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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Boston und Philadelphia sehr geschickt, zu verhältnismäßig billigern Preisen
als in Europa, hergestellt werden.

In der jungen Frau des Kollegen lernte ich die sehr liebenswürdige und
rührige Tochter eines Hamburger Arztes kennen, die sich seit sechs Jahren
hier im Westen allmählich eingewohnt hatte in den deutsch-amerikanischen Haus¬
halt und in das ewige Weh und Ach der immer noch ungelösten Dienstboten¬
frage. Wir plauderten bei Tisch, obwohl sie darum gebeten hatte, von diesem
hier so geläufigen Gesprächsstoff abzusehen, über die Kunst, alle Wochen, min¬
destens alle Monate, manchmal auch alle Tage mit dem Dienstpersonal zu
wechseln, von den Leuten betrogen oder böswillig verlassen zu werden, und doch
dabei sein Haus in Ordnung zu halten und die gute Laune nicht zu verlieren.

Wie ich sehe, stehen da Mendelssohns Lieder aufgeschlagen ans dein Klavier,
daneben steht das Kinderstühlchen, und mit Hilft des Auszugs befördern Sie
eigenhändig die Gerichte aus der Küche in die Eßstube, .weil gerade wieder
einmal das Mädchen fortgelaufen ist -- das ist mehr, als man von einer
deutschen Hausfrau erwarten darf. Aufrichtig: ich bewundere Sie!

Ja, wenn ich auch noch das Klavierspielen eingehen ließe, erwiderte sie,
dann würde mir um meinen Humor bange! Sie müssen aber auch die vielen
Erleichterungen in Betracht ziehen, die die amerikanische Hausfrau vor der
deutschen voraus hat. Unsre kleinen tragbaren Petrvleumöfen und die neuen
Gasolinöfen, die wie eine Nähmaschine aussehen, und in denen man sofort
ein starkes Feuer fertig hat, die Aufzüge im Hause, namentlich zwischen Küche
und Eßzimmer, die Luftheizung, die praktischen Wascheinrichtungen, das alles
sind Sachen, die allein schon ein oder zwei Dienstmädchen ersetzen können.
Fühlen Sie meine Hände an, ob sie weich sind. Nicht wahr, sie könnten mit
den Händen jeder deutschen Salondame wetteifern, und doch thun sie alles
selber, das danken wir unsern praktischen Neuerungen. Ich stecke selbst die
Wäsche, wenn ich nicht einmal ein Stück den Chinesen übergeben will, an die
Wäschleine, die hier am Fenster über die Rolle läuft und dort am Nußbaum
über eine andre Rolle, ich kann sie ohne Leiter und Stützen befestigen. Hier
die Röhren unter dem Fensterbrett sind meine Stubenheizung, die die Stadt
liefert, die Waschvorrichtungen im Keller ersparen mir Hausmädchen und
Waschfrau, und die elektrische Klingel vor der Hausthür den Portier, da
Milchmann, Bäcker, Fleischer und Grünhändler alles stillschweigend auf der
Veranda abliefern je nach dem Bestellzettel oder dem Geldstück, das sie vor¬
finden. Ja ich behaupte sogar, manche deutsche Hausfrau geht leichter in ihren
kleinen Alltagssorgen und Alltagsverrichtungen unter, trotz billigerer Dienst¬
boten, als wir Deutschamerikanerinnen, wenn wir uns erst einmal in dieses
Getriebe eingewöhnt haben, und vorausgesetzt natürlich, daß wir uns ein
bischen Lust und Liebe für etwas Höheres bewahren.

Ich gestand der kleinen, hübschen Frau, daß sie mir bei all meiner Be-


Bilder aus dem Westen

Boston und Philadelphia sehr geschickt, zu verhältnismäßig billigern Preisen
als in Europa, hergestellt werden.

In der jungen Frau des Kollegen lernte ich die sehr liebenswürdige und
rührige Tochter eines Hamburger Arztes kennen, die sich seit sechs Jahren
hier im Westen allmählich eingewohnt hatte in den deutsch-amerikanischen Haus¬
halt und in das ewige Weh und Ach der immer noch ungelösten Dienstboten¬
frage. Wir plauderten bei Tisch, obwohl sie darum gebeten hatte, von diesem
hier so geläufigen Gesprächsstoff abzusehen, über die Kunst, alle Wochen, min¬
destens alle Monate, manchmal auch alle Tage mit dem Dienstpersonal zu
wechseln, von den Leuten betrogen oder böswillig verlassen zu werden, und doch
dabei sein Haus in Ordnung zu halten und die gute Laune nicht zu verlieren.

Wie ich sehe, stehen da Mendelssohns Lieder aufgeschlagen ans dein Klavier,
daneben steht das Kinderstühlchen, und mit Hilft des Auszugs befördern Sie
eigenhändig die Gerichte aus der Küche in die Eßstube, .weil gerade wieder
einmal das Mädchen fortgelaufen ist — das ist mehr, als man von einer
deutschen Hausfrau erwarten darf. Aufrichtig: ich bewundere Sie!

Ja, wenn ich auch noch das Klavierspielen eingehen ließe, erwiderte sie,
dann würde mir um meinen Humor bange! Sie müssen aber auch die vielen
Erleichterungen in Betracht ziehen, die die amerikanische Hausfrau vor der
deutschen voraus hat. Unsre kleinen tragbaren Petrvleumöfen und die neuen
Gasolinöfen, die wie eine Nähmaschine aussehen, und in denen man sofort
ein starkes Feuer fertig hat, die Aufzüge im Hause, namentlich zwischen Küche
und Eßzimmer, die Luftheizung, die praktischen Wascheinrichtungen, das alles
sind Sachen, die allein schon ein oder zwei Dienstmädchen ersetzen können.
Fühlen Sie meine Hände an, ob sie weich sind. Nicht wahr, sie könnten mit
den Händen jeder deutschen Salondame wetteifern, und doch thun sie alles
selber, das danken wir unsern praktischen Neuerungen. Ich stecke selbst die
Wäsche, wenn ich nicht einmal ein Stück den Chinesen übergeben will, an die
Wäschleine, die hier am Fenster über die Rolle läuft und dort am Nußbaum
über eine andre Rolle, ich kann sie ohne Leiter und Stützen befestigen. Hier
die Röhren unter dem Fensterbrett sind meine Stubenheizung, die die Stadt
liefert, die Waschvorrichtungen im Keller ersparen mir Hausmädchen und
Waschfrau, und die elektrische Klingel vor der Hausthür den Portier, da
Milchmann, Bäcker, Fleischer und Grünhändler alles stillschweigend auf der
Veranda abliefern je nach dem Bestellzettel oder dem Geldstück, das sie vor¬
finden. Ja ich behaupte sogar, manche deutsche Hausfrau geht leichter in ihren
kleinen Alltagssorgen und Alltagsverrichtungen unter, trotz billigerer Dienst¬
boten, als wir Deutschamerikanerinnen, wenn wir uns erst einmal in dieses
Getriebe eingewöhnt haben, und vorausgesetzt natürlich, daß wir uns ein
bischen Lust und Liebe für etwas Höheres bewahren.

Ich gestand der kleinen, hübschen Frau, daß sie mir bei all meiner Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/324>, abgerufen am 27.08.2024.