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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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weniger, daß sie angeklagt war, die Bombe, womit die junge Frau ihres Ver¬
führers getötet wurde, selbst in der Dunkelheit in die Veranda hingelegt zu
haben. Das Geld des verwitweten, aber vor weitern Enthüllungen besorgten
Verführers mußte das weitere Verfahren niederschlagen, und da bei dem Mil¬
lionär die Dollars unerschöpflich sind, hat eine religiöse Genossenschaft die
verfolgte Unschuld einstweilen in ihren Schutz genommen und nimmt dazu
aus lauter christlicher Milde, wie man munkelt, von Zeit zu Zeit auch noch
weitere Schweigegelder bereitwilligst an.

Ist das Brauch bei den jungen Amerikanerinnen, daß sie sich, wenn sie
verführt worden find, mit Dynnmitbomben rächen? fragte ich, als wir durch
die mit allen Vervollkommnungen des modernsten Komforts ausgestatteten
Krankensäle schritten, wobei uns Schwester Magdalena im Frauensaal voranging.

Ich wüßte keine andre Frau, die das so geschickt und prompt besorgte,
wie die Amerikanerin, erwiderte er.

Während wir die Hospitaleinrichtungen in Küche und Waschraum, Ope-
rations- und Sektionszimmer in Augenschein nahmen, die sich den Einrich¬
tungen in jedem Berliner Hospital an die Seite stellen können, erfuhr ich, daß
dieses Mädchen als amerikanische Lehrerin mit einem deutschen Apotheker sich
zu verheiraten im Begriff gewesen war, den sie hier im deutschen Hospital
hatte kennen lernen, und der, nachdem er durch Geschäftsunglück sein Vermögen
verloren hatte, im Sonnenschein dieser jungen Liebe wieder frisch von vorn
anzufangen den Mut hatte. Da wurde sie auf ein Jahr von einer reichen
Familie als Erzieherin gewünscht. Sie nahm das an, um ihren eignen Haus¬
stand nicht ganz mittellos zu beginnen. Da verliebte sich der schon mit einer
Millionärserbin versprochne Sohn des Hauses in sie. Als sie sich betrogen
sah und er sich verheiratete, geschah das Dynamitatteutat. Es folgte dann
ein langer Prozeß, der schließlich gütlich beigelegt wurde, da nichts bewiesen
werden konnte.

Und der Apotheker?

War dem Wahnsinn nahe, der arme Kerl. Er hatte hier im Hospital
einen so hübschen Anfang gemacht. Nun hat er sich draußen irgendwo in die
Einsamkeit zurückgezogen, zwischen Felsen und Klüfte, wo er Kräuter sammelt,
Schlangen ausstopft und eine heiße Quelle entdeckt hat, die er behütet. Er
will nichts mehr von der Welt sehen, aber er liebt das Mädchen noch, und
ich glaube fast, sie ihn auch.

Als wir wieder in das Arztzimmer traten, fand I)r. Brand dort eine
Sendung des Kräutersammlers vor. Dieser hatte sie, während wir oben waren,
abgeliefert.

Der Ärmste! sagte lächelnd Dr. Brand, es treibt ihn noch immer hierher,
nur um einen Blick zu erHaschen, trotz allem, was vorgekommen ist! Ich
fürchte, das nimmt für beide Teile kein gutes Ende.


weniger, daß sie angeklagt war, die Bombe, womit die junge Frau ihres Ver¬
führers getötet wurde, selbst in der Dunkelheit in die Veranda hingelegt zu
haben. Das Geld des verwitweten, aber vor weitern Enthüllungen besorgten
Verführers mußte das weitere Verfahren niederschlagen, und da bei dem Mil¬
lionär die Dollars unerschöpflich sind, hat eine religiöse Genossenschaft die
verfolgte Unschuld einstweilen in ihren Schutz genommen und nimmt dazu
aus lauter christlicher Milde, wie man munkelt, von Zeit zu Zeit auch noch
weitere Schweigegelder bereitwilligst an.

Ist das Brauch bei den jungen Amerikanerinnen, daß sie sich, wenn sie
verführt worden find, mit Dynnmitbomben rächen? fragte ich, als wir durch
die mit allen Vervollkommnungen des modernsten Komforts ausgestatteten
Krankensäle schritten, wobei uns Schwester Magdalena im Frauensaal voranging.

Ich wüßte keine andre Frau, die das so geschickt und prompt besorgte,
wie die Amerikanerin, erwiderte er.

