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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

Hätte man -- das sagt nicht Gering -- ruhig gewartet, bis die polnischen
Junker bankerott geworden wären, und hätte man sich, wie jetzt in den andern
Provinzen, daraus beschränkt, für den gelegnen Fall die Hilfe der General¬
kommission und der Reutenbcmk anzubieten, so hätte man spottbilligen Boden
bekommen, und jene Herren wären ans der Weltgeschichte spurlos verschwunden,
während sie jetzt einflußreicher sind als zuvor. Denn wie die übereifriger
und voreiligen deutschen Patrioten aus dein Posischcn beständig klagen, mit
dem schönen Gelde, das ihnen vom Kaufpreis übrig geblieben ist, haben sich
ja die polnischen Junker in die Städte gesetzt und fördern mit ihren bedeutenden
Mitteln deu aufblühenden polnischen Gewerbestand, der dein deutschen erfolg¬
reich Konkurrenz macht.

Abgesehen von diesem Fehler, der auf Rechnung der hohen Politik kommt,
hat die Ansiedlungskommission ihre Aufgabe mit großer Umsicht und Weisheit
gelöst. Was den Erfolg anlangt, so ist nach Gering zu unterscheiden "zwischen
solchen Ansiedlungen, die der äußern, und solchen, die der innern Kolonisation
angehören," d. h. die mit Kolonisten aus Westdeutschland oder mit solchen
aus schon vorhandnen benachbarten Dörfern besetzt worden sind.

"Die ganz überwiegende Mehrzahl gehört der erstern Gruppe an. Die
in einem Akt erfolgende Schöpfung jener Fremdenkolonien setzt Ansiedler von
nicht unbedeutender Kapitalkraft voraus. Im großen und ganzen trifft diese
Annahme mehr für die Ansiedler von >aus?^ West- und Süddeutschland als
für die ostdeutschen Kolonisten zu. Die West- und Süddeutschen haben regel¬
mäßig aus dein Verkauf ihres kleinen, aber wertvollen heimischen Besitzes be¬
trächtliche Mittel erzielt, sie verstehen auch dein Boden durch intensive Kultur
die höchsten Erträge abzugewinnen. Sie sind mit relativ kleinen Stellen, die
immerhin die heimischen meist um das vier- und fünffache übertreffen, zufrieden,
erheben aber um so höhere Anforderungen an deren Beschaffenheit. Ihren
Wünschen entsprechend sind sie meist auf wertvolleren Boden und in guter
Verkehrslage angesiedelt worden."

"Die aus den östlichen Provinzen und namentlich aus Posen^-Westpreußen
selbst heraugezognen Kolonisten sind nicht nur im allgemeinen weniger wohl¬
habend; an eine mehr extensive Wirtschaft gewöhnt, sind sie auch geneigt, von
vornherein mehr Land aufzunehmen, als ihren Betriebsmitteln und Arbeits¬
kräften entspricht. Sie müssen um so mehr arbeitersparende Maschinen be¬
schaffen; oft genug wird ihnen zu viel und gar nicht passende Maschinerie
gegen Abzahlung zu teuern Preisen von Agenten aufgedrängt, deren Beredsam¬
keit ebenso wie in Nordamerika den Kolonisten leicht verderblich wird. Unter
diesen ärmern ostdeutschen Ansiedlern findet man sehr viele, die alle ihre Mittel
in Gebäuden und Maschinen festgelegt haben, hochvcrschuldet und schlechter¬
dings nicht in der Lage sind, ihre Wirtschaften in ertragsfähigen Zustand zu
versetzen. Auch sind gerade die schlechtesten und entlegensten Güter Vorzugs-


Innere Kolonisation

Hätte man — das sagt nicht Gering — ruhig gewartet, bis die polnischen
Junker bankerott geworden wären, und hätte man sich, wie jetzt in den andern
Provinzen, daraus beschränkt, für den gelegnen Fall die Hilfe der General¬
kommission und der Reutenbcmk anzubieten, so hätte man spottbilligen Boden
bekommen, und jene Herren wären ans der Weltgeschichte spurlos verschwunden,
während sie jetzt einflußreicher sind als zuvor. Denn wie die übereifriger
und voreiligen deutschen Patrioten aus dein Posischcn beständig klagen, mit
dem schönen Gelde, das ihnen vom Kaufpreis übrig geblieben ist, haben sich
ja die polnischen Junker in die Städte gesetzt und fördern mit ihren bedeutenden
Mitteln deu aufblühenden polnischen Gewerbestand, der dein deutschen erfolg¬
reich Konkurrenz macht.

Abgesehen von diesem Fehler, der auf Rechnung der hohen Politik kommt,
hat die Ansiedlungskommission ihre Aufgabe mit großer Umsicht und Weisheit
gelöst. Was den Erfolg anlangt, so ist nach Gering zu unterscheiden „zwischen
solchen Ansiedlungen, die der äußern, und solchen, die der innern Kolonisation
angehören," d. h. die mit Kolonisten aus Westdeutschland oder mit solchen
aus schon vorhandnen benachbarten Dörfern besetzt worden sind.

