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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Er erzählte mir nun die Leidensgeschichte seiner ersten Praxisjahre in
Kansas City. Während der Erzählung wurde er mehrfach unterbrochen durch
Leute, die, ohne anzuklopfen, eintraten und nach verschiednen Ärzten, Elek¬
trikern, Homöopathen und Nina-Lurs-Voewrs*) fragten. Er ließ sich durch
alles das nicht ein einziges mal aus feiner Gemütsruhe bringen, fondern wies
jeden einzelnen mit der weltmännischen Liebenswürdigkeit, die ihm zur zweiten
Natur geworden zu fein schien, zu Dr. U, Z, hinauf in den vierten,
fünften, sechsten Stock, wo der betreffende Charlatan sein OKos hatte.

Dr. Brand war der angesehenste von den vier in der Stadt praktizirenden
deutschen Ärzten. Bei der Niederlassung hatte er nur sein Doktorschild zu be¬
festigen brauchen, keine Behörde behelligte ihn, nicht einmal mit Steuerzahler
wurde er belästigt. Er hatte ausgezeichnete Zeugnisse, und sein Name hatte
einen gewissen Klang in der wissenschaftlichen Welt, aber darnach fragte
weder das Publikum noch die Kollegen, denen er sich bei feiner Niederlassung
vorgestellt hatte.

Als kurz nach seiner Ankunft eine Stelle im deutschen Krankenhause frei
wurde, glaubte er sicher, als deutscher Arzt von gutem Ruf von seinen Lands¬
leuten berücksichtigt zu werden und auf diese Weise in der Praxis Fuß fassen
zu können, denn bis dahin hatte sich noch kein Mensch bei ihm sehen lassen.
Aber nach den Statuten wurde ihm ein junger Amerikaner vorgezogen, weil
dieser schon zwei Jahre Mitglied des ärztlichen Vereins war.

Wovon sollte er sich nun aber die ersten beiden Jahre mit Frau und Kind
ernähren? Wie machten es denn die andern während der ersten zwei Jahre
Wartezeit?

Auf drei verschiedne Weisen konnte das bewerkstelligt werden. Dazu war
aber nötig, daß man nicht nnr seinen äußern, sondern auch seinen innern
Menschen preisgab. Das thut selbst der Kaufmann für ein gewinnbringendes
Geschäft nicht gern, geschweige denn der Gelehrte.

Die drei Wege zum Glück aber heißen: Politik, Kirche und Reklame¬
schwindel.

Wer einflußreiche Vettern hat, läßt sich durch deren Politik in eine der
öffentlichen Polizeiarztstellen hineinbringen. Wer keine hat, versucht es mit
dem Sekten- und Temperenzlerwesen, das alle amerikanischen Verhältnisse so
beherrscht, daß durch seine Pforten überall Eingang zu finden ist.

Man kann in Amerika kaum über eine größere Verkehrsstraße einer mitt¬
lern oder größern Stadt gehen, ohne daß man geschäftig hin- und hereilender
schwarzgekleideten, zugeknöpften Herren begegnete, die eben dabei sind, als
vslisrs (Festordner) das Publikum zu einer Missionsversammlung, einem
Kirchcnpicknick oder einem Lpollwss-Natoli (Buchstabierfest) in ein Lokal zu



Eigentlich Geistes-Kur-Arzt; gemeint sind Leute, die besprechen, hypnotisiren u. s. w.
Bilder aus dem Westen

Er erzählte mir nun die Leidensgeschichte seiner ersten Praxisjahre in
Kansas City. Während der Erzählung wurde er mehrfach unterbrochen durch
Leute, die, ohne anzuklopfen, eintraten und nach verschiednen Ärzten, Elek¬
trikern, Homöopathen und Nina-Lurs-Voewrs*) fragten. Er ließ sich durch
alles das nicht ein einziges mal aus feiner Gemütsruhe bringen, fondern wies
jeden einzelnen mit der weltmännischen Liebenswürdigkeit, die ihm zur zweiten
Natur geworden zu fein schien, zu Dr. U, Z, hinauf in den vierten,
fünften, sechsten Stock, wo der betreffende Charlatan sein OKos hatte.

Dr. Brand war der angesehenste von den vier in der Stadt praktizirenden
deutschen Ärzten. Bei der Niederlassung hatte er nur sein Doktorschild zu be¬
festigen brauchen, keine Behörde behelligte ihn, nicht einmal mit Steuerzahler
wurde er belästigt. Er hatte ausgezeichnete Zeugnisse, und sein Name hatte
einen gewissen Klang in der wissenschaftlichen Welt, aber darnach fragte
weder das Publikum noch die Kollegen, denen er sich bei feiner Niederlassung
vorgestellt hatte.

Als kurz nach seiner Ankunft eine Stelle im deutschen Krankenhause frei
wurde, glaubte er sicher, als deutscher Arzt von gutem Ruf von seinen Lands¬
leuten berücksichtigt zu werden und auf diese Weise in der Praxis Fuß fassen
zu können, denn bis dahin hatte sich noch kein Mensch bei ihm sehen lassen.
Aber nach den Statuten wurde ihm ein junger Amerikaner vorgezogen, weil
dieser schon zwei Jahre Mitglied des ärztlichen Vereins war.

