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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Versammlung deutscher Historiker in München

einzuladen, haben sich großen Dank verdient. Sie werden sich so wenig wie
die, die ihrem Rufe gefolgt sind, der Täuschung hingegeben haben, daß es
sich in Dingen dieser Art um gesetzgeberische Beschlüsse handeln könne; sie
haben gewußt, daß die sehr wünschenswerte Verständigung über die geschicht¬
lichen Studien in Deutschland nur sehr allmählich und nur durch längere und
genauere Erörterungen unter deu Fachgenossen herbeigeführt werden kann, und
so durften sie in der That ihre Versammlung als eine wohlgelungne ansehen
und sich selbst zum Schlüsse gegenseitig beglückwünschen. Sie haben in dieser
Überzeugung auch die zuversichtliche Hoffnung ans eine Wiederholung der so
gut begonnenen Historikertage ausgesprochen, und ich füge hier deu herzlichen
Wunsch hinzu, die deutschen Fachgenossen möchten der Einladung nach Leipzig
im nächsten Jahre noch viel vollständiger und eifriger folgen, als es dies
Jahr geschehen ist. Dazu drängt schon der Umstand, daß das reichhaltige
Programm der Beratungsgegenstände weder der Zahl noch dem Inhalte nach
in den wenigen Sitzungen erschöpft werden konnte, daher eine Fortsetzung
dieser Erörterungen sehr zu wünschen ist. Über die Nützlichkeit und Not¬
wendigkeit einer Aussprache gerade der Fachgenossen über Fragen und Zwecke,
die heute von den verschiedenste" Seiten her besprochen und geregelt werden,
scheint allgemeine Übereinstimmung geherrscht zu haben.

Es hätte mich beglückt, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, in dieser
Versammlung mancherlei schon früher von mir vorgetragne Ansichten über die
aufgestellten Fragen näher zu begründen und, wie ich meine, anch mancherlei
Mißverständnisse hinwegzuräumen. Wenn ich mich nachträglich über die von
München berichteten Debatten schriftlich äußere, so mag man immer sagen, ich
hätte das Bedürfnis nicht unterdrücken können, meine ungehaltne Rede an den
Mann zu bringen. Ich denke, daß es uur nützlich sein kann, wenn der auf¬
genommene Faden nicht gleich wieder abreißt, sondern in der Presse weiter¬
gesponnen wird.

Die Aufgaben, die sich die Historikerversammluug gleich für das erstemal
gestellt hatte, waren ohne Zweifel etwas zu umfangreich, der Thesen waren
M viele, es war wohl nicht möglich, mit voller Ruhe über die Frage des
geschichtlichen Unterrichtszwecks, wofür das gespannteste Interesse vorhanden
gewesen zu sein scheint, zu einer Verständigung zu gelangen. Diesem Umstände
muß man wohl anch den bedenklichen Zwischenfall zuschreiben, daß es zu einer
Abstimmung gekommen ist, gegen die in der Versammlung selbst später Be¬
denken geltend gemacht werdeu mußten. Das schließliche Versprechen einer
gründlichen Erklärung dessen, was die Versammlung eigentlich gemeint habe,
und wie die Abstimmung verstanden werden müsse, scheint mir allerdings
recht notwendig gewesen zu sein, und ich will nur wünschen, daß es bald
erfüllt werde. Daß sich eine Versammlung von historischen Fachgenossen förm¬
lich zu der Ansicht bekannt haben sollte, das Geschichtsstudium habe, an welche


Die Versammlung deutscher Historiker in München

einzuladen, haben sich großen Dank verdient. Sie werden sich so wenig wie
die, die ihrem Rufe gefolgt sind, der Täuschung hingegeben haben, daß es
sich in Dingen dieser Art um gesetzgeberische Beschlüsse handeln könne; sie
haben gewußt, daß die sehr wünschenswerte Verständigung über die geschicht¬
lichen Studien in Deutschland nur sehr allmählich und nur durch längere und
genauere Erörterungen unter deu Fachgenossen herbeigeführt werden kann, und
so durften sie in der That ihre Versammlung als eine wohlgelungne ansehen
und sich selbst zum Schlüsse gegenseitig beglückwünschen. Sie haben in dieser
Überzeugung auch die zuversichtliche Hoffnung ans eine Wiederholung der so
gut begonnenen Historikertage ausgesprochen, und ich füge hier deu herzlichen
Wunsch hinzu, die deutschen Fachgenossen möchten der Einladung nach Leipzig
im nächsten Jahre noch viel vollständiger und eifriger folgen, als es dies
Jahr geschehen ist. Dazu drängt schon der Umstand, daß das reichhaltige
Programm der Beratungsgegenstände weder der Zahl noch dem Inhalte nach
in den wenigen Sitzungen erschöpft werden konnte, daher eine Fortsetzung
dieser Erörterungen sehr zu wünschen ist. Über die Nützlichkeit und Not¬
wendigkeit einer Aussprache gerade der Fachgenossen über Fragen und Zwecke,
die heute von den verschiedenste» Seiten her besprochen und geregelt werden,
scheint allgemeine Übereinstimmung geherrscht zu haben.