„Die ganz überwiegende Mehrzahl gehört der erstern Gruppe an. Die
in einem Akt erfolgende Schöpfung jener Fremdenkolonien setzt Ansiedler von
nicht unbedeutender Kapitalkraft voraus. Im großen und ganzen trifft diese
Annahme mehr für die Ansiedler von >aus?^ West- und Süddeutschland als
für die ostdeutschen Kolonisten zu. Die West- und Süddeutschen haben regel¬
mäßig aus dein Verkauf ihres kleinen, aber wertvollen heimischen Besitzes be¬
trächtliche Mittel erzielt, sie verstehen auch dein Boden durch intensive Kultur
die höchsten Erträge abzugewinnen. Sie sind mit relativ kleinen Stellen, die
immerhin die heimischen meist um das vier- und fünffache übertreffen, zufrieden,
erheben aber um so höhere Anforderungen an deren Beschaffenheit. Ihren
Wünschen entsprechend sind sie meist auf wertvolleren Boden und in guter
Verkehrslage angesiedelt worden."

„Die aus den östlichen Provinzen und namentlich aus Posen^-Westpreußen
selbst heraugezognen Kolonisten sind nicht nur im allgemeinen weniger wohl¬
habend; an eine mehr extensive Wirtschaft gewöhnt, sind sie auch geneigt, von
vornherein mehr Land aufzunehmen, als ihren Betriebsmitteln und Arbeits¬
kräften entspricht. Sie müssen um so mehr arbeitersparende Maschinen be¬
schaffen; oft genug wird ihnen zu viel und gar nicht passende Maschinerie
gegen Abzahlung zu teuern Preisen von Agenten aufgedrängt, deren Beredsam¬
keit ebenso wie in Nordamerika den Kolonisten leicht verderblich wird. Unter
diesen ärmern ostdeutschen Ansiedlern findet man sehr viele, die alle ihre Mittel
in Gebäuden und Maschinen festgelegt haben, hochvcrschuldet und schlechter¬
dings nicht in der Lage sind, ihre Wirtschaften in ertragsfähigen Zustand zu
versetzen. Auch sind gerade die schlechtesten und entlegensten Güter Vorzugs-


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[0309] Innere Kolonisation Hätte man — das sagt nicht Gering — ruhig gewartet, bis die polnischen Junker bankerott geworden wären, und hätte man sich, wie jetzt in den andern Provinzen, daraus beschränkt, für den gelegnen Fall die Hilfe der General¬ kommission und der Reutenbcmk anzubieten, so hätte man spottbilligen Boden bekommen, und jene Herren wären ans der Weltgeschichte spurlos verschwunden, während sie jetzt einflußreicher sind als zuvor. Denn wie die übereifriger und voreiligen deutschen Patrioten aus dein Posischcn beständig klagen, mit dem schönen Gelde, das ihnen vom Kaufpreis übrig geblieben ist, haben sich ja die polnischen Junker in die Städte gesetzt und fördern mit ihren bedeutenden Mitteln deu aufblühenden polnischen Gewerbestand, der dein deutschen erfolg¬ reich Konkurrenz macht. Abgesehen von diesem Fehler, der auf Rechnung der hohen Politik kommt, hat die Ansiedlungskommission ihre Aufgabe mit großer Umsicht und Weisheit gelöst. Was den Erfolg anlangt, so ist nach Gering zu unterscheiden „zwischen solchen Ansiedlungen, die der äußern, und solchen, die der innern Kolonisation angehören," d. h. die mit Kolonisten aus Westdeutschland oder mit solchen aus schon vorhandnen benachbarten Dörfern besetzt worden sind. „Die ganz überwiegende Mehrzahl gehört der erstern Gruppe an. Die in einem Akt erfolgende Schöpfung jener Fremdenkolonien setzt Ansiedler von nicht unbedeutender Kapitalkraft voraus. Im großen und ganzen trifft diese Annahme mehr für die Ansiedler von >aus?^ West- und Süddeutschland als für die ostdeutschen Kolonisten zu. Die West- und Süddeutschen haben regel¬ mäßig aus dein Verkauf ihres kleinen, aber wertvollen heimischen Besitzes be¬ trächtliche Mittel erzielt, sie verstehen auch dein Boden durch intensive Kultur die höchsten Erträge abzugewinnen. Sie sind mit relativ kleinen Stellen, die immerhin die heimischen meist um das vier- und fünffache übertreffen, zufrieden, erheben aber um so höhere Anforderungen an deren Beschaffenheit. Ihren Wünschen entsprechend sind sie meist auf wertvolleren Boden und in guter Verkehrslage angesiedelt worden." „Die aus den östlichen Provinzen und namentlich aus Posen^-Westpreußen selbst heraugezognen Kolonisten sind nicht nur im allgemeinen weniger wohl¬ habend; an eine mehr extensive Wirtschaft gewöhnt, sind sie auch geneigt, von vornherein mehr Land aufzunehmen, als ihren Betriebsmitteln und Arbeits¬ kräften entspricht. Sie müssen um so mehr arbeitersparende Maschinen be¬ schaffen; oft genug wird ihnen zu viel und gar nicht passende Maschinerie gegen Abzahlung zu teuern Preisen von Agenten aufgedrängt, deren Beredsam¬ keit ebenso wie in Nordamerika den Kolonisten leicht verderblich wird. Unter diesen ärmern ostdeutschen Ansiedlern findet man sehr viele, die alle ihre Mittel in Gebäuden und Maschinen festgelegt haben, hochvcrschuldet und schlechter¬ dings nicht in der Lage sind, ihre Wirtschaften in ertragsfähigen Zustand zu versetzen. Auch sind gerade die schlechtesten und entlegensten Güter Vorzugs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/309>, abgerufen am 26.08.2024.