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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedlich Hebbels Briefwechsel

aber es unterliegt keinem Zweifel, dnß der Dichter auch hier die große politisch¬
ethische Aufgabe späterer Jahrzehnte richtig begriffen hatte und prophetisch
verkündete.

In seinem eignen Leben -- und am Ende muß jeder, der andre über¬
zeugen will, bei sich selbst anfangen -- ließ Hebbel in allen den Jahren, wo
er dem Elend und harten Druck seiner Jugend entronnen war, maßvolle Selbst¬
beherrschung walten und wich jeder Versuchung zu prunkvollen Leichtsinn und
genußgieriger Zerstreuung, die in den allgemeinen wie in seinen besondern Ver¬
hältnissen vielfach an ihn herantrat, mannhaft aus. Die tiefe und jede" Tag
aufs neue wirkende Dankbarkeit, die er für die glückliche Gestaltung seiner Ver¬
hältnisse empfand, ließ ihn wohl niemals vergessen, wie schwer er dieses be¬
scheidne Glück erkauft hatte, aber sie stellte ihm unablässig vor Auge", wie
leicht ihm auch dies hätte versagt sein können. Der schöne Brief, den er zwei
Jahre vor dem Bruch an seinen Freund Emil Kuh richtete, ist nicht nur das
Muster einer getreuen Selbstcharakteristik, sondern auch eine lebendige, er¬
greifende Mahnung an die Uuzufriednen der Gegenwart: "Das geistige Bild,
das Sie sich von mir macheu zu müssen glaubten, um sich den Umstand zu
erklären, daß ich nicht näher aus Ihre Legende einging, ist mir so ähnlich, wie
ein leibliches Porträt, das in dem Moment aufgenommen würde, wo ich ge¬
rade wegen eines Tritts auf meine Hühneraugen zusammenführe. Es mag
einmal auf mich gepaßt haben in einer jener Stunden, wo der Mensch unter
der ihm aufgelegten Last zu erliegen anfängt, und Sie hatten sich mir nahe
genug gestellt, um in den Kampf zwischen der Selbstbeherrschung und dem
Schmerz mit hineingezogen zu werden, ohne dnß ich mir deshalb Vorwürfe
zu machen brauchte. Jetzt aber verhält es sich zu mir und meinen Zuständen
wie das Koch Iiorriv-Antlitz zu dem Jubelgesicht des Heilands auf der Hochzeit
zu Kana, denn ich gehöre zu den glücklichsten Menschen, die auf der Erde
leben, mein innerer Friede wächst von Tage zu Tage; und da mein Glück nicht
darauf beruht, daß mein kleiner Acker mir tausendfältige Frucht trägt, sondern
darauf, daß ein Körnlein mir mehr ist, wie andern eine ganze Ähre, was ich
freilich einer Jugend verdanke, die mich früh den bescheidensten Maßstab an
die Dinge zu legen lehrte, so brauche ich nicht einmal stark vor der Nemesis
zu zittern. Wenn ich des Morgens erwache und den ersten Laut meiner Frau
und meines Kindes vernehme, so kann ich mich freuen, daß nur die Thränen
ins Auge treten; wenn ich meine Schale Kaffee trinke, so habe ich einen großen
Genuß, wenn ich meinen Spaziergang mache, so hab ich ein Gefühl, als ob
ich allein Beine hätte, ja wenn ich des Mittags nach dem Essen das kleine
Hündchen nach der Küche herüberhole und es mit fröhlichem Gebell um mich
herumspringt, weil es nun auch seinen Teil erwartet, so ergötze ich mich so,
daß ich mich jedesmal ärgere, wenn das Tierchen von selbst kommt, weil eine
der Mägde die Thür offen gelassen hat. Dabei komme ich mir gar nicht


Friedlich Hebbels Briefwechsel

aber es unterliegt keinem Zweifel, dnß der Dichter auch hier die große politisch¬
ethische Aufgabe späterer Jahrzehnte richtig begriffen hatte und prophetisch
verkündete.

