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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Jvlanthes Hochzeit

sondern ein Buch oder vielmehr ein Büchlein.*) Sollte der grellgelbe Umschlag
an der Verwechslung schuld sein? Oder sollte ich Herrn von S., den Reiter
der Jolanthe, mit Herrn Sudermann, dem Verfasser der Jolanthe, verwechselt
haben? Aber wie ist mir denn? Auf dem Titel steht ja nicht bloß Jolanthe,
sondern Jvlanthes Hochzeit. Das ist was andres, diese Jolanthe ist kein
Pferd. Ich muß mich doch überzeugen und will schnell einmal in den paar
Seiten herumblättern. Ah, da stehts schon: "Meine junge Vaterfreude --
die fes ist eine "die"j wird schön und niederträchtig werden und wird mit
den Beinen strampeln strampeln, das muß ich noch einmal lesen ^ ihr Lebe¬
lang ^Lebe?j -- die muß einen sehr poetischen Namen kriegen, dann steigt sie
bei den Freiern im Preise -- Thekla, Hero . . . Referendar -- Rosaura,
Carmen . . . Inspektor -- und schließlich fand ich Jolanthe -- das ist kitzlich
>kitzlich!j und erhaben zu gleicher Zeit."

Das genügt. Jolanthe ist eine anscheinend höchst interessante junge
Dame. Ich werde mir während der Zwischenakte den Inhalt weiter zu Ge¬
müte führen, das Buch ist nicht lang. Ach, die Genies von heute sind un¬
bezahlbar, sie dischen uns Hochgenusse auf und machen uns das Genießen so
bequem.

Die Geschichte fängt schlecht an. Der alte Putz wird begraben. Hanckel,
sein Freund und Gutsnachbar, erzählt es uns, wie Putz begraben wird. Aber
wie genau kennt Sudermann das menschliche Herz! Welch richtigen Ausdruck
weiß er für unsre Empfindungen zu finden! Ist es nicht "schändlich," ist es
nicht "einfach ekelhaft," daß wir sterben müssen? Es wäre der Gipfel aller
unsrer modernen Errungenschaften, wenn unser einer, wenn die Elite der Nation
nicht länger ins Gras zu beißen brauchte. Es ist nichtswürdig, daß man
mit einemmal nicht mehr Punsch und Bowle mischen und keinen Skat mehr
spielen soll.

Der alte Putz hinterläßt einen Sohn Lothar, Leutnant bei den
Gardedragonern. Hanckel begleitet Lothar nach Hause -- ein leeres Be¬
gräbnishaus, "einfach scheußlich." Sie besprechen die Verhältnisse, die keines¬
wegs glänzend sind, da Putz zwar für alles Trinkbare, aber nicht für die
Bewirtschaftung Verständnis gehabt hat. Übrigens "verdient wird bei der
Landwirtschaft nichts"; dasselbe wie Silbermann sagt jeder Fachmann, jeder¬
mann erbt lieber einen Berg Papiere als einen Haufen Erde, schon der Be¬
quemlichkeit wegen. Da außerdem Lothar "beim Gurgler drinsitzt," so empfiehlt
ihm Hanckel, den Abschied zu nehmen und das Gut selbst zu bewirtschaften;
unter dieser Bedingung will er helfen und den Gurgler bezahlen. Der arme
Junge wird wohl seine Uniform an den Nagel hängen müssen; wo bleibt nun
"jener Garde-Chic," der ihn so prächtig kleidet?



*) Jvlanthes Hochzeit. Erzählung von Hermann Sudermann. Stuttgart,
I. G. Cotta, 1892.
Jvlanthes Hochzeit

sondern ein Buch oder vielmehr ein Büchlein.*) Sollte der grellgelbe Umschlag
an der Verwechslung schuld sein? Oder sollte ich Herrn von S., den Reiter
der Jolanthe, mit Herrn Sudermann, dem Verfasser der Jolanthe, verwechselt
haben? Aber wie ist mir denn? Auf dem Titel steht ja nicht bloß Jolanthe,
sondern Jvlanthes Hochzeit. Das ist was andres, diese Jolanthe ist kein
Pferd. Ich muß mich doch überzeugen und will schnell einmal in den paar
Seiten herumblättern. Ah, da stehts schon: „Meine junge Vaterfreude —
die fes ist eine »die«j wird schön und niederträchtig werden und wird mit
den Beinen strampeln strampeln, das muß ich noch einmal lesen ^ ihr Lebe¬
lang ^Lebe?j — die muß einen sehr poetischen Namen kriegen, dann steigt sie
bei den Freiern im Preise — Thekla, Hero . . . Referendar — Rosaura,
Carmen . . . Inspektor — und schließlich fand ich Jolanthe — das ist kitzlich
>kitzlich!j und erhaben zu gleicher Zeit."

Das genügt. Jolanthe ist eine anscheinend höchst interessante junge
Dame. Ich werde mir während der Zwischenakte den Inhalt weiter zu Ge¬
müte führen, das Buch ist nicht lang. Ach, die Genies von heute sind un¬
bezahlbar, sie dischen uns Hochgenusse auf und machen uns das Genießen so
bequem.