Während wir die Hospitaleinrichtungen in Küche und Waschraum, Ope-
rations- und Sektionszimmer in Augenschein nahmen, die sich den Einrich¬
tungen in jedem Berliner Hospital an die Seite stellen können, erfuhr ich, daß
dieses Mädchen als amerikanische Lehrerin mit einem deutschen Apotheker sich
zu verheiraten im Begriff gewesen war, den sie hier im deutschen Hospital
hatte kennen lernen, und der, nachdem er durch Geschäftsunglück sein Vermögen
verloren hatte, im Sonnenschein dieser jungen Liebe wieder frisch von vorn
anzufangen den Mut hatte. Da wurde sie auf ein Jahr von einer reichen
Familie als Erzieherin gewünscht. Sie nahm das an, um ihren eignen Haus¬
stand nicht ganz mittellos zu beginnen. Da verliebte sich der schon mit einer
Millionärserbin versprochne Sohn des Hauses in sie. Als sie sich betrogen
sah und er sich verheiratete, geschah das Dynamitatteutat. Es folgte dann
ein langer Prozeß, der schließlich gütlich beigelegt wurde, da nichts bewiesen
werden konnte.

Und der Apotheker?

War dem Wahnsinn nahe, der arme Kerl. Er hatte hier im Hospital
einen so hübschen Anfang gemacht. Nun hat er sich draußen irgendwo in die
Einsamkeit zurückgezogen, zwischen Felsen und Klüfte, wo er Kräuter sammelt,
Schlangen ausstopft und eine heiße Quelle entdeckt hat, die er behütet. Er
will nichts mehr von der Welt sehen, aber er liebt das Mädchen noch, und
ich glaube fast, sie ihn auch.

Als wir wieder in das Arztzimmer traten, fand I)r. Brand dort eine
Sendung des Kräutersammlers vor. Dieser hatte sie, während wir oben waren,
abgeliefert.

Der Ärmste! sagte lächelnd Dr. Brand, es treibt ihn noch immer hierher,
nur um einen Blick zu erHaschen, trotz allem, was vorgekommen ist! Ich
fürchte, das nimmt für beide Teile kein gutes Ende.


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[0321] weniger, daß sie angeklagt war, die Bombe, womit die junge Frau ihres Ver¬ führers getötet wurde, selbst in der Dunkelheit in die Veranda hingelegt zu haben. Das Geld des verwitweten, aber vor weitern Enthüllungen besorgten Verführers mußte das weitere Verfahren niederschlagen, und da bei dem Mil¬ lionär die Dollars unerschöpflich sind, hat eine religiöse Genossenschaft die verfolgte Unschuld einstweilen in ihren Schutz genommen und nimmt dazu aus lauter christlicher Milde, wie man munkelt, von Zeit zu Zeit auch noch weitere Schweigegelder bereitwilligst an. Ist das Brauch bei den jungen Amerikanerinnen, daß sie sich, wenn sie verführt worden find, mit Dynnmitbomben rächen? fragte ich, als wir durch die mit allen Vervollkommnungen des modernsten Komforts ausgestatteten Krankensäle schritten, wobei uns Schwester Magdalena im Frauensaal voranging. Ich wüßte keine andre Frau, die das so geschickt und prompt besorgte, wie die Amerikanerin, erwiderte er. Während wir die Hospitaleinrichtungen in Küche und Waschraum, Ope- rations- und Sektionszimmer in Augenschein nahmen, die sich den Einrich¬ tungen in jedem Berliner Hospital an die Seite stellen können, erfuhr ich, daß dieses Mädchen als amerikanische Lehrerin mit einem deutschen Apotheker sich zu verheiraten im Begriff gewesen war, den sie hier im deutschen Hospital hatte kennen lernen, und der, nachdem er durch Geschäftsunglück sein Vermögen verloren hatte, im Sonnenschein dieser jungen Liebe wieder frisch von vorn anzufangen den Mut hatte. Da wurde sie auf ein Jahr von einer reichen Familie als Erzieherin gewünscht. Sie nahm das an, um ihren eignen Haus¬ stand nicht ganz mittellos zu beginnen. Da verliebte sich der schon mit einer Millionärserbin versprochne Sohn des Hauses in sie. Als sie sich betrogen sah und er sich verheiratete, geschah das Dynamitatteutat. Es folgte dann ein langer Prozeß, der schließlich gütlich beigelegt wurde, da nichts bewiesen werden konnte. Und der Apotheker? War dem Wahnsinn nahe, der arme Kerl. Er hatte hier im Hospital einen so hübschen Anfang gemacht. Nun hat er sich draußen irgendwo in die Einsamkeit zurückgezogen, zwischen Felsen und Klüfte, wo er Kräuter sammelt, Schlangen ausstopft und eine heiße Quelle entdeckt hat, die er behütet. Er will nichts mehr von der Welt sehen, aber er liebt das Mädchen noch, und ich glaube fast, sie ihn auch. Als wir wieder in das Arztzimmer traten, fand I)r. Brand dort eine Sendung des Kräutersammlers vor. Dieser hatte sie, während wir oben waren, abgeliefert. Der Ärmste! sagte lächelnd Dr. Brand, es treibt ihn noch immer hierher, nur um einen Blick zu erHaschen, trotz allem, was vorgekommen ist! Ich fürchte, das nimmt für beide Teile kein gutes Ende.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/321>, abgerufen am 26.08.2024.