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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Lothars Urlaub ist abgelaufen, er reist nach Berlin zurück. Hcmckel er¬
hält wirklich am Morgen des achten Tages brieflich Jolanthes Ja. Er fährt
hinüber, um bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Der schäbige Alte
legt sich aufs Handeln und sagt erst zu, nachdem der gerngesehene reiche Be¬
werber auf jede Mitgift verzichtet hat.

Sie werden nnn wohl bald Hochzeit machen, doch es beginnt eben ein
neuer Akt, ich will die Hochzeit nachher lesen. -- Weiß ich doch wirklich nicht,
ob mir Sudermann besser gefällt oder diese Ausstattungsoperette mit ihren
"effektvoller" Balleteinlagen. Jedenfalls weiß ich, daß, wenn mir Sudermann
so behagt, ihm allein das Verdienst gebührt. Er hat es verstanden, sein Buch
mit derselben Atmosphäre zu erfüllen, die uns, die bessere Gesellschaft, überall
umgiebt. Sudermann gehört zu uns! Es ist eine wahre Frende, zu sehen,
wie wenig er uns mit all jenen Nebendingen behelligt, woraus andre Erzähler
von geringerer Begabung so viel Gewicht legen. Es verrät einen hervor¬
ragenden, ganz aus der Höhe der Zeit stehenden Geschmack, daß wir hier
nicht mit veralteten Dingen, wie Charakterzeichnung, Gedankenentwicklung und
ähnlichem belästigt werden. Wie schwierig mag es sein, diese absolute Charakter¬
losigkeit herzustellen, wie viel Mühe mag es gekostet haben, die Gedanken, die
sich bisweilen störend einzudrängen suchen, völlig auszumerzen! Dafür sind
die Hauptsachen, die anderswo gröblich vernachlässigt zu werden pflege", hier
mich Gebühr berücksichtigt. Die Hochzeitsvvrbereitungen, die ich eben lese,
sind genau so wie damals, als sich Oskar und Adele vermählten. Ich weiß
mich der vielen Veratungen über die Aussteuer, die Zimmerausstattuug u. s. w.
noch genau zu erinnern. Sudermann hat dieses Fach offenbar gründlich
studirt. In der Frage der Schlafstubeneinrichtung scheint er mir geradezu
ein Sachverständiger ersten Ranges zu sein. Ich glaube, diese Bettenphilo¬
sophie gehört mit zu dem, was man jetzt Milieu nennt; ich müßte mich sehr
irren, wenn das Milieu uach den Vorschriften der modernen Ästhetik, die für
klassische Werke wie Jvlanthe gelten, uicht immer der wichtigste Teil der ganzen
Erzählung wäre. Doch dein sei, wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß man
sich auf diese Weise mühelos eine Menge nützlicher Kenntnisse und einen hohen
Grad von Bildung erwirbt. Die besten Betten kommen natürlich aus den
Berliner Magazinen; die Herstellung der feinsten Betten, die auf besondre Be¬
stellung und nach eignen Zeichnungen gefertigt werden, dauert über sechs
Wochen.

Täglich überreicht nun Hcmckel seiner jungen Braut frische Blumen, die
mit der Bahn kommen, und bald kommt auch der Hochzeitstag. Eine fidele
Hochzeit! Trauung durch den Pfarrer, der "eine tüchtige Amtsmiene macht
und die weiten Ärmel des Talars wie ein Tausendkünstler zurückstreicht, wem,
er zaubern will." Hanckel bezecht sich bei Tisch, bringt in der Bezechtheit
einen Toast auf seine junge Frau aus, wird schleunigst aus dem Saale ge-


Lothars Urlaub ist abgelaufen, er reist nach Berlin zurück. Hcmckel er¬
hält wirklich am Morgen des achten Tages brieflich Jolanthes Ja. Er fährt
hinüber, um bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Der schäbige Alte
legt sich aufs Handeln und sagt erst zu, nachdem der gerngesehene reiche Be¬
werber auf jede Mitgift verzichtet hat.

Sie werden nnn wohl bald Hochzeit machen, doch es beginnt eben ein
neuer Akt, ich will die Hochzeit nachher lesen. — Weiß ich doch wirklich nicht,
ob mir Sudermann besser gefällt oder diese Ausstattungsoperette mit ihren
„effektvoller" Balleteinlagen. Jedenfalls weiß ich, daß, wenn mir Sudermann
so behagt, ihm allein das Verdienst gebührt. Er hat es verstanden, sein Buch
mit derselben Atmosphäre zu erfüllen, die uns, die bessere Gesellschaft, überall
umgiebt. Sudermann gehört zu uns! Es ist eine wahre Frende, zu sehen,
wie wenig er uns mit all jenen Nebendingen behelligt, woraus andre Erzähler
von geringerer Begabung so viel Gewicht legen. Es verrät einen hervor¬
ragenden, ganz aus der Höhe der Zeit stehenden Geschmack, daß wir hier
nicht mit veralteten Dingen, wie Charakterzeichnung, Gedankenentwicklung und
ähnlichem belästigt werden. Wie schwierig mag es sein, diese absolute Charakter¬
losigkeit herzustellen, wie viel Mühe mag es gekostet haben, die Gedanken, die
sich bisweilen störend einzudrängen suchen, völlig auszumerzen! Dafür sind
die Hauptsachen, die anderswo gröblich vernachlässigt zu werden pflege», hier
mich Gebühr berücksichtigt. Die Hochzeitsvvrbereitungen, die ich eben lese,
sind genau so wie damals, als sich Oskar und Adele vermählten. Ich weiß
mich der vielen Veratungen über die Aussteuer, die Zimmerausstattuug u. s. w.
noch genau zu erinnern. Sudermann hat dieses Fach offenbar gründlich
studirt. In der Frage der Schlafstubeneinrichtung scheint er mir geradezu
ein Sachverständiger ersten Ranges zu sein. Ich glaube, diese Bettenphilo¬
sophie gehört mit zu dem, was man jetzt Milieu nennt; ich müßte mich sehr
irren, wenn das Milieu uach den Vorschriften der modernen Ästhetik, die für
klassische Werke wie Jvlanthe gelten, uicht immer der wichtigste Teil der ganzen
Erzählung wäre. Doch dein sei, wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß man
sich auf diese Weise mühelos eine Menge nützlicher Kenntnisse und einen hohen
Grad von Bildung erwirbt. Die besten Betten kommen natürlich aus den
Berliner Magazinen; die Herstellung der feinsten Betten, die auf besondre Be¬
stellung und nach eignen Zeichnungen gefertigt werden, dauert über sechs
Wochen.

