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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder ans dein Westen

Schwester Magdalena konnte bei einem flüchtigen Blick auf die abge¬
lieferten Pakete eine gewisse Unruhe nicht verbergen; sie war ans Fenster
getreten, wohl um dem Überbringer nachzublicken.

Jedenfalls eine seltsame barmherzige Schwester, dachte ich bei mir, als
wir wieder in den Wagen gestiegen waren, und ich noch einmal die Weißen
Bänder der Nvmienhaube am offnen Fenster flattern sah.

Der Mann, von dem wir gesprochen hatten, ging langsamen Schrittes,
den Kopf geneigt, vor uns her. Bald hatte ihn unser LuM erreicht. Bei
flüchtigem Gruße sah ich in ein interessantes Gesicht, das augenscheinlich einem
Menschen gehörte, der viel erlebt, viel gedacht und viel gehofft, den aber
trotzdem das Schicksal noch nicht zum geduckten Menschen gemacht hatte. Ich
hätte ihn gern näher kennen gelernt.

Wenn Sie einmal hinausfahren, sich die Leuchtgasquellen anzusehen,
sagte der Kollege, indem er nach dem Höhenzuge drüben deutete, haben Sie
vielleicht Gelegenheit, einen Blick in dieses Gemüt zu thun! Wie der Gaul
wieder scheut!

Ein leichter Peitschenschlag brachte das Pferd wieder zur Ordnung und
an dem Bierwagen, vor dem es sich fürchtete, vorbei.

Wie viel Pferde müssen Sie sich als Arzt hier halten?

Eins genügt, und das wird mir für fünfundzwanzig Dollar monatlich
jeden Morgen aus dem Leihstall geputzt, gefüttert und angeschirrt samt dem
Lug'M durch einen Pferdejungen entgegengeschickt. Es ist billiger so und
macht weniger Ärger, als wenn man sich selbst Futter, Stallung und Be¬
dienung hält, wie ich es anfangs that. Man ist oft ohne Kutscher, dann muß
man für einen oder zwei Tage das Pferd selber besorgen, und Stallgeruch
paßt nicht zur Praxis. Das ist übrigens ein Mißgeschick, unter dem bei den
hiesigen Dienstbotenverhältnisseu sogar Millionäre manchmal zu leiden haben.

Giebt es auch Ärzte, die ihre Pferde immer selber besorgen?

Viele, noch dazu sehr anständige. Sie haben ihre Stallpantvffeln, ihren
Stallrock und gehen, so wie sie vom Wagen steigen, an die Stallarbeit; wenn
sie Söhne haben, lassen sie sich von denen dabei helfen. Ich kenne sogar einen,
dem seine heranwachsende Tochter, ein allerliebster Backfisch, dabei hilft, und
draußen spielt sie die feinste Lady.

Aber bei der Menge von Straßenbahnen sollte man doch meinen, daß
sich fast alles in der Praxis ohne Geschirr abmachen ließe?

Nein, trotz der sogenannten rrWLim'-?ioKst>8, der Übertragnngsbillets,
kommt das bei guter Praxis teurer zu stehen als eignes Geschirr und ist auch
zeitraubender. Die wohlhabender" Leute, die uicht gern wegen der Dienst¬
botenschwierigkeiten den Sport des Kutschcufahrens entbehren wollen, sind
deshalb schon ans ganz besondre Ideen verfallen: mehrere Familien steuern
zu einer Art von Aktienunternehmen bei, das immer für die betreffende Dienst-


Grenzboten II 1893 40
Bilder ans dein Westen

Schwester Magdalena konnte bei einem flüchtigen Blick auf die abge¬
lieferten Pakete eine gewisse Unruhe nicht verbergen; sie war ans Fenster
getreten, wohl um dem Überbringer nachzublicken.

Jedenfalls eine seltsame barmherzige Schwester, dachte ich bei mir, als
wir wieder in den Wagen gestiegen waren, und ich noch einmal die Weißen
Bänder der Nvmienhaube am offnen Fenster flattern sah.

Der Mann, von dem wir gesprochen hatten, ging langsamen Schrittes,
den Kopf geneigt, vor uns her. Bald hatte ihn unser LuM erreicht. Bei
flüchtigem Gruße sah ich in ein interessantes Gesicht, das augenscheinlich einem
Menschen gehörte, der viel erlebt, viel gedacht und viel gehofft, den aber
trotzdem das Schicksal noch nicht zum geduckten Menschen gemacht hatte. Ich
hätte ihn gern näher kennen gelernt.

Wenn Sie einmal hinausfahren, sich die Leuchtgasquellen anzusehen,
sagte der Kollege, indem er nach dem Höhenzuge drüben deutete, haben Sie
vielleicht Gelegenheit, einen Blick in dieses Gemüt zu thun! Wie der Gaul
wieder scheut!

Ein leichter Peitschenschlag brachte das Pferd wieder zur Ordnung und
an dem Bierwagen, vor dem es sich fürchtete, vorbei.

Wie viel Pferde müssen Sie sich als Arzt hier halten?

