffende Bemerkung gemacht, daß es scheine,
als befände man sich nicht auf einer Historiker-, sondern ans einer Pädagogen¬
versammlung, und ich kann nicht leugnen, daß ich beim Lesen der meisten
Reden, so weit sie mir bekannt geworden sind, durchaus diesen Eindruck ge¬
habt habe. Es scheint wirklich, als ob es bei uns eine gewisse Schwierigkeit
hätte, sich in der Unterhaltung über eine Frage der Wissenschaft an die sach¬
lichen und objektiven Fragen des Gegenstandes zu halten und sich darauf zu
beschränken. Immer tritt gleich die Absicht hervor, durch Mitteilung von
positivem Wissen irgend etwas zu „bezwecke»"; so sehr ist man gewöhnlich von
pädagogischen Gesichtspunkten beherrscht, die doch den Fachmann, der seine
Aufmerksamkeit rein auf den Gegenstand gerichtet hat, zunächst gar nichts an¬
zugehen brauchen. Ich erlaube mir daher gleich von vornherein die Bemerkung
zu machen, daß ich für diese pädagogische Seite der Frage durchaus kein In¬
teresse habe, sondern daß ich mich lediglich über die Bedeutung des geschicht¬
lichen Studiums, seine Aufgaben und Ziele äußern kann. Mir scheint es
falsch, daß man in München anstatt von dem Nutzen und der Natur ge¬
schichtlicher Kenntnisse überhaupt zu reden, sich in einen den Fachmann un¬
mittelbar eigentlich nicht berührenden Streit über das gymnasiale Lehrpensum
eingelassen hat. Man scheint dabei dem Berichterstatter, Herrn Direktor
Wartens, wirklich Unrecht gethan zu haben, wenn man fast von allen Seiten
voraussetzte, es komme ihm darauf an, seinen Schülern diese oder jene Ge¬
sinnung gleichsam obrigkeitlich einzuflößen. Soweit ich seine Schrift gelesen
habe, kann ich nur sagen, daß ich den Eindruck gewonnen habe, Martens ver-


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[0367] Die Versammlung deutscher Historiker in München Stufe des Unterrichts man auch dabei denken möge, mit Staatsbewußtsein und Vaterlandsliebe nichts zu thun, möchte man gern für unmöglich halten; aber in einer Zeit, wo so viel widersprechendes und sonderbares über diese Dinge zu Tage gekommen ist, muß es als eine Pflicht angesehen werden, Mißverständnisse von so erschrecklicher Art wie die, die hier vorge¬ kommen zu sein scheinen, so rasch und gründlich als möglich zu beseitigen. Die Münchner Freunde werden ohne Zweifel für eine richtige Darstellung der wahren Meinung der Versammlung sorgen. Ich meinerseits möchte hier ein offnes Wort in Bezug auf die Form der aufgestellten Fragen aussprechen. Gleich anfangs, als mir das Programm des Historikertags zu Gesichte kam, hatte ich Zweifel, ob es möglich sein werde, zu irgend einer Verständigung über einen Satz zu gelangen, der entweder selbstverständlich ist, also keine Frage enthält, oder aber wenn er in einem andern als dem selbstverständ¬ lichen Sinn aufgefaßt werden sollte, jedenfalls zu den weitgehendsten Mi߬ verständnissen führen muß. Die Frage war so gefaßt- In wie weit hat der Geschichtsunterricht zu dienen als Vorbereitung zur Teilnahme an den Aufgaben, die das öffentliche Leben der Gegenwart um jeden Gebildeten stellt? I». Wie ist demgemäß der Geschichtsunterricht zu erteilen?" In der Debatte wurde von irgend einer Seite die treffende Bemerkung gemacht, daß es scheine, als befände man sich nicht auf einer Historiker-, sondern ans einer Pädagogen¬ versammlung, und ich kann nicht leugnen, daß ich beim Lesen der meisten Reden, so weit sie mir bekannt geworden sind, durchaus diesen Eindruck ge¬ habt habe. Es scheint wirklich, als ob es bei uns eine gewisse Schwierigkeit hätte, sich in der Unterhaltung über eine Frage der Wissenschaft an die sach¬ lichen und objektiven Fragen des Gegenstandes zu halten und sich darauf zu beschränken. Immer tritt gleich die Absicht hervor, durch Mitteilung von positivem Wissen irgend etwas zu „bezwecke»"; so sehr ist man gewöhnlich von pädagogischen Gesichtspunkten beherrscht, die doch den Fachmann, der seine Aufmerksamkeit rein auf den Gegenstand gerichtet hat, zunächst gar nichts an¬ zugehen brauchen. Ich erlaube mir daher gleich von vornherein die Bemerkung zu machen, daß ich für diese pädagogische Seite der Frage durchaus kein In¬ teresse habe, sondern daß ich mich lediglich über die Bedeutung des geschicht¬ lichen Studiums, seine Aufgaben und Ziele äußern kann. Mir scheint es falsch, daß man in München anstatt von dem Nutzen und der Natur ge¬ schichtlicher Kenntnisse überhaupt zu reden, sich in einen den Fachmann un¬ mittelbar eigentlich nicht berührenden Streit über das gymnasiale Lehrpensum eingelassen hat. Man scheint dabei dem Berichterstatter, Herrn Direktor Wartens, wirklich Unrecht gethan zu haben, wenn man fast von allen Seiten voraussetzte, es komme ihm darauf an, seinen Schülern diese oder jene Ge¬ sinnung gleichsam obrigkeitlich einzuflößen. Soweit ich seine Schrift gelesen habe, kann ich nur sagen, daß ich den Eindruck gewonnen habe, Martens ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/367>, abgerufen am 27.08.2024.