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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Jolcmthes Hochzeit

schafft und befindet sich, als er erwacht, in der Damengarderobe! Dann setzt
er sich mit Jolanthe in den Wagen, um davonzufahren, Schwiegervater Krakow,
der heftig temvelt, um "die Hochzeitskosten herauszuschlagen," unterbricht sein
Spiel, um seiner Tochter schnell Lebewohl zu sagen, indem er einige un¬
passende Worte redet.

Es ist klar, daß hier Sudermann das Landleben nach der Natur hat
zeichnen wollen. Bei uns in der Stadt geht es ja im wesentlichen eben so
zu, nur daß wir uns in etwas feinern Formen bewegen; wir trinken Sekt,
ohne ranhbeinig zu werden. Aber mit welcher Sicherheit weiß Sudermann
diese kleinen Unterschiede zwischen Land- und Stadtleben zu finden! O, er
kennt feine Leute.

Die Hochzeit ist vorbei,, und doch .kommt noch ein Kapitel zum Schluß.
Wozu? Während Hanckel und Jolanthe im Wagen nach Hause fahren, überfällt
den "armen alten Kerl," der-keine "heilAe Kraft" Ad kein "bischen Jugend¬
brunst" mehr hat, ein aufrichtiges Gefühl? des Mitleids Mitleids y mit dein
"armen Ding." Sie nähern sich dem-Herrenhaus An Jlgenstein, die Guts¬
leute haben sich versammelt und lärmen?, und rufen?Hurra. Lothar ist auch
dabei, er brennt ein Feuerwerk ab. Nun muß die Geschichte doch bald zu
einer Losung kommen, da nur noch einige Venen übrig sind. Ah -- ich ver¬
stehe -- Lothar! Lothar wird von Hanckel gebeten, ihm zu helfen. Eine
"brillante Pointe." "Aber ich alter Kräuter -- sagt Hanckel -- schäme mich,
meine Hilflosigkeit zu bekennen. Und meine Angst hat ja auch Lothar, um
sich an ihn anzuklammern." Meine Angst hat Lothar? Das muß ich "ach
den Regeln der hohen Schule konstruiren. Nicht wahr, Lothar ist das Ob¬
jekt, an das sich in seiner Angst das Subjekt Hanckel klammert? Die Sache
wird wirklich gut; sollte Lothar schon jetzt das Amt des Stellvertreters über¬
nehmen?

Hanckel geht ans dem Zimmer, um Cigarren zu holen, und wie er zurück¬
kommt, was sieht er? Lothar und Jolanthe "sitzen still und steif auf ihren
Plätzen wie zuvor, aber sie haben die Augen sozusagen in einander getaucht
mit einer solchen wilden, verzweifelnden, wahnsinnigen Glut, wie ich deren (?)
menschliche Blicke nie für fähig gehalten habe (habe!). Es war, wie wenn
zwei Flammen in einander spritzen! Also da hatt' ich die Bescherung. Noch
war sie nicht mein Weib . . . Der Ehebruch saß schon im Hause . . . Was
stört uns der fremde, alte Mann?"

Welche Enttäuschung! Wieder habe ich mich von diesem Sudermann aufs,
Glatteis locken lassen; ich habe zwischen den Zeilen gelesen, denn es sah ganz-
so aus, als ob Sudermann verlangte, ich sollte lesen, wie ich gelesen habe,
und doch habe ich falsch gelesen, ich habe die Lösung nicht erraten. Mit
welcher Kunst hat Sudermann die ganze Haupthandlung bis zum Schluß auf¬
gespart, um die vollste Wirkung zu erzielen! Ich habe ihm Unrecht gethan,


Grenzboten II 1893 41
Jolcmthes Hochzeit

schafft und befindet sich, als er erwacht, in der Damengarderobe! Dann setzt
er sich mit Jolanthe in den Wagen, um davonzufahren, Schwiegervater Krakow,
der heftig temvelt, um „die Hochzeitskosten herauszuschlagen," unterbricht sein
Spiel, um seiner Tochter schnell Lebewohl zu sagen, indem er einige un¬
passende Worte redet.

Es ist klar, daß hier Sudermann das Landleben nach der Natur hat
zeichnen wollen. Bei uns in der Stadt geht es ja im wesentlichen eben so
zu, nur daß wir uns in etwas feinern Formen bewegen; wir trinken Sekt,
ohne ranhbeinig zu werden. Aber mit welcher Sicherheit weiß Sudermann
diese kleinen Unterschiede zwischen Land- und Stadtleben zu finden! O, er
kennt feine Leute.

Die Hochzeit ist vorbei,, und doch .kommt noch ein Kapitel zum Schluß.
Wozu? Während Hanckel und Jolanthe im Wagen nach Hause fahren, überfällt
den „armen alten Kerl," der-keine „heilAe Kraft" Ad kein „bischen Jugend¬
brunst" mehr hat, ein aufrichtiges Gefühl? des Mitleids Mitleids y mit dein
„armen Ding." Sie nähern sich dem-Herrenhaus An Jlgenstein, die Guts¬
leute haben sich versammelt und lärmen?, und rufen?Hurra. Lothar ist auch
dabei, er brennt ein Feuerwerk ab. Nun muß die Geschichte doch bald zu
einer Losung kommen, da nur noch einige Venen übrig sind. Ah — ich ver¬
stehe — Lothar! Lothar wird von Hanckel gebeten, ihm zu helfen. Eine
„brillante Pointe." „Aber ich alter Kräuter — sagt Hanckel — schäme mich,
meine Hilflosigkeit zu bekennen. Und meine Angst hat ja auch Lothar, um
sich an ihn anzuklammern." Meine Angst hat Lothar? Das muß ich «ach
den Regeln der hohen Schule konstruiren. Nicht wahr, Lothar ist das Ob¬
jekt, an das sich in seiner Angst das Subjekt Hanckel klammert? Die Sache
wird wirklich gut; sollte Lothar schon jetzt das Amt des Stellvertreters über¬
nehmen?

