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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Jolanthes Hochzeit

Hanckel, der gute Kerl, will auch versuchen, einen endlosen und kost¬
spieligen Prozeß mit einem andern Gutsnachbarn, Herrn von Krakow auf
Krakowitz, persönlich beizulegen. Das ist nicht leicht, denn der Krakow ist
ein "Rauhbein." Alle Ausdrücke sind bei Sudermann mit peinlicher Natur-
treue dein wirklichen Leben abgelauscht; durch das "Rauhbein" ist man sofort
über Krakow unterrichtet. Solche Wörter haben Hand und Fuß.

Das erste Kapitel ist aus, ich kann noch das zweite anfangen. Varon
Hanckel erzählt, wie er auf Krakowitz Besuch gemacht hat. Der Krakow habe
hinter der Szene laut über ihn geschimpft -- dies Luder u. s. w. --, ihn aber
dann sehr freundlich begrüßt und auf seine Vorhaltungen erwidert: "Die Thüren
taugen nischt." O dieses Sudermannsche Nischt! Bald sagt er nichts, bald
sagt er nischt, aber wo er nischt sagt, da gehört auch wirklich nischt hin.
Dies Nischt wirkt erhebend und erwärmend. Dabei versteht Sudermann selbst
ein "Rauhbein" interessant zu macheu, indem er seine obere Partie heraus¬
streicht: "rund, fett, mit O-Beinen -- und auf diesem Wanst ein richtiger
Apvstelkopf. Entweder Petrus oder vielleicht Andreas oder sonst einer."
Nun, welcher Apostel es war, dem Krakow ähnlich sah, ist mir gleich, aber
daß er überhaupt wie ein Apostel aussah, das ist "großartig." Aha, jetzt
kommt die Baronin, des Nauhbeius Gemahlin -- eine Null, und dann
kommt -- sie, Jolanthe! Ausgezeichnet, prachtvoll! So etwas hab ich mein
Lebtag nicht gelesen. Nur ein Kenner ersten Ranges kann so etwas zu Staude
bringen. So eifrig und so lange ich auch meine Studien aus den Nenn¬
plätzen betrieben habe, ich könnte kein Pferd so gut beschreiben, wie dieser
Sudermann ein Weib. "Rasse, meine Herren, Nasse! . . . ein Körper wie
'ne junge Königin . . . das Haar losgelöst in tausend Wirbeln und Wickeln --
goldbraun, wie so die Mähne von einem Berber . . . der Hals weiß und
üppig mit einem leichte" Kropfansatz ... der Busen nicht zu hoch, aber breit
ausgelegt mit seitlichen Wölbungen, was wir beim Pferde eine Löwenbrust
nennen . . . und wenn sie atmete, schien der ganze Körper mitzuatmen, so
mächtig wälzte sich die Luft dnrch diesen jungen, edelschlächtigen >edelsch tüchtig
ist ausgezeichnet!^ Organismus . . . Fesselgelenke ^ Fesselgelenke!> elegant . . .
Beckenbildung" u. s. w. Nur ein erfahrner "Züchter" kann eine so tadellose
Beschreibung der Gattung liefern. Ach, wie schade! Es klingelt, der Vorhang
geht in die Höhe, ich muß eine Pause machen.

Wo war ich doch stehen geblieben? Jolauthe ging als erste über die
Bahn -- ach das dumme Ballet hat mir den Kopf ganz verdreht. "Züchter,"
"Exemplar" -- richtig, hier wars. Krakow renommirt: "Das ist mein
Werk ... das hab ich zu Stande gedacht . ." Mit welcher Geschicklichkeit
werden wir hier vom Pferd auf den Menschen gebracht, und umgekehrt.

Sie setzen sich an den Kaffeetisch, und Jolanthe wirft dem alten Hanckel
verliebte Augen zu, sodaß ihm ganz schwindlig wird. Nun kommt die Stelle,


Jolanthes Hochzeit

Hanckel, der gute Kerl, will auch versuchen, einen endlosen und kost¬
spieligen Prozeß mit einem andern Gutsnachbarn, Herrn von Krakow auf
Krakowitz, persönlich beizulegen. Das ist nicht leicht, denn der Krakow ist
ein „Rauhbein." Alle Ausdrücke sind bei Sudermann mit peinlicher Natur-
treue dein wirklichen Leben abgelauscht; durch das „Rauhbein" ist man sofort
über Krakow unterrichtet. Solche Wörter haben Hand und Fuß.

