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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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und Pistazien, mit ihren Rosensträuchern und Springbrunnen noch niemals
verlassen. Ich hatte von der Welt rings umher noch nie etwas andres ge¬
sehen, als die gelben Minarets der Moscheen, die hoch in den blauen Himmel
hineinragten und über die Mauern unsers Palastes herüberschauten. Da kam
der Bater eines Morgens in die Gartenhalle des Harems und sagte zu mir:
Leila, meine Tochter, höre, was ich dir sagen will, und achte auf die Rede
meines Mundes! Siehe, dein Bruder hat das Reich mit der Schärfe des
Schwerts befestigt und ist glücklich gewesen im Kampfe gegen die Kurden.
Du sollst sein Werk vollenden und zur Sicherung des Friedens mit deiner
Hand dem Throne einen mächtigen Bundesgenossen werben, auf daß die Leute
auf dem Bazar mich glücklich preisen um meiner Kinder willen. Allah hat
den Sultan gesegnet, werden sie sagen, er hat aus seinem Neste einen Falken
und eine Taube fliegen lassen! Der Bey von Tunis hat mir seine Freund¬
schaft angeboten, und ich will ihm das köstlichste dafür senden, was mein
Palast hegt, meine liebe Tochter Leila! Ich wurde traurig, als ich diesen
Entschluß meines Vaters vernahm, doch wagte ich nicht zu widersprechen, um
so weniger, da sich mir auf diese Weise die Gelegenheit bot, etwas von der
Welt kennen zu lernen, wonach ich schon oft eine unbezwingbare Sehnsucht
verspürt hatte.

Unter mancherlei Vorbereitungen rückte der Tag der Abreise heran. In
der Nacht zuvor besuchte mich die alte Wärterin, die mich in den ersten
Tagen meiner Kindheit gepflegt hatte, und die mich aufrichtig liebte. Leila,
sagte sie, mein Tnubchen, siehe, ich bin nur arm und niedrig; aber ich
möchte dir doch ein kleines Geschenk mit auf die Reise geben, das dir in
Zeiten höchster Not -- vor denen dich Allah behüten möge! -- nützlich sein
könnte. Es ist ein Zaubersprüchlein, mit dessen Hilfe du dich in Tiergestalt
verwandeln kannst. Du brauchst es nur auszusprechen und dann das Papier,
darauf es geschrieben steht, zu zerreißen. Aber bediene dich dieses Mittels
nur in der allerhöchsten Gefahr, denn wenn dn einmal in der Verwandlung
gelebt hast und dann wieder in menschliche Gestalt zurückgekehrt bist, so mußt
du dich hüten, jemals einen Menschen zu berühren. Dn würdest dadurch so¬
fort wieder in ein Tier verwandelt werden. Versäume aber nicht, ehe du von
dem Zaubersprüchleiu Gebrauch machst, andern die Löseworte zu nennen, damit
sie dich, wenn es an der Zeit scheint, aus deiner Verzauberung befreien können!
Und nun noch eins: die Zeit, die dn in Tiergestalt zugebracht hast, wird dir
in dem Buche deines Lebens nicht angerechnet.

Das Mädchen schwieg einen Augenblick und schien nachzudenken. Dem
jungen Gelehrten entging es nicht, daß ihr Blick dabei den Spiegel streifte.
Er mußte lächeln. Aber sie schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:

Ich dankte der Wärterin unter Thränen und nähte die beiden Papier-
blättchen, anf die der Verwandlungssprnch und die Löseformel geschrieben


und Pistazien, mit ihren Rosensträuchern und Springbrunnen noch niemals
verlassen. Ich hatte von der Welt rings umher noch nie etwas andres ge¬
sehen, als die gelben Minarets der Moscheen, die hoch in den blauen Himmel
hineinragten und über die Mauern unsers Palastes herüberschauten. Da kam
der Bater eines Morgens in die Gartenhalle des Harems und sagte zu mir:
Leila, meine Tochter, höre, was ich dir sagen will, und achte auf die Rede
meines Mundes! Siehe, dein Bruder hat das Reich mit der Schärfe des
Schwerts befestigt und ist glücklich gewesen im Kampfe gegen die Kurden.
Du sollst sein Werk vollenden und zur Sicherung des Friedens mit deiner
Hand dem Throne einen mächtigen Bundesgenossen werben, auf daß die Leute
auf dem Bazar mich glücklich preisen um meiner Kinder willen. Allah hat
den Sultan gesegnet, werden sie sagen, er hat aus seinem Neste einen Falken
und eine Taube fliegen lassen! Der Bey von Tunis hat mir seine Freund¬
schaft angeboten, und ich will ihm das köstlichste dafür senden, was mein
Palast hegt, meine liebe Tochter Leila! Ich wurde traurig, als ich diesen
Entschluß meines Vaters vernahm, doch wagte ich nicht zu widersprechen, um
so weniger, da sich mir auf diese Weise die Gelegenheit bot, etwas von der
Welt kennen zu lernen, wonach ich schon oft eine unbezwingbare Sehnsucht
verspürt hatte.

