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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Interessenvertretung und Bundesrat

nteressenvertretung ist das Schlagwort unsrer Zeit, der elektrische
Funke, der die Herzen des Volkes lebhafter schlagen macht, die
Flut, die die trägen Volksmassen aufrührt, mit fortreißt und zu
neuen Gestaltungen drängt.

Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Welt mit
em Gedanken ^ politischen Freiheit und Gleichheit beschenkt. Der Wider-
jtmid mittelalterlicher Staatsgestaltuug dagegen war bald gebrochen, und sieg¬
reich bM dle Fahne der politischen Freiheit und Gleichheit die Welt erobert.
Der Tauen. der unsre Väter und Großvater zu Anfang dieses Jahrhunderts
^lullte, ist längst zur Wirklichkeit geworden, aber das Glück ist aus¬
geblieben, und neue Träume von Glück und Wohlfahrt haben sich der Volks¬
seele bemächtigt.

Die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts hat die Welt erkennen lassen,
Politische Freiheit und Gleichheit mir wesenlose Schatten sind, unter deren
Herrschaft sich ein Grad von bürgerlicher und sozialer Ungleichheit und Un¬
freiheit gebildet hat, wie er in der Geschichte der Menschheit kaum jemals da¬
gewesen ist. Statt des verhcißnen Menschenglücks ist ein Massenelend über
die Welt hereingebrochen, das durch die Anhünfung von irdischen Gütern in
wizeluen Hunden nur um so greller beleuchtet wird. Kein Wunder, daß die
Volker aus den Träumen ihrer politischen Kindheit erwachen, und der Schrei
nach Brot statt der gebotnen Steine in allen Kreisen der Bevölkerung ertönt.
^>du beschwichtigen wollen wäre kindisches Bemühen, vergeblich wie der Ver¬
such, den Orkan aufzuhalten, der über die Länder fegt. Wer sich ihm ent¬
gegenstellt, wird niedergeworfen, und wäre er der mächtigste Mann der Erde.
Nur wer mit dem Sturme segelt, kann die Macht des Sturms überwinden
und sein Schiff im sichern Hafen bergen.


Grcnzlwwii II 18W 37


Interessenvertretung und Bundesrat

nteressenvertretung ist das Schlagwort unsrer Zeit, der elektrische
Funke, der die Herzen des Volkes lebhafter schlagen macht, die
Flut, die die trägen Volksmassen aufrührt, mit fortreißt und zu
neuen Gestaltungen drängt.

Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Welt mit
em Gedanken ^ politischen Freiheit und Gleichheit beschenkt. Der Wider-
jtmid mittelalterlicher Staatsgestaltuug dagegen war bald gebrochen, und sieg¬
reich bM dle Fahne der politischen Freiheit und Gleichheit die Welt erobert.
Der Tauen. der unsre Väter und Großvater zu Anfang dieses Jahrhunderts
^lullte, ist längst zur Wirklichkeit geworden, aber das Glück ist aus¬
geblieben, und neue Träume von Glück und Wohlfahrt haben sich der Volks¬
seele bemächtigt.

Die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts hat die Welt erkennen lassen,
Politische Freiheit und Gleichheit mir wesenlose Schatten sind, unter deren
Herrschaft sich ein Grad von bürgerlicher und sozialer Ungleichheit und Un¬
freiheit gebildet hat, wie er in der Geschichte der Menschheit kaum jemals da¬
gewesen ist. Statt des verhcißnen Menschenglücks ist ein Massenelend über
die Welt hereingebrochen, das durch die Anhünfung von irdischen Gütern in
wizeluen Hunden nur um so greller beleuchtet wird. Kein Wunder, daß die
Volker aus den Träumen ihrer politischen Kindheit erwachen, und der Schrei
nach Brot statt der gebotnen Steine in allen Kreisen der Bevölkerung ertönt.
^>du beschwichtigen wollen wäre kindisches Bemühen, vergeblich wie der Ver¬
such, den Orkan aufzuhalten, der über die Länder fegt. Wer sich ihm ent¬
gegenstellt, wird niedergeworfen, und wäre er der mächtigste Mann der Erde.
Nur wer mit dem Sturme segelt, kann die Macht des Sturms überwinden
und sein Schiff im sichern Hafen bergen.


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[0298] [Abbildung] Interessenvertretung und Bundesrat nteressenvertretung ist das Schlagwort unsrer Zeit, der elektrische Funke, der die Herzen des Volkes lebhafter schlagen macht, die Flut, die die trägen Volksmassen aufrührt, mit fortreißt und zu neuen Gestaltungen drängt. Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Welt mit em Gedanken ^ politischen Freiheit und Gleichheit beschenkt. Der Wider- jtmid mittelalterlicher Staatsgestaltuug dagegen war bald gebrochen, und sieg¬ reich bM dle Fahne der politischen Freiheit und Gleichheit die Welt erobert. Der Tauen. der unsre Väter und Großvater zu Anfang dieses Jahrhunderts ^lullte, ist längst zur Wirklichkeit geworden, aber das Glück ist aus¬ geblieben, und neue Träume von Glück und Wohlfahrt haben sich der Volks¬ seele bemächtigt. Die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts hat die Welt erkennen lassen, Politische Freiheit und Gleichheit mir wesenlose Schatten sind, unter deren Herrschaft sich ein Grad von bürgerlicher und sozialer Ungleichheit und Un¬ freiheit gebildet hat, wie er in der Geschichte der Menschheit kaum jemals da¬ gewesen ist. Statt des verhcißnen Menschenglücks ist ein Massenelend über die Welt hereingebrochen, das durch die Anhünfung von irdischen Gütern in wizeluen Hunden nur um so greller beleuchtet wird. Kein Wunder, daß die Volker aus den Träumen ihrer politischen Kindheit erwachen, und der Schrei nach Brot statt der gebotnen Steine in allen Kreisen der Bevölkerung ertönt. ^>du beschwichtigen wollen wäre kindisches Bemühen, vergeblich wie der Ver¬ such, den Orkan aufzuhalten, der über die Länder fegt. Wer sich ihm ent¬ gegenstellt, wird niedergeworfen, und wäre er der mächtigste Mann der Erde. Nur wer mit dem Sturme segelt, kann die Macht des Sturms überwinden und sein Schiff im sichern Hafen bergen. Grcnzlwwii II 18W 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/298>, abgerufen am 23.07.2024.