Es hätte mich beglückt, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, in dieser
Versammlung mancherlei schon früher von mir vorgetragne Ansichten über die
aufgestellten Fragen näher zu begründen und, wie ich meine, anch mancherlei
Mißverständnisse hinwegzuräumen. Wenn ich mich nachträglich über die von
München berichteten Debatten schriftlich äußere, so mag man immer sagen, ich
hätte das Bedürfnis nicht unterdrücken können, meine ungehaltne Rede an den
Mann zu bringen. Ich denke, daß es uur nützlich sein kann, wenn der auf¬
genommene Faden nicht gleich wieder abreißt, sondern in der Presse weiter¬
gesponnen wird.

Die Aufgaben, die sich die Historikerversammluug gleich für das erstemal
gestellt hatte, waren ohne Zweifel etwas zu umfangreich, der Thesen waren
M viele, es war wohl nicht möglich, mit voller Ruhe über die Frage des
geschichtlichen Unterrichtszwecks, wofür das gespannteste Interesse vorhanden
gewesen zu sein scheint, zu einer Verständigung zu gelangen. Diesem Umstände
muß man wohl anch den bedenklichen Zwischenfall zuschreiben, daß es zu einer
Abstimmung gekommen ist, gegen die in der Versammlung selbst später Be¬
denken geltend gemacht werdeu mußten. Das schließliche Versprechen einer
gründlichen Erklärung dessen, was die Versammlung eigentlich gemeint habe,
und wie die Abstimmung verstanden werden müsse, scheint mir allerdings
recht notwendig gewesen zu sein, und ich will nur wünschen, daß es bald
erfüllt werde. Daß sich eine Versammlung von historischen Fachgenossen förm¬
lich zu der Ansicht bekannt haben sollte, das Geschichtsstudium habe, an welche


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[0366] Die Versammlung deutscher Historiker in München einzuladen, haben sich großen Dank verdient. Sie werden sich so wenig wie die, die ihrem Rufe gefolgt sind, der Täuschung hingegeben haben, daß es sich in Dingen dieser Art um gesetzgeberische Beschlüsse handeln könne; sie haben gewußt, daß die sehr wünschenswerte Verständigung über die geschicht¬ lichen Studien in Deutschland nur sehr allmählich und nur durch längere und genauere Erörterungen unter deu Fachgenossen herbeigeführt werden kann, und so durften sie in der That ihre Versammlung als eine wohlgelungne ansehen und sich selbst zum Schlüsse gegenseitig beglückwünschen. Sie haben in dieser Überzeugung auch die zuversichtliche Hoffnung ans eine Wiederholung der so gut begonnenen Historikertage ausgesprochen, und ich füge hier deu herzlichen Wunsch hinzu, die deutschen Fachgenossen möchten der Einladung nach Leipzig im nächsten Jahre noch viel vollständiger und eifriger folgen, als es dies Jahr geschehen ist. Dazu drängt schon der Umstand, daß das reichhaltige Programm der Beratungsgegenstände weder der Zahl noch dem Inhalte nach in den wenigen Sitzungen erschöpft werden konnte, daher eine Fortsetzung dieser Erörterungen sehr zu wünschen ist. Über die Nützlichkeit und Not¬ wendigkeit einer Aussprache gerade der Fachgenossen über Fragen und Zwecke, die heute von den verschiedenste» Seiten her besprochen und geregelt werden, scheint allgemeine Übereinstimmung geherrscht zu haben. Es hätte mich beglückt, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, in dieser Versammlung mancherlei schon früher von mir vorgetragne Ansichten über die aufgestellten Fragen näher zu begründen und, wie ich meine, anch mancherlei Mißverständnisse hinwegzuräumen. Wenn ich mich nachträglich über die von München berichteten Debatten schriftlich äußere, so mag man immer sagen, ich hätte das Bedürfnis nicht unterdrücken können, meine ungehaltne Rede an den Mann zu bringen. Ich denke, daß es uur nützlich sein kann, wenn der auf¬ genommene Faden nicht gleich wieder abreißt, sondern in der Presse weiter¬ gesponnen wird. Die Aufgaben, die sich die Historikerversammluug gleich für das erstemal gestellt hatte, waren ohne Zweifel etwas zu umfangreich, der Thesen waren M viele, es war wohl nicht möglich, mit voller Ruhe über die Frage des geschichtlichen Unterrichtszwecks, wofür das gespannteste Interesse vorhanden gewesen zu sein scheint, zu einer Verständigung zu gelangen. Diesem Umstände muß man wohl anch den bedenklichen Zwischenfall zuschreiben, daß es zu einer Abstimmung gekommen ist, gegen die in der Versammlung selbst später Be¬ denken geltend gemacht werdeu mußten. Das schließliche Versprechen einer gründlichen Erklärung dessen, was die Versammlung eigentlich gemeint habe, und wie die Abstimmung verstanden werden müsse, scheint mir allerdings recht notwendig gewesen zu sein, und ich will nur wünschen, daß es bald erfüllt werde. Daß sich eine Versammlung von historischen Fachgenossen förm¬ lich zu der Ansicht bekannt haben sollte, das Geschichtsstudium habe, an welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/366>, abgerufen am 27.08.2024.