Wovon sollte er sich nun aber die ersten beiden Jahre mit Frau und Kind
ernähren? Wie machten es denn die andern während der ersten zwei Jahre
Wartezeit?

Auf drei verschiedne Weisen konnte das bewerkstelligt werden. Dazu war
aber nötig, daß man nicht nnr seinen äußern, sondern auch seinen innern
Menschen preisgab. Das thut selbst der Kaufmann für ein gewinnbringendes
Geschäft nicht gern, geschweige denn der Gelehrte.

Die drei Wege zum Glück aber heißen: Politik, Kirche und Reklame¬
schwindel.

Wer einflußreiche Vettern hat, läßt sich durch deren Politik in eine der
öffentlichen Polizeiarztstellen hineinbringen. Wer keine hat, versucht es mit
dem Sekten- und Temperenzlerwesen, das alle amerikanischen Verhältnisse so
beherrscht, daß durch seine Pforten überall Eingang zu finden ist.

Man kann in Amerika kaum über eine größere Verkehrsstraße einer mitt¬
lern oder größern Stadt gehen, ohne daß man geschäftig hin- und hereilender
schwarzgekleideten, zugeknöpften Herren begegnete, die eben dabei sind, als
vslisrs (Festordner) das Publikum zu einer Missionsversammlung, einem
Kirchcnpicknick oder einem Lpollwss-Natoli (Buchstabierfest) in ein Lokal zu



Eigentlich Geistes-Kur-Arzt; gemeint sind Leute, die besprechen, hypnotisiren u. s. w.
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[0315] Bilder aus dem Westen Er erzählte mir nun die Leidensgeschichte seiner ersten Praxisjahre in Kansas City. Während der Erzählung wurde er mehrfach unterbrochen durch Leute, die, ohne anzuklopfen, eintraten und nach verschiednen Ärzten, Elek¬ trikern, Homöopathen und Nina-Lurs-Voewrs*) fragten. Er ließ sich durch alles das nicht ein einziges mal aus feiner Gemütsruhe bringen, fondern wies jeden einzelnen mit der weltmännischen Liebenswürdigkeit, die ihm zur zweiten Natur geworden zu fein schien, zu Dr. U, Z, hinauf in den vierten, fünften, sechsten Stock, wo der betreffende Charlatan sein OKos hatte. Dr. Brand war der angesehenste von den vier in der Stadt praktizirenden deutschen Ärzten. Bei der Niederlassung hatte er nur sein Doktorschild zu be¬ festigen brauchen, keine Behörde behelligte ihn, nicht einmal mit Steuerzahler wurde er belästigt. Er hatte ausgezeichnete Zeugnisse, und sein Name hatte einen gewissen Klang in der wissenschaftlichen Welt, aber darnach fragte weder das Publikum noch die Kollegen, denen er sich bei feiner Niederlassung vorgestellt hatte. Als kurz nach seiner Ankunft eine Stelle im deutschen Krankenhause frei wurde, glaubte er sicher, als deutscher Arzt von gutem Ruf von seinen Lands¬ leuten berücksichtigt zu werden und auf diese Weise in der Praxis Fuß fassen zu können, denn bis dahin hatte sich noch kein Mensch bei ihm sehen lassen. Aber nach den Statuten wurde ihm ein junger Amerikaner vorgezogen, weil dieser schon zwei Jahre Mitglied des ärztlichen Vereins war. Wovon sollte er sich nun aber die ersten beiden Jahre mit Frau und Kind ernähren? Wie machten es denn die andern während der ersten zwei Jahre Wartezeit? Auf drei verschiedne Weisen konnte das bewerkstelligt werden. Dazu war aber nötig, daß man nicht nnr seinen äußern, sondern auch seinen innern Menschen preisgab. Das thut selbst der Kaufmann für ein gewinnbringendes Geschäft nicht gern, geschweige denn der Gelehrte. Die drei Wege zum Glück aber heißen: Politik, Kirche und Reklame¬ schwindel. Wer einflußreiche Vettern hat, läßt sich durch deren Politik in eine der öffentlichen Polizeiarztstellen hineinbringen. Wer keine hat, versucht es mit dem Sekten- und Temperenzlerwesen, das alle amerikanischen Verhältnisse so beherrscht, daß durch seine Pforten überall Eingang zu finden ist. Man kann in Amerika kaum über eine größere Verkehrsstraße einer mitt¬ lern oder größern Stadt gehen, ohne daß man geschäftig hin- und hereilender schwarzgekleideten, zugeknöpften Herren begegnete, die eben dabei sind, als vslisrs (Festordner) das Publikum zu einer Missionsversammlung, einem Kirchcnpicknick oder einem Lpollwss-Natoli (Buchstabierfest) in ein Lokal zu Eigentlich Geistes-Kur-Arzt; gemeint sind Leute, die besprechen, hypnotisiren u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/315>, abgerufen am 23.07.2024.