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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

bitten, wo dann jedem, der sein Scherflein für die Zwecke der betreffenden
Sekte erlegt, sofort Sitz und Stimme angeboten wird -- natürlich unter der
Voraussetzung, daß er demnächst seinen Beitritt erklären werde. Die blassen
geistlichen Herren veranstalten alle möglichen Feste, Erdbeerfeste, Limonaden-
Picknicks, (Ärnp-NöstiuM u. s. w. Wer kommt, steht unter ihrer Protektion
und wird den betreffenden Kreisen sofort aufs wärmste empfohlen, ähnlich wie
bei den zahlreichen geheimen Orden. nur mit dem Unterschiede, daß diese statt
der kirchlichen weltliche Formeln und Ausdrücke gebrauchen.

Die Temperenzlerei, die nichts weiter ist als eine verkappte politische
Wühlerei gegen das immer mehr überwiegende deutsche Arbeitertum (keine
deutsche Arbeit ohne Bier!), das Wasferaposteltum, hat Hand in Hand mit
dem Bostoner Missionswesen so um sich gegriffen und eine solche Macht ge¬
wonnen, daß mit Hilfe der von den Bostoner Blaustrümpfen gesammelten
Fonds ein wohlgeleitetes Heer über die sämtlichen zweiundvierzig Staaten ver¬
teilt ist, das zusammen mit den Methodisten und der Heilsarmee dahin arbeitet,
alles gesellschaftliche Leben, wo es sich auch entwickelt, zu kontrolliren, kurz
einen Einfluß ähnlich dem römischen anstrebt.

Wer es nun als junger Arzt über sich gewinnen kann, sich unter der
Maske des schwarzen Temperenzjüngers Eingang zu verschaffen, wer die damit
verbundne Heuchelei nicht scheut, der ist bald überall Hahn im Korbe. Solche
Leute werden daun bald Kirchenvorstände, trösten Witwen und Waisen und
helfen dem Pastor in seiner Gemeinde sein Ansehen befestigen, und dafür be¬
kommen sie Kundschaft. Solch ein Arzt lacht dann die Kollegen aus, die auf
ihrem OWos vor langer Weile Grillen fangen.

Während mir das der Kollege schilderte, war ein Herr mit hohem Cylinder,
den man etwa für einen Weinreisenden halten konnte, ein paarmal an der
halb geöffneten Thür vorbeigegangen, nachdem er im Nebenzimmer beim Ohren-
spezialisten eine kurze, laute, erregte Unterhaltung gehabt haben mußte, denn
er wischte sich mehrmals den Schweiß von der Stirn und pustete vor sich
hin: Keine Geschäftsmanier! M dusine^!

Wenn man nur den Teufel an die Wand malt, fo ist er auch schon da,
sagte Dr. Brand. Eben wollte ich Ihnen den Agenten schildern, wie er uns
hier überläuft mit seinen Geschäftsvermittlungeu und seinen Bitten um Auf¬
träge, da sehe ich ihn schon in höchsteigner Person. Er wird gleich erscheinen.
Ur. LIg.rK, <Zv zun og-ut, ins?

Auf diese in verbindlichem Ton zur Thür hinaus gesprochnen Worte entlud
sich ein Ungewitter von einem Geschäftsanpreisungswortschwall, der seines
gleichen suchte.

, Mit der heitersten Miene kam der Unhold zur Thür herein, stellte seinen
Cylinderhut auf den Tisch und machte sichs in dem Schaukelstuhl so bequem,
daß ich jeden Augenblick erwartete, er würde auch noch seinen Rock ausziehen.


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bitten, wo dann jedem, der sein Scherflein für die Zwecke der betreffenden
Sekte erlegt, sofort Sitz und Stimme angeboten wird — natürlich unter der
Voraussetzung, daß er demnächst seinen Beitritt erklären werde. Die blassen
geistlichen Herren veranstalten alle möglichen Feste, Erdbeerfeste, Limonaden-
Picknicks, (Ärnp-NöstiuM u. s. w. Wer kommt, steht unter ihrer Protektion
und wird den betreffenden Kreisen sofort aufs wärmste empfohlen, ähnlich wie
bei den zahlreichen geheimen Orden. nur mit dem Unterschiede, daß diese statt
der kirchlichen weltliche Formeln und Ausdrücke gebrauchen.

Die Temperenzlerei, die nichts weiter ist als eine verkappte politische
Wühlerei gegen das immer mehr überwiegende deutsche Arbeitertum (keine
deutsche Arbeit ohne Bier!), das Wasferaposteltum, hat Hand in Hand mit
dem Bostoner Missionswesen so um sich gegriffen und eine solche Macht ge¬
wonnen, daß mit Hilfe der von den Bostoner Blaustrümpfen gesammelten
Fonds ein wohlgeleitetes Heer über die sämtlichen zweiundvierzig Staaten ver¬
teilt ist, das zusammen mit den Methodisten und der Heilsarmee dahin arbeitet,
alles gesellschaftliche Leben, wo es sich auch entwickelt, zu kontrolliren, kurz
einen Einfluß ähnlich dem römischen anstrebt.