Täglich überreicht nun Hcmckel seiner jungen Braut frische Blumen, die
mit der Bahn kommen, und bald kommt auch der Hochzeitstag. Eine fidele
Hochzeit! Trauung durch den Pfarrer, der „eine tüchtige Amtsmiene macht
und die weiten Ärmel des Talars wie ein Tausendkünstler zurückstreicht, wem,
er zaubern will." Hanckel bezecht sich bei Tisch, bringt in der Bezechtheit
einen Toast auf seine junge Frau aus, wird schleunigst aus dem Saale ge-


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[0329] Lothars Urlaub ist abgelaufen, er reist nach Berlin zurück. Hcmckel er¬ hält wirklich am Morgen des achten Tages brieflich Jolanthes Ja. Er fährt hinüber, um bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Der schäbige Alte legt sich aufs Handeln und sagt erst zu, nachdem der gerngesehene reiche Be¬ werber auf jede Mitgift verzichtet hat. Sie werden nnn wohl bald Hochzeit machen, doch es beginnt eben ein neuer Akt, ich will die Hochzeit nachher lesen. — Weiß ich doch wirklich nicht, ob mir Sudermann besser gefällt oder diese Ausstattungsoperette mit ihren „effektvoller" Balleteinlagen. Jedenfalls weiß ich, daß, wenn mir Sudermann so behagt, ihm allein das Verdienst gebührt. Er hat es verstanden, sein Buch mit derselben Atmosphäre zu erfüllen, die uns, die bessere Gesellschaft, überall umgiebt. Sudermann gehört zu uns! Es ist eine wahre Frende, zu sehen, wie wenig er uns mit all jenen Nebendingen behelligt, woraus andre Erzähler von geringerer Begabung so viel Gewicht legen. Es verrät einen hervor¬ ragenden, ganz aus der Höhe der Zeit stehenden Geschmack, daß wir hier nicht mit veralteten Dingen, wie Charakterzeichnung, Gedankenentwicklung und ähnlichem belästigt werden. Wie schwierig mag es sein, diese absolute Charakter¬ losigkeit herzustellen, wie viel Mühe mag es gekostet haben, die Gedanken, die sich bisweilen störend einzudrängen suchen, völlig auszumerzen! Dafür sind die Hauptsachen, die anderswo gröblich vernachlässigt zu werden pflege», hier mich Gebühr berücksichtigt. Die Hochzeitsvvrbereitungen, die ich eben lese, sind genau so wie damals, als sich Oskar und Adele vermählten. Ich weiß mich der vielen Veratungen über die Aussteuer, die Zimmerausstattuug u. s. w. noch genau zu erinnern. Sudermann hat dieses Fach offenbar gründlich studirt. In der Frage der Schlafstubeneinrichtung scheint er mir geradezu ein Sachverständiger ersten Ranges zu sein. Ich glaube, diese Bettenphilo¬ sophie gehört mit zu dem, was man jetzt Milieu nennt; ich müßte mich sehr irren, wenn das Milieu uach den Vorschriften der modernen Ästhetik, die für klassische Werke wie Jvlanthe gelten, uicht immer der wichtigste Teil der ganzen Erzählung wäre. Doch dein sei, wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß man sich auf diese Weise mühelos eine Menge nützlicher Kenntnisse und einen hohen Grad von Bildung erwirbt. Die besten Betten kommen natürlich aus den Berliner Magazinen; die Herstellung der feinsten Betten, die auf besondre Be¬ stellung und nach eignen Zeichnungen gefertigt werden, dauert über sechs Wochen. Täglich überreicht nun Hcmckel seiner jungen Braut frische Blumen, die mit der Bahn kommen, und bald kommt auch der Hochzeitstag. Eine fidele Hochzeit! Trauung durch den Pfarrer, der „eine tüchtige Amtsmiene macht und die weiten Ärmel des Talars wie ein Tausendkünstler zurückstreicht, wem, er zaubern will." Hanckel bezecht sich bei Tisch, bringt in der Bezechtheit einen Toast auf seine junge Frau aus, wird schleunigst aus dem Saale ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/329>, abgerufen am 27.08.2024.