In seinem eignen Leben — und am Ende muß jeder, der andre über¬
zeugen will, bei sich selbst anfangen — ließ Hebbel in allen den Jahren, wo
er dem Elend und harten Druck seiner Jugend entronnen war, maßvolle Selbst¬
beherrschung walten und wich jeder Versuchung zu prunkvollen Leichtsinn und
genußgieriger Zerstreuung, die in den allgemeinen wie in seinen besondern Ver¬
hältnissen vielfach an ihn herantrat, mannhaft aus. Die tiefe und jede» Tag
aufs neue wirkende Dankbarkeit, die er für die glückliche Gestaltung seiner Ver¬
hältnisse empfand, ließ ihn wohl niemals vergessen, wie schwer er dieses be¬
scheidne Glück erkauft hatte, aber sie stellte ihm unablässig vor Auge», wie
leicht ihm auch dies hätte versagt sein können. Der schöne Brief, den er zwei
Jahre vor dem Bruch an seinen Freund Emil Kuh richtete, ist nicht nur das
Muster einer getreuen Selbstcharakteristik, sondern auch eine lebendige, er¬
greifende Mahnung an die Uuzufriednen der Gegenwart: „Das geistige Bild,
das Sie sich von mir macheu zu müssen glaubten, um sich den Umstand zu
erklären, daß ich nicht näher aus Ihre Legende einging, ist mir so ähnlich, wie
ein leibliches Porträt, das in dem Moment aufgenommen würde, wo ich ge¬
rade wegen eines Tritts auf meine Hühneraugen zusammenführe. Es mag
einmal auf mich gepaßt haben in einer jener Stunden, wo der Mensch unter
der ihm aufgelegten Last zu erliegen anfängt, und Sie hatten sich mir nahe
genug gestellt, um in den Kampf zwischen der Selbstbeherrschung und dem
Schmerz mit hineingezogen zu werden, ohne dnß ich mir deshalb Vorwürfe
zu machen brauchte. Jetzt aber verhält es sich zu mir und meinen Zuständen
wie das Koch Iiorriv-Antlitz zu dem Jubelgesicht des Heilands auf der Hochzeit
zu Kana, denn ich gehöre zu den glücklichsten Menschen, die auf der Erde
leben, mein innerer Friede wächst von Tage zu Tage; und da mein Glück nicht
darauf beruht, daß mein kleiner Acker mir tausendfältige Frucht trägt, sondern
darauf, daß ein Körnlein mir mehr ist, wie andern eine ganze Ähre, was ich
freilich einer Jugend verdanke, die mich früh den bescheidensten Maßstab an
die Dinge zu legen lehrte, so brauche ich nicht einmal stark vor der Nemesis
zu zittern. Wenn ich des Morgens erwache und den ersten Laut meiner Frau
und meines Kindes vernehme, so kann ich mich freuen, daß nur die Thränen
ins Auge treten; wenn ich meine Schale Kaffee trinke, so habe ich einen großen
Genuß, wenn ich meinen Spaziergang mache, so hab ich ein Gefühl, als ob
ich allein Beine hätte, ja wenn ich des Mittags nach dem Essen das kleine
Hündchen nach der Küche herüberhole und es mit fröhlichem Gebell um mich
herumspringt, weil es nun auch seinen Teil erwartet, so ergötze ich mich so,
daß ich mich jedesmal ärgere, wenn das Tierchen von selbst kommt, weil eine
der Mägde die Thür offen gelassen hat. Dabei komme ich mir gar nicht


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[0277] Friedlich Hebbels Briefwechsel aber es unterliegt keinem Zweifel, dnß der Dichter auch hier die große politisch¬ ethische Aufgabe späterer Jahrzehnte richtig begriffen hatte und prophetisch verkündete. In seinem eignen Leben — und am Ende muß jeder, der andre über¬ zeugen will, bei sich selbst anfangen — ließ Hebbel in allen den Jahren, wo er dem Elend und harten Druck seiner Jugend entronnen war, maßvolle Selbst¬ beherrschung walten und wich jeder Versuchung zu prunkvollen Leichtsinn und genußgieriger Zerstreuung, die in den allgemeinen wie in seinen besondern Ver¬ hältnissen vielfach an ihn herantrat, mannhaft aus. Die tiefe und jede» Tag aufs neue wirkende Dankbarkeit, die er für die glückliche Gestaltung seiner Ver¬ hältnisse empfand, ließ ihn wohl niemals vergessen, wie schwer er dieses be¬ scheidne Glück erkauft hatte, aber sie stellte ihm unablässig vor Auge», wie leicht ihm auch dies hätte versagt sein können. Der schöne Brief, den er zwei Jahre vor dem Bruch an seinen Freund Emil Kuh richtete, ist nicht nur das Muster einer getreuen Selbstcharakteristik, sondern auch eine lebendige, er¬ greifende Mahnung an die Uuzufriednen der Gegenwart: „Das geistige Bild, das Sie sich von mir macheu zu müssen glaubten, um sich den Umstand zu erklären, daß ich nicht näher aus Ihre Legende einging, ist mir so ähnlich, wie ein leibliches Porträt, das in dem Moment aufgenommen würde, wo ich ge¬ rade wegen eines Tritts auf meine Hühneraugen zusammenführe. Es mag einmal auf mich gepaßt haben in einer jener Stunden, wo der Mensch unter der ihm aufgelegten Last zu erliegen anfängt, und Sie hatten sich mir nahe genug gestellt, um in den Kampf zwischen der Selbstbeherrschung und dem Schmerz mit hineingezogen zu werden, ohne dnß ich mir deshalb Vorwürfe zu machen brauchte. Jetzt aber verhält es sich zu mir und meinen Zuständen wie das Koch Iiorriv-Antlitz zu dem Jubelgesicht des Heilands auf der Hochzeit zu Kana, denn ich gehöre zu den glücklichsten Menschen, die auf der Erde leben, mein innerer Friede wächst von Tage zu Tage; und da mein Glück nicht darauf beruht, daß mein kleiner Acker mir tausendfältige Frucht trägt, sondern darauf, daß ein Körnlein mir mehr ist, wie andern eine ganze Ähre, was ich freilich einer Jugend verdanke, die mich früh den bescheidensten Maßstab an die Dinge zu legen lehrte, so brauche ich nicht einmal stark vor der Nemesis zu zittern. Wenn ich des Morgens erwache und den ersten Laut meiner Frau und meines Kindes vernehme, so kann ich mich freuen, daß nur die Thränen ins Auge treten; wenn ich meine Schale Kaffee trinke, so habe ich einen großen Genuß, wenn ich meinen Spaziergang mache, so hab ich ein Gefühl, als ob ich allein Beine hätte, ja wenn ich des Mittags nach dem Essen das kleine Hündchen nach der Küche herüberhole und es mit fröhlichem Gebell um mich herumspringt, weil es nun auch seinen Teil erwartet, so ergötze ich mich so, daß ich mich jedesmal ärgere, wenn das Tierchen von selbst kommt, weil eine der Mägde die Thür offen gelassen hat. Dabei komme ich mir gar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/277>, abgerufen am 23.07.2024.