Unter mancherlei Vorbereitungen rückte der Tag der Abreise heran. In
der Nacht zuvor besuchte mich die alte Wärterin, die mich in den ersten
Tagen meiner Kindheit gepflegt hatte, und die mich aufrichtig liebte. Leila,
sagte sie, mein Tnubchen, siehe, ich bin nur arm und niedrig; aber ich
möchte dir doch ein kleines Geschenk mit auf die Reise geben, das dir in
Zeiten höchster Not — vor denen dich Allah behüten möge! — nützlich sein
könnte. Es ist ein Zaubersprüchlein, mit dessen Hilfe du dich in Tiergestalt
verwandeln kannst. Du brauchst es nur auszusprechen und dann das Papier,
darauf es geschrieben steht, zu zerreißen. Aber bediene dich dieses Mittels
nur in der allerhöchsten Gefahr, denn wenn dn einmal in der Verwandlung
gelebt hast und dann wieder in menschliche Gestalt zurückgekehrt bist, so mußt
du dich hüten, jemals einen Menschen zu berühren. Dn würdest dadurch so¬
fort wieder in ein Tier verwandelt werden. Versäume aber nicht, ehe du von
dem Zaubersprüchleiu Gebrauch machst, andern die Löseworte zu nennen, damit
sie dich, wenn es an der Zeit scheint, aus deiner Verzauberung befreien können!
Und nun noch eins: die Zeit, die dn in Tiergestalt zugebracht hast, wird dir
in dem Buche deines Lebens nicht angerechnet.

Das Mädchen schwieg einen Augenblick und schien nachzudenken. Dem
jungen Gelehrten entging es nicht, daß ihr Blick dabei den Spiegel streifte.
Er mußte lächeln. Aber sie schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:

Ich dankte der Wärterin unter Thränen und nähte die beiden Papier-
blättchen, anf die der Verwandlungssprnch und die Löseformel geschrieben


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[0333] und Pistazien, mit ihren Rosensträuchern und Springbrunnen noch niemals verlassen. Ich hatte von der Welt rings umher noch nie etwas andres ge¬ sehen, als die gelben Minarets der Moscheen, die hoch in den blauen Himmel hineinragten und über die Mauern unsers Palastes herüberschauten. Da kam der Bater eines Morgens in die Gartenhalle des Harems und sagte zu mir: Leila, meine Tochter, höre, was ich dir sagen will, und achte auf die Rede meines Mundes! Siehe, dein Bruder hat das Reich mit der Schärfe des Schwerts befestigt und ist glücklich gewesen im Kampfe gegen die Kurden. Du sollst sein Werk vollenden und zur Sicherung des Friedens mit deiner Hand dem Throne einen mächtigen Bundesgenossen werben, auf daß die Leute auf dem Bazar mich glücklich preisen um meiner Kinder willen. Allah hat den Sultan gesegnet, werden sie sagen, er hat aus seinem Neste einen Falken und eine Taube fliegen lassen! Der Bey von Tunis hat mir seine Freund¬ schaft angeboten, und ich will ihm das köstlichste dafür senden, was mein Palast hegt, meine liebe Tochter Leila! Ich wurde traurig, als ich diesen Entschluß meines Vaters vernahm, doch wagte ich nicht zu widersprechen, um so weniger, da sich mir auf diese Weise die Gelegenheit bot, etwas von der Welt kennen zu lernen, wonach ich schon oft eine unbezwingbare Sehnsucht verspürt hatte. Unter mancherlei Vorbereitungen rückte der Tag der Abreise heran. In der Nacht zuvor besuchte mich die alte Wärterin, die mich in den ersten Tagen meiner Kindheit gepflegt hatte, und die mich aufrichtig liebte. Leila, sagte sie, mein Tnubchen, siehe, ich bin nur arm und niedrig; aber ich möchte dir doch ein kleines Geschenk mit auf die Reise geben, das dir in Zeiten höchster Not — vor denen dich Allah behüten möge! — nützlich sein könnte. Es ist ein Zaubersprüchlein, mit dessen Hilfe du dich in Tiergestalt verwandeln kannst. Du brauchst es nur auszusprechen und dann das Papier, darauf es geschrieben steht, zu zerreißen. Aber bediene dich dieses Mittels nur in der allerhöchsten Gefahr, denn wenn dn einmal in der Verwandlung gelebt hast und dann wieder in menschliche Gestalt zurückgekehrt bist, so mußt du dich hüten, jemals einen Menschen zu berühren. Dn würdest dadurch so¬ fort wieder in ein Tier verwandelt werden. Versäume aber nicht, ehe du von dem Zaubersprüchleiu Gebrauch machst, andern die Löseworte zu nennen, damit sie dich, wenn es an der Zeit scheint, aus deiner Verzauberung befreien können! Und nun noch eins: die Zeit, die dn in Tiergestalt zugebracht hast, wird dir in dem Buche deines Lebens nicht angerechnet. Das Mädchen schwieg einen Augenblick und schien nachzudenken. Dem jungen Gelehrten entging es nicht, daß ihr Blick dabei den Spiegel streifte. Er mußte lächeln. Aber sie schien es nicht zu bemerken und fuhr fort: Ich dankte der Wärterin unter Thränen und nähte die beiden Papier- blättchen, anf die der Verwandlungssprnch und die Löseformel geschrieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/333>, abgerufen am 27.08.2024.