Die Geschichte fängt schlecht an. Der alte Putz wird begraben. Hanckel,
sein Freund und Gutsnachbar, erzählt es uns, wie Putz begraben wird. Aber
wie genau kennt Sudermann das menschliche Herz! Welch richtigen Ausdruck
weiß er für unsre Empfindungen zu finden! Ist es nicht „schändlich," ist es
nicht „einfach ekelhaft," daß wir sterben müssen? Es wäre der Gipfel aller
unsrer modernen Errungenschaften, wenn unser einer, wenn die Elite der Nation
nicht länger ins Gras zu beißen brauchte. Es ist nichtswürdig, daß man
mit einemmal nicht mehr Punsch und Bowle mischen und keinen Skat mehr
spielen soll.

Der alte Putz hinterläßt einen Sohn Lothar, Leutnant bei den
Gardedragonern. Hanckel begleitet Lothar nach Hause — ein leeres Be¬
gräbnishaus, „einfach scheußlich." Sie besprechen die Verhältnisse, die keines¬
wegs glänzend sind, da Putz zwar für alles Trinkbare, aber nicht für die
Bewirtschaftung Verständnis gehabt hat. Übrigens „verdient wird bei der
Landwirtschaft nichts"; dasselbe wie Silbermann sagt jeder Fachmann, jeder¬
mann erbt lieber einen Berg Papiere als einen Haufen Erde, schon der Be¬
quemlichkeit wegen. Da außerdem Lothar „beim Gurgler drinsitzt," so empfiehlt
ihm Hanckel, den Abschied zu nehmen und das Gut selbst zu bewirtschaften;
unter dieser Bedingung will er helfen und den Gurgler bezahlen. Der arme
Junge wird wohl seine Uniform an den Nagel hängen müssen; wo bleibt nun
„jener Garde-Chic," der ihn so prächtig kleidet?



*) Jvlanthes Hochzeit. Erzählung von Hermann Sudermann. Stuttgart,
I. G. Cotta, 1892.
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[0326] Jvlanthes Hochzeit sondern ein Buch oder vielmehr ein Büchlein.*) Sollte der grellgelbe Umschlag an der Verwechslung schuld sein? Oder sollte ich Herrn von S., den Reiter der Jolanthe, mit Herrn Sudermann, dem Verfasser der Jolanthe, verwechselt haben? Aber wie ist mir denn? Auf dem Titel steht ja nicht bloß Jolanthe, sondern Jvlanthes Hochzeit. Das ist was andres, diese Jolanthe ist kein Pferd. Ich muß mich doch überzeugen und will schnell einmal in den paar Seiten herumblättern. Ah, da stehts schon: „Meine junge Vaterfreude — die fes ist eine »die«j wird schön und niederträchtig werden und wird mit den Beinen strampeln strampeln, das muß ich noch einmal lesen ^ ihr Lebe¬ lang ^Lebe?j — die muß einen sehr poetischen Namen kriegen, dann steigt sie bei den Freiern im Preise — Thekla, Hero . . . Referendar — Rosaura, Carmen . . . Inspektor — und schließlich fand ich Jolanthe — das ist kitzlich >kitzlich!j und erhaben zu gleicher Zeit." Das genügt. Jolanthe ist eine anscheinend höchst interessante junge Dame. Ich werde mir während der Zwischenakte den Inhalt weiter zu Ge¬ müte führen, das Buch ist nicht lang. Ach, die Genies von heute sind un¬ bezahlbar, sie dischen uns Hochgenusse auf und machen uns das Genießen so bequem. Die Geschichte fängt schlecht an. Der alte Putz wird begraben. Hanckel, sein Freund und Gutsnachbar, erzählt es uns, wie Putz begraben wird. Aber wie genau kennt Sudermann das menschliche Herz! Welch richtigen Ausdruck weiß er für unsre Empfindungen zu finden! Ist es nicht „schändlich," ist es nicht „einfach ekelhaft," daß wir sterben müssen? Es wäre der Gipfel aller unsrer modernen Errungenschaften, wenn unser einer, wenn die Elite der Nation nicht länger ins Gras zu beißen brauchte. Es ist nichtswürdig, daß man mit einemmal nicht mehr Punsch und Bowle mischen und keinen Skat mehr spielen soll. Der alte Putz hinterläßt einen Sohn Lothar, Leutnant bei den Gardedragonern. Hanckel begleitet Lothar nach Hause — ein leeres Be¬ gräbnishaus, „einfach scheußlich." Sie besprechen die Verhältnisse, die keines¬ wegs glänzend sind, da Putz zwar für alles Trinkbare, aber nicht für die Bewirtschaftung Verständnis gehabt hat. Übrigens „verdient wird bei der Landwirtschaft nichts"; dasselbe wie Silbermann sagt jeder Fachmann, jeder¬ mann erbt lieber einen Berg Papiere als einen Haufen Erde, schon der Be¬ quemlichkeit wegen. Da außerdem Lothar „beim Gurgler drinsitzt," so empfiehlt ihm Hanckel, den Abschied zu nehmen und das Gut selbst zu bewirtschaften; unter dieser Bedingung will er helfen und den Gurgler bezahlen. Der arme Junge wird wohl seine Uniform an den Nagel hängen müssen; wo bleibt nun „jener Garde-Chic," der ihn so prächtig kleidet? *) Jvlanthes Hochzeit. Erzählung von Hermann Sudermann. Stuttgart, I. G. Cotta, 1892.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/326>, abgerufen am 27.08.2024.