Das erste Kapitel ist aus, ich kann noch das zweite anfangen. Varon
Hanckel erzählt, wie er auf Krakowitz Besuch gemacht hat. Der Krakow habe
hinter der Szene laut über ihn geschimpft — dies Luder u. s. w. —, ihn aber
dann sehr freundlich begrüßt und auf seine Vorhaltungen erwidert: „Die Thüren
taugen nischt." O dieses Sudermannsche Nischt! Bald sagt er nichts, bald
sagt er nischt, aber wo er nischt sagt, da gehört auch wirklich nischt hin.
Dies Nischt wirkt erhebend und erwärmend. Dabei versteht Sudermann selbst
ein „Rauhbein" interessant zu macheu, indem er seine obere Partie heraus¬
streicht: „rund, fett, mit O-Beinen — und auf diesem Wanst ein richtiger
Apvstelkopf. Entweder Petrus oder vielleicht Andreas oder sonst einer."
Nun, welcher Apostel es war, dem Krakow ähnlich sah, ist mir gleich, aber
daß er überhaupt wie ein Apostel aussah, das ist „großartig." Aha, jetzt
kommt die Baronin, des Nauhbeius Gemahlin — eine Null, und dann
kommt — sie, Jolanthe! Ausgezeichnet, prachtvoll! So etwas hab ich mein
Lebtag nicht gelesen. Nur ein Kenner ersten Ranges kann so etwas zu Staude
bringen. So eifrig und so lange ich auch meine Studien aus den Nenn¬
plätzen betrieben habe, ich könnte kein Pferd so gut beschreiben, wie dieser
Sudermann ein Weib. „Rasse, meine Herren, Nasse! . . . ein Körper wie
'ne junge Königin . . . das Haar losgelöst in tausend Wirbeln und Wickeln —
goldbraun, wie so die Mähne von einem Berber . . . der Hals weiß und
üppig mit einem leichte» Kropfansatz ... der Busen nicht zu hoch, aber breit
ausgelegt mit seitlichen Wölbungen, was wir beim Pferde eine Löwenbrust
nennen . . . und wenn sie atmete, schien der ganze Körper mitzuatmen, so
mächtig wälzte sich die Luft dnrch diesen jungen, edelschlächtigen >edelsch tüchtig
ist ausgezeichnet!^ Organismus . . . Fesselgelenke ^ Fesselgelenke!> elegant . . .
Beckenbildung" u. s. w. Nur ein erfahrner „Züchter" kann eine so tadellose
Beschreibung der Gattung liefern. Ach, wie schade! Es klingelt, der Vorhang
geht in die Höhe, ich muß eine Pause machen.

Wo war ich doch stehen geblieben? Jolauthe ging als erste über die
Bahn — ach das dumme Ballet hat mir den Kopf ganz verdreht. „Züchter,"
„Exemplar" — richtig, hier wars. Krakow renommirt: „Das ist mein
Werk ... das hab ich zu Stande gedacht . ." Mit welcher Geschicklichkeit
werden wir hier vom Pferd auf den Menschen gebracht, und umgekehrt.

Sie setzen sich an den Kaffeetisch, und Jolanthe wirft dem alten Hanckel
verliebte Augen zu, sodaß ihm ganz schwindlig wird. Nun kommt die Stelle,


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[0327] Jolanthes Hochzeit Hanckel, der gute Kerl, will auch versuchen, einen endlosen und kost¬ spieligen Prozeß mit einem andern Gutsnachbarn, Herrn von Krakow auf Krakowitz, persönlich beizulegen. Das ist nicht leicht, denn der Krakow ist ein „Rauhbein." Alle Ausdrücke sind bei Sudermann mit peinlicher Natur- treue dein wirklichen Leben abgelauscht; durch das „Rauhbein" ist man sofort über Krakow unterrichtet. Solche Wörter haben Hand und Fuß. Das erste Kapitel ist aus, ich kann noch das zweite anfangen. Varon Hanckel erzählt, wie er auf Krakowitz Besuch gemacht hat. Der Krakow habe hinter der Szene laut über ihn geschimpft — dies Luder u. s. w. —, ihn aber dann sehr freundlich begrüßt und auf seine Vorhaltungen erwidert: „Die Thüren taugen nischt." O dieses Sudermannsche Nischt! Bald sagt er nichts, bald sagt er nischt, aber wo er nischt sagt, da gehört auch wirklich nischt hin. Dies Nischt wirkt erhebend und erwärmend. Dabei versteht Sudermann selbst ein „Rauhbein" interessant zu macheu, indem er seine obere Partie heraus¬ streicht: „rund, fett, mit O-Beinen — und auf diesem Wanst ein richtiger Apvstelkopf. Entweder Petrus oder vielleicht Andreas oder sonst einer." Nun, welcher Apostel es war, dem Krakow ähnlich sah, ist mir gleich, aber daß er überhaupt wie ein Apostel aussah, das ist „großartig." Aha, jetzt kommt die Baronin, des Nauhbeius Gemahlin — eine Null, und dann kommt — sie, Jolanthe! Ausgezeichnet, prachtvoll! So etwas hab ich mein Lebtag nicht gelesen. Nur ein Kenner ersten Ranges kann so etwas zu Staude bringen. So eifrig und so lange ich auch meine Studien aus den Nenn¬ plätzen betrieben habe, ich könnte kein Pferd so gut beschreiben, wie dieser Sudermann ein Weib. „Rasse, meine Herren, Nasse! . . . ein Körper wie 'ne junge Königin . . . das Haar losgelöst in tausend Wirbeln und Wickeln — goldbraun, wie so die Mähne von einem Berber . . . der Hals weiß und üppig mit einem leichte» Kropfansatz ... der Busen nicht zu hoch, aber breit ausgelegt mit seitlichen Wölbungen, was wir beim Pferde eine Löwenbrust nennen . . . und wenn sie atmete, schien der ganze Körper mitzuatmen, so mächtig wälzte sich die Luft dnrch diesen jungen, edelschlächtigen >edelsch tüchtig ist ausgezeichnet!^ Organismus . . . Fesselgelenke ^ Fesselgelenke!> elegant . . . Beckenbildung" u. s. w. Nur ein erfahrner „Züchter" kann eine so tadellose Beschreibung der Gattung liefern. Ach, wie schade! Es klingelt, der Vorhang geht in die Höhe, ich muß eine Pause machen. Wo war ich doch stehen geblieben? Jolauthe ging als erste über die Bahn — ach das dumme Ballet hat mir den Kopf ganz verdreht. „Züchter," „Exemplar" — richtig, hier wars. Krakow renommirt: „Das ist mein Werk ... das hab ich zu Stande gedacht . ." Mit welcher Geschicklichkeit werden wir hier vom Pferd auf den Menschen gebracht, und umgekehrt. Sie setzen sich an den Kaffeetisch, und Jolanthe wirft dem alten Hanckel verliebte Augen zu, sodaß ihm ganz schwindlig wird. Nun kommt die Stelle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/327>, abgerufen am 27.08.2024.