Wer es nun als junger Arzt über sich gewinnen kann, sich unter der
Maske des schwarzen Temperenzjüngers Eingang zu verschaffen, wer die damit
verbundne Heuchelei nicht scheut, der ist bald überall Hahn im Korbe. Solche
Leute werden daun bald Kirchenvorstände, trösten Witwen und Waisen und
helfen dem Pastor in seiner Gemeinde sein Ansehen befestigen, und dafür be¬
kommen sie Kundschaft. Solch ein Arzt lacht dann die Kollegen aus, die auf
ihrem OWos vor langer Weile Grillen fangen.

Während mir das der Kollege schilderte, war ein Herr mit hohem Cylinder,
den man etwa für einen Weinreisenden halten konnte, ein paarmal an der
halb geöffneten Thür vorbeigegangen, nachdem er im Nebenzimmer beim Ohren-
spezialisten eine kurze, laute, erregte Unterhaltung gehabt haben mußte, denn
er wischte sich mehrmals den Schweiß von der Stirn und pustete vor sich
hin: Keine Geschäftsmanier! M dusine^!

Wenn man nur den Teufel an die Wand malt, fo ist er auch schon da,
sagte Dr. Brand. Eben wollte ich Ihnen den Agenten schildern, wie er uns
hier überläuft mit seinen Geschäftsvermittlungeu und seinen Bitten um Auf¬
träge, da sehe ich ihn schon in höchsteigner Person. Er wird gleich erscheinen.
Ur. LIg.rK, <Zv zun og-ut, ins?

Auf diese in verbindlichem Ton zur Thür hinaus gesprochnen Worte entlud
sich ein Ungewitter von einem Geschäftsanpreisungswortschwall, der seines
gleichen suchte.

, Mit der heitersten Miene kam der Unhold zur Thür herein, stellte seinen
Cylinderhut auf den Tisch und machte sichs in dem Schaukelstuhl so bequem,
daß ich jeden Augenblick erwartete, er würde auch noch seinen Rock ausziehen.


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[0316] Bilder aus dem Westen bitten, wo dann jedem, der sein Scherflein für die Zwecke der betreffenden Sekte erlegt, sofort Sitz und Stimme angeboten wird — natürlich unter der Voraussetzung, daß er demnächst seinen Beitritt erklären werde. Die blassen geistlichen Herren veranstalten alle möglichen Feste, Erdbeerfeste, Limonaden- Picknicks, (Ärnp-NöstiuM u. s. w. Wer kommt, steht unter ihrer Protektion und wird den betreffenden Kreisen sofort aufs wärmste empfohlen, ähnlich wie bei den zahlreichen geheimen Orden. nur mit dem Unterschiede, daß diese statt der kirchlichen weltliche Formeln und Ausdrücke gebrauchen. Die Temperenzlerei, die nichts weiter ist als eine verkappte politische Wühlerei gegen das immer mehr überwiegende deutsche Arbeitertum (keine deutsche Arbeit ohne Bier!), das Wasferaposteltum, hat Hand in Hand mit dem Bostoner Missionswesen so um sich gegriffen und eine solche Macht ge¬ wonnen, daß mit Hilfe der von den Bostoner Blaustrümpfen gesammelten Fonds ein wohlgeleitetes Heer über die sämtlichen zweiundvierzig Staaten ver¬ teilt ist, das zusammen mit den Methodisten und der Heilsarmee dahin arbeitet, alles gesellschaftliche Leben, wo es sich auch entwickelt, zu kontrolliren, kurz einen Einfluß ähnlich dem römischen anstrebt. Wer es nun als junger Arzt über sich gewinnen kann, sich unter der Maske des schwarzen Temperenzjüngers Eingang zu verschaffen, wer die damit verbundne Heuchelei nicht scheut, der ist bald überall Hahn im Korbe. Solche Leute werden daun bald Kirchenvorstände, trösten Witwen und Waisen und helfen dem Pastor in seiner Gemeinde sein Ansehen befestigen, und dafür be¬ kommen sie Kundschaft. Solch ein Arzt lacht dann die Kollegen aus, die auf ihrem OWos vor langer Weile Grillen fangen. Während mir das der Kollege schilderte, war ein Herr mit hohem Cylinder, den man etwa für einen Weinreisenden halten konnte, ein paarmal an der halb geöffneten Thür vorbeigegangen, nachdem er im Nebenzimmer beim Ohren- spezialisten eine kurze, laute, erregte Unterhaltung gehabt haben mußte, denn er wischte sich mehrmals den Schweiß von der Stirn und pustete vor sich hin: Keine Geschäftsmanier! M dusine^! Wenn man nur den Teufel an die Wand malt, fo ist er auch schon da, sagte Dr. Brand. Eben wollte ich Ihnen den Agenten schildern, wie er uns hier überläuft mit seinen Geschäftsvermittlungeu und seinen Bitten um Auf¬ träge, da sehe ich ihn schon in höchsteigner Person. Er wird gleich erscheinen. Ur. LIg.rK, <Zv zun og-ut, ins? Auf diese in verbindlichem Ton zur Thür hinaus gesprochnen Worte entlud sich ein Ungewitter von einem Geschäftsanpreisungswortschwall, der seines gleichen suchte. , Mit der heitersten Miene kam der Unhold zur Thür herein, stellte seinen Cylinderhut auf den Tisch und machte sichs in dem Schaukelstuhl so bequem, daß ich jeden Augenblick erwartete, er würde auch noch seinen Rock ausziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/316>, abgerufen am 23.07.2024.