Eins genügt, und das wird mir für fünfundzwanzig Dollar monatlich
jeden Morgen aus dem Leihstall geputzt, gefüttert und angeschirrt samt dem
Lug'M durch einen Pferdejungen entgegengeschickt. Es ist billiger so und
macht weniger Ärger, als wenn man sich selbst Futter, Stallung und Be¬
dienung hält, wie ich es anfangs that. Man ist oft ohne Kutscher, dann muß
man für einen oder zwei Tage das Pferd selber besorgen, und Stallgeruch
paßt nicht zur Praxis. Das ist übrigens ein Mißgeschick, unter dem bei den
hiesigen Dienstbotenverhältnisseu sogar Millionäre manchmal zu leiden haben.

Giebt es auch Ärzte, die ihre Pferde immer selber besorgen?

Viele, noch dazu sehr anständige. Sie haben ihre Stallpantvffeln, ihren
Stallrock und gehen, so wie sie vom Wagen steigen, an die Stallarbeit; wenn
sie Söhne haben, lassen sie sich von denen dabei helfen. Ich kenne sogar einen,
dem seine heranwachsende Tochter, ein allerliebster Backfisch, dabei hilft, und
draußen spielt sie die feinste Lady.

Aber bei der Menge von Straßenbahnen sollte man doch meinen, daß
sich fast alles in der Praxis ohne Geschirr abmachen ließe?

Nein, trotz der sogenannten rrWLim'-?ioKst>8, der Übertragnngsbillets,
kommt das bei guter Praxis teurer zu stehen als eignes Geschirr und ist auch
zeitraubender. Die wohlhabender» Leute, die uicht gern wegen der Dienst¬
botenschwierigkeiten den Sport des Kutschcufahrens entbehren wollen, sind
deshalb schon ans ganz besondre Ideen verfallen: mehrere Familien steuern
zu einer Art von Aktienunternehmen bei, das immer für die betreffende Dienst-


Grenzboten II 1893 40
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[0322] Bilder ans dein Westen Schwester Magdalena konnte bei einem flüchtigen Blick auf die abge¬ lieferten Pakete eine gewisse Unruhe nicht verbergen; sie war ans Fenster getreten, wohl um dem Überbringer nachzublicken. Jedenfalls eine seltsame barmherzige Schwester, dachte ich bei mir, als wir wieder in den Wagen gestiegen waren, und ich noch einmal die Weißen Bänder der Nvmienhaube am offnen Fenster flattern sah. Der Mann, von dem wir gesprochen hatten, ging langsamen Schrittes, den Kopf geneigt, vor uns her. Bald hatte ihn unser LuM erreicht. Bei flüchtigem Gruße sah ich in ein interessantes Gesicht, das augenscheinlich einem Menschen gehörte, der viel erlebt, viel gedacht und viel gehofft, den aber trotzdem das Schicksal noch nicht zum geduckten Menschen gemacht hatte. Ich hätte ihn gern näher kennen gelernt. Wenn Sie einmal hinausfahren, sich die Leuchtgasquellen anzusehen, sagte der Kollege, indem er nach dem Höhenzuge drüben deutete, haben Sie vielleicht Gelegenheit, einen Blick in dieses Gemüt zu thun! Wie der Gaul wieder scheut! Ein leichter Peitschenschlag brachte das Pferd wieder zur Ordnung und an dem Bierwagen, vor dem es sich fürchtete, vorbei. Wie viel Pferde müssen Sie sich als Arzt hier halten? Eins genügt, und das wird mir für fünfundzwanzig Dollar monatlich jeden Morgen aus dem Leihstall geputzt, gefüttert und angeschirrt samt dem Lug'M durch einen Pferdejungen entgegengeschickt. Es ist billiger so und macht weniger Ärger, als wenn man sich selbst Futter, Stallung und Be¬ dienung hält, wie ich es anfangs that. Man ist oft ohne Kutscher, dann muß man für einen oder zwei Tage das Pferd selber besorgen, und Stallgeruch paßt nicht zur Praxis. Das ist übrigens ein Mißgeschick, unter dem bei den hiesigen Dienstbotenverhältnisseu sogar Millionäre manchmal zu leiden haben. Giebt es auch Ärzte, die ihre Pferde immer selber besorgen? Viele, noch dazu sehr anständige. Sie haben ihre Stallpantvffeln, ihren Stallrock und gehen, so wie sie vom Wagen steigen, an die Stallarbeit; wenn sie Söhne haben, lassen sie sich von denen dabei helfen. Ich kenne sogar einen, dem seine heranwachsende Tochter, ein allerliebster Backfisch, dabei hilft, und draußen spielt sie die feinste Lady. Aber bei der Menge von Straßenbahnen sollte man doch meinen, daß sich fast alles in der Praxis ohne Geschirr abmachen ließe? Nein, trotz der sogenannten rrWLim'-?ioKst>8, der Übertragnngsbillets, kommt das bei guter Praxis teurer zu stehen als eignes Geschirr und ist auch zeitraubender. Die wohlhabender» Leute, die uicht gern wegen der Dienst¬ botenschwierigkeiten den Sport des Kutschcufahrens entbehren wollen, sind deshalb schon ans ganz besondre Ideen verfallen: mehrere Familien steuern zu einer Art von Aktienunternehmen bei, das immer für die betreffende Dienst- Grenzboten II 1893 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/322>, abgerufen am 26.08.2024.