Hanckel geht ans dem Zimmer, um Cigarren zu holen, und wie er zurück¬
kommt, was sieht er? Lothar und Jolanthe „sitzen still und steif auf ihren
Plätzen wie zuvor, aber sie haben die Augen sozusagen in einander getaucht
mit einer solchen wilden, verzweifelnden, wahnsinnigen Glut, wie ich deren (?)
menschliche Blicke nie für fähig gehalten habe (habe!). Es war, wie wenn
zwei Flammen in einander spritzen! Also da hatt' ich die Bescherung. Noch
war sie nicht mein Weib . . . Der Ehebruch saß schon im Hause . . . Was
stört uns der fremde, alte Mann?"

Welche Enttäuschung! Wieder habe ich mich von diesem Sudermann aufs,
Glatteis locken lassen; ich habe zwischen den Zeilen gelesen, denn es sah ganz-
so aus, als ob Sudermann verlangte, ich sollte lesen, wie ich gelesen habe,
und doch habe ich falsch gelesen, ich habe die Lösung nicht erraten. Mit
welcher Kunst hat Sudermann die ganze Haupthandlung bis zum Schluß auf¬
gespart, um die vollste Wirkung zu erzielen! Ich habe ihm Unrecht gethan,


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[0330] Jolcmthes Hochzeit schafft und befindet sich, als er erwacht, in der Damengarderobe! Dann setzt er sich mit Jolanthe in den Wagen, um davonzufahren, Schwiegervater Krakow, der heftig temvelt, um „die Hochzeitskosten herauszuschlagen," unterbricht sein Spiel, um seiner Tochter schnell Lebewohl zu sagen, indem er einige un¬ passende Worte redet. Es ist klar, daß hier Sudermann das Landleben nach der Natur hat zeichnen wollen. Bei uns in der Stadt geht es ja im wesentlichen eben so zu, nur daß wir uns in etwas feinern Formen bewegen; wir trinken Sekt, ohne ranhbeinig zu werden. Aber mit welcher Sicherheit weiß Sudermann diese kleinen Unterschiede zwischen Land- und Stadtleben zu finden! O, er kennt feine Leute. Die Hochzeit ist vorbei,, und doch .kommt noch ein Kapitel zum Schluß. Wozu? Während Hanckel und Jolanthe im Wagen nach Hause fahren, überfällt den „armen alten Kerl," der-keine „heilAe Kraft" Ad kein „bischen Jugend¬ brunst" mehr hat, ein aufrichtiges Gefühl? des Mitleids Mitleids y mit dein „armen Ding." Sie nähern sich dem-Herrenhaus An Jlgenstein, die Guts¬ leute haben sich versammelt und lärmen?, und rufen?Hurra. Lothar ist auch dabei, er brennt ein Feuerwerk ab. Nun muß die Geschichte doch bald zu einer Losung kommen, da nur noch einige Venen übrig sind. Ah — ich ver¬ stehe — Lothar! Lothar wird von Hanckel gebeten, ihm zu helfen. Eine „brillante Pointe." „Aber ich alter Kräuter — sagt Hanckel — schäme mich, meine Hilflosigkeit zu bekennen. Und meine Angst hat ja auch Lothar, um sich an ihn anzuklammern." Meine Angst hat Lothar? Das muß ich «ach den Regeln der hohen Schule konstruiren. Nicht wahr, Lothar ist das Ob¬ jekt, an das sich in seiner Angst das Subjekt Hanckel klammert? Die Sache wird wirklich gut; sollte Lothar schon jetzt das Amt des Stellvertreters über¬ nehmen? Hanckel geht ans dem Zimmer, um Cigarren zu holen, und wie er zurück¬ kommt, was sieht er? Lothar und Jolanthe „sitzen still und steif auf ihren Plätzen wie zuvor, aber sie haben die Augen sozusagen in einander getaucht mit einer solchen wilden, verzweifelnden, wahnsinnigen Glut, wie ich deren (?) menschliche Blicke nie für fähig gehalten habe (habe!). Es war, wie wenn zwei Flammen in einander spritzen! Also da hatt' ich die Bescherung. Noch war sie nicht mein Weib . . . Der Ehebruch saß schon im Hause . . . Was stört uns der fremde, alte Mann?" Welche Enttäuschung! Wieder habe ich mich von diesem Sudermann aufs, Glatteis locken lassen; ich habe zwischen den Zeilen gelesen, denn es sah ganz- so aus, als ob Sudermann verlangte, ich sollte lesen, wie ich gelesen habe, und doch habe ich falsch gelesen, ich habe die Lösung nicht erraten. Mit welcher Kunst hat Sudermann die ganze Haupthandlung bis zum Schluß auf¬ gespart, um die vollste Wirkung zu erzielen! Ich habe ihm Unrecht gethan, Grenzboten II 1893 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/330>, abgerufen am 27.08.2024.