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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

scheint, mich in meiner Überzeugung nur befestigt hat. übrigens begreife ich
sehr wohl, daß die preußische Landwehr im vorigen Jahre nicht mit dem
Enthusiasmus von 181Z unters Gewehr trat; es ist freilich etwas andres, ob
man beim feindlichen Nachbar löscht, nicht um ihm zu helfen, sondern um das
Feuer selbst aus der Welt zu treiben, oder ob man die Flamme aus dem
eignen Dach bekämpft."^) Hebbel konnte so wenig wie alle ahnen, daß es
in Preußen einen gewaltigen Geist, einen genialen und heroischen Staatsmann
gab, der "dem modernen Punier," Napoleon III., nicht traute, der sehr wohl
wußte, daß Deutschland nicht wieder zu einem Reiche werden könne, ohne sich
mit Frankreichs hochmütigem Anspruch, dies zu hindern, ans dem Schlacht¬
felde gemessen zu haben, der aber trotz dieser Erkenntnis vor der vorher oder
nachher notwendigen Auseinandersetzung mit Osterreich nicht zurückschrak. Daß
Hebbel, trotz des Anscheins, kein Großdeutscher im engen Parteisinn des Worts
blieb, bewies 1861 sein Gedicht um König Wilhelm von Preußen, in dem er
den Herrscher prophetisch anredete:

Was kann es größres geben,
Als daß du deine Nation
Erweckst zu neuem, schöneren Leben,
So thus uno sei ihr bester Sohn!
Horcht, wies in vollem, immer vollem
Akkorden durch das Reich erklingt:
Ob Habsburg oder Hohenzollern,
Der Kaiser ist, wer das vollbringt!

Überall fühlt man in den Briefen Hebbels aus den letzten Jahren eine Be¬
freiung aus deu Wiener Anschauungen, eine Ahnung der spätern Gestaltung
der Dinge heraus. Die letzten politischen Ereignisse, die ihm vergönnt war zu
erleben: der Frankfurter Fürstentag von 1863 und der Tod Friedrichs VII.
von Dänemark-Holstein, der die unnatürlich gewordne Verbindung der deutschen
Herzogtümer mit dem Jnselkönigreich löste, weckte in seiner früher so ver¬
düsterten und jetzt so licht gewordnen Seele frohe Hoffnungen. Entgegen der
kindischen Wiener Hoffnung, daß eine "Reform" des deutschen Bundes auch über
Preußens Kopf möglich sei, sah er, wie es in seinem letzten Brief an mich hieß, in
dem Fürstentag "das wichtigste Ereignis der deutscheu Geschichte seit dem west¬
fälischen Friedensschluß, was er insofern gewiß ist, als er durch feierliche
Sanktion der Nationalbedürfnisfe an die Stelle der bis dahin bestandnen,
durch keine Revolution auszufüllenden Kluft zwischeu der Nation und ihren
Regierungen eine ganz andre bei weitem weniger schreckliche Kluft zwischen den
Regierungen selbst gesetzt hat." °) Seine Stimmung bezüglich Schleswig-Hol¬
steins wird durch das auf seinem letzten Krankenbett gesprochn? Wort bezeichnet:



') An Friedrich von Üchtritz; Gmunden, 20. Juli 1360. -- -) Wien, den 25. Sep¬
tember 1863.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

scheint, mich in meiner Überzeugung nur befestigt hat. übrigens begreife ich
sehr wohl, daß die preußische Landwehr im vorigen Jahre nicht mit dem
Enthusiasmus von 181Z unters Gewehr trat; es ist freilich etwas andres, ob
man beim feindlichen Nachbar löscht, nicht um ihm zu helfen, sondern um das
Feuer selbst aus der Welt zu treiben, oder ob man die Flamme aus dem
eignen Dach bekämpft."^) Hebbel konnte so wenig wie alle ahnen, daß es
in Preußen einen gewaltigen Geist, einen genialen und heroischen Staatsmann
gab, der „dem modernen Punier," Napoleon III., nicht traute, der sehr wohl
wußte, daß Deutschland nicht wieder zu einem Reiche werden könne, ohne sich
mit Frankreichs hochmütigem Anspruch, dies zu hindern, ans dem Schlacht¬
felde gemessen zu haben, der aber trotz dieser Erkenntnis vor der vorher oder
nachher notwendigen Auseinandersetzung mit Osterreich nicht zurückschrak. Daß
Hebbel, trotz des Anscheins, kein Großdeutscher im engen Parteisinn des Worts
blieb, bewies 1861 sein Gedicht um König Wilhelm von Preußen, in dem er
den Herrscher prophetisch anredete:

Was kann es größres geben,
Als daß du deine Nation
Erweckst zu neuem, schöneren Leben,
So thus uno sei ihr bester Sohn!
Horcht, wies in vollem, immer vollem
Akkorden durch das Reich erklingt:
Ob Habsburg oder Hohenzollern,
Der Kaiser ist, wer das vollbringt!

Überall fühlt man in den Briefen Hebbels aus den letzten Jahren eine Be¬
freiung aus deu Wiener Anschauungen, eine Ahnung der spätern Gestaltung
der Dinge heraus. Die letzten politischen Ereignisse, die ihm vergönnt war zu
erleben: der Frankfurter Fürstentag von 1863 und der Tod Friedrichs VII.
von Dänemark-Holstein, der die unnatürlich gewordne Verbindung der deutschen
Herzogtümer mit dem Jnselkönigreich löste, weckte in seiner früher so ver¬
düsterten und jetzt so licht gewordnen Seele frohe Hoffnungen. Entgegen der
kindischen Wiener Hoffnung, daß eine „Reform" des deutschen Bundes auch über
Preußens Kopf möglich sei, sah er, wie es in seinem letzten Brief an mich hieß, in
dem Fürstentag „das wichtigste Ereignis der deutