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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

Weise mit solchen Kolonisten besetzt worden. ... Eine badische Regierungstom-
mission, die kürzlich die posischen Ansiedlungen bereist und ihr Augenmerk
namentlich nuf die Lage der süd- und westdeutschen Kolonisten gerichtet hat,
ist voll des Lobes über das gesehene. Sie hat den Eindruck gewonnen, "daß
die Organisation des Anstedlungswesens und die Durchführung des Ansiedlnugs-
geschäfts bis in alle Einzelheiten mustergiltig ausgebildet ist und ebensowohl
von praktischem wie von sozialem Verständnis beredtes Zeugnis ablegt,"...
Jenem glänzenden Bilde fehlt aber nicht ein düstrer Hintergrund. Das sind
die mit ärmern, ganz vorwiegend aus dem Osten stammenden Ansiedlern be¬
setzten Stellen und Kolonien.... Hier erweisen sich die kostspieligen Geschäfts¬
anlagen als ein großer ökonomischer Fehler.... Selbst in den besten Kolonien,
wo andre vortrefflich Prosperiren, befindet sich jene Klasse von ostdeutschen
Ansiedlern meist in der angedeuteten traurigen Lage: zu wenig Kapital, zu
teure Gebäude, oft zu viel Land, zu viel Maschinerie, die Ersparnisse ver¬
schwunden, die Schulden hoch."

Die gedeihenden Kolonien, die glücklicherweise die Mehrzahl ausmachen,
wirken schon dadurch außerordentlich wohlthätig auf die Nationalproduktion
ein, daß sie auf gleicher Fläche weit mehr Vieh halten und erzeugen als Ritter¬
güter. Was den Umfang des Werkes anlangt, so hatte die Ansiedlungskom-
mission bis zum 31. Dezember 1891 für 36 070 828,17 Mark 100 Ritter¬
güter und 32 Bauernwirtschaften mit 58 530,72 Hektaren angekauft. Die Plan¬
arbeiten waren bis dahin für 57 Güter vollendet. Davon sind ausgelegt
worden 1338 kleinere Stellen zu durchschnittlich 15 Hektaren und 54 Restgüter
zu durchschnittlich 84 Hektaren. Reservirt wurden zur vorläufigen Verpachtung
und für spätern Zuzug 1644 Hektar; für öffentliche Zwecke (Gemeinde, Kirche,
Schule) wurden 1497, für den Fvrstfistus 1151 Hektar bestimmt; 698 Hektar
sind Seen und ungelenke Torfbrüche.

Bekanntlich haben die Polen der deutsche" Ansiedlungskommission ähn¬
liche Unternehmungen entgegengestellt, die freilich bei ihren beschränkten Mitteln
nur kümmerliche Erfolge hatten. Sie begannen 1888 mit der Gründung eines
"Ackerbau- und Kreditvereins, E. G.," der das Rittergut Pinschin parzellirte.
Die Genossenschaft steht unter der Leitung eines katholischen Geistlichen, der
unter genossenschaftlichen Formen das absolute Regiment führt. Gering hat
die Kolonie besucht und urteilt darüber, vom nationalpolitischen Standpunkte
aus könne sie für gelungen angesehen werden, in sozialer und wirtschaftlicher
Hinsicht sei sie gänzlich verunglückt; man habe ein Proletarierdorf geschaffen.

Dann wurde die Aktiengesellschaft "Bank Ziemski" (Vodeubany mit einem
Kapital von 1200 000 Mark gegründet; diese verschafft nun zweien im Jahre
1890 zu Posen und Thorn eingerichteten Landkaufgenvsfenschaften die erforder¬
lichen Geldmittel, und es sind bis jetzt 8677 Hektar umgetauft und 350 bis
400 neue Ansiedlungen gegründet worden, denen jedoch Gering ein ähnlich


Innere Kolonisation

Weise mit solchen Kolonisten besetzt worden. ... Eine badische Regierungstom-
mission, die kürzlich die posischen Ansiedlungen bereist und ihr Augenmerk
namentlich nuf die Lage der süd- und westdeutschen Kolonisten gerichtet hat,
ist voll des Lobes über das gesehene. Sie hat den Eindruck gewonnen, »daß
die Organisation des Anstedlungswesens und die Durchführung des Ansiedlnugs-
geschäfts bis in alle Einzelheiten mustergiltig ausgebildet ist und ebensowohl
von praktischem wie von sozialem Verständnis beredtes Zeugnis ablegt,«...
Jenem glänzenden Bilde fehlt aber nicht ein düstrer Hintergrund. Das sind
die mit ärmern, ganz vorwiegend aus dem Osten stammenden Ansiedlern be¬
setzten Stellen und Kolonien.... Hier erweisen sich die kostspieligen Geschäfts¬
anlagen als ein großer ökonomischer Fehler.... Selbst in den besten Kolonien,
wo andre vortrefflich Prosperiren, befindet sich jene Klasse von ostdeutschen
Ansiedlern meist in der angedeuteten traurigen Lage: zu wenig Kapital, zu
teure Gebäude, oft zu viel Land, zu viel Maschinerie, die Ersparnisse ver¬
schwunden, die Schulden hoch."

Die gedeihenden Kolonien, die glücklicherweise die Mehrzahl ausmachen,
wirken schon dadurch außerordentlich wohlthätig auf die Nationalproduktion
ein, daß sie auf gleicher Fläche weit mehr Vieh halten und erzeugen als Ritter¬
güter. Was den Umfang des Werkes anlangt, so hatte die Ansiedlungskom-
mission bis zum 31. Dezember 1891 für 36 070 828,17 Mark 100 Ritter¬
güter und 32 Bauernwirtschaften mit 58 530,72 Hektaren angekauft. Die Plan¬
arbeiten waren bis dahin für 57 Güter vollendet. Davon sind ausgelegt
worden 1338 kleinere Stellen zu durchschnittlich 15 Hektaren und 54 Restgüter
zu durchschnittlich 84 Hektaren. Reservirt wurden zur vorläufigen Verpachtung
und für spätern Zuzug 1644 Hektar; für öffentliche Zwecke (Gemeinde, Kirche,
Schule) wurden 1497, für den Fvrstfistus 1151 Hektar bestimmt; 698 Hektar
sind Seen und ungelenke Torfbrüche.

Bekanntlich haben die Polen der deutsche» Ansiedlungskommission ähn¬
liche Unternehmungen entgegengestellt, die freilich bei ihren beschränkten Mitteln
nur kümmerliche Erfolge hatten. Sie begannen 1888 mit der Gründung eines
„Ackerbau- und Kreditvereins, E. G.," der das Rittergut Pinschin parzellirte.
Die Genossenschaft steht unter der Leitung eines katholischen Geistlichen, der
unter genossenschaftlichen Formen das absolute Regiment führt. Gering hat
die Kolonie besucht und urteilt darüber, vom nationalpolitischen Standpunkte
aus könne sie für gelungen angesehen werden, in sozialer und wirtschaftlicher
Hinsicht sei sie gänzlich verunglückt; man habe ein Proletarierdorf geschaffen.

Dann wurde die Aktiengesellschaft „Bank Ziemski" (Vodeubany mit einem
Kapital von 1200 000 Mark gegründet; diese verschafft nun zweien im Jahre
1890 zu Posen und Thorn eingerichteten Landkaufgenvsfenschaften die erforder¬
lichen Geldmittel, und es sind bis jetzt 8677 Hektar umgetauft und 350 bis
400 neue Ansiedlungen gegründet worden, denen jedoch Gering ein ähnlich


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[0310] Innere Kolonisation Weise mit solchen Kolonisten besetzt worden. ... Eine badische Regierungstom- mission, die kürzlich die posischen Ansiedlungen bereist und ihr Augenmerk namentlich nuf die Lage der süd- und westdeutschen Kolonisten gerichtet hat, ist voll des Lobes über das gesehene. Sie hat den Eindruck gewonnen, »daß die Organisation des Anstedlungswesens und die Durchführung des Ansiedlnugs- geschäfts bis in alle Einzelheiten mustergiltig ausgebildet ist und ebensowohl von praktischem wie von sozialem Verständnis beredtes Zeugnis ablegt,«... Jenem glänzenden Bilde fehlt aber nicht ein düstrer Hintergrund. Das sind die mit ärmern, ganz vorwiegend aus dem Osten stammenden Ansiedlern be¬ setzten Stellen und Kolonien.... Hier erweisen sich die kostspieligen Geschäfts¬ anlagen als ein großer ökonomischer Fehler.... Selbst in den besten Kolonien, wo andre vortrefflich Prosperiren, befindet sich jene Klasse von ostdeutschen Ansiedlern meist in der angedeuteten traurigen Lage: zu wenig Kapital, zu teure Gebäude, oft zu viel Land, zu viel Maschinerie, die Ersparnisse ver¬ schwunden, die Schulden hoch." Die gedeihenden Kolonien, die glücklicherweise die Mehrzahl ausmachen, wirken schon dadurch außerordentlich wohlthätig auf die Nationalproduktion ein, daß sie auf gleicher Fläche weit mehr Vieh halten und erzeugen als Ritter¬ güter. Was den Umfang des Werkes anlangt, so hatte die Ansiedlungskom- mission bis zum 31. Dezember 1891 für 36 070 828,17 Mark 100 Ritter¬ güter und 32 Bauernwirtschaften mit 58 530,72 Hektaren angekauft. Die Plan¬ arbeiten waren bis dahin für 57 Güter vollendet. Davon sind ausgelegt worden 1338 kleinere Stellen zu durchschnittlich 15 Hektaren und 54 Restgüter zu durchschnittlich 84 Hektaren. Reservirt wurden zur vorläufigen Verpachtung und für spätern Zuzug 1644 Hektar; für öffentliche Zwecke (Gemeinde, Kirche, Schule) wurden 1497, für den Fvrstfistus 1151 Hektar bestimmt; 698 Hektar sind Seen und ungelenke Torfbrüche. Bekanntlich haben die Polen der deutsche» Ansiedlungskommission ähn¬ liche Unternehmungen entgegengestellt, die freilich bei ihren beschränkten Mitteln nur kümmerliche Erfolge hatten. Sie begannen 1888 mit der Gründung eines „Ackerbau- und Kreditvereins, E. G.," der das Rittergut Pinschin parzellirte. Die Genossenschaft steht unter der Leitung eines katholischen Geistlichen, der unter genossenschaftlichen Formen das absolute Regiment führt. Gering hat die Kolonie besucht und urteilt darüber, vom nationalpolitischen Standpunkte aus könne sie für gelungen angesehen werden, in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht sei sie gänzlich verunglückt; man habe ein Proletarierdorf geschaffen. Dann wurde die Aktiengesellschaft „Bank Ziemski" (Vodeubany mit einem Kapital von 1200 000 Mark gegründet; diese verschafft nun zweien im Jahre 1890 zu Posen und Thorn eingerichteten Landkaufgenvsfenschaften die erforder¬ lichen Geldmittel, und es sind bis jetzt 8677 Hektar umgetauft und 350 bis 400 neue Ansiedlungen gegründet worden, denen jedoch Gering ein ähnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/310>, abgerufen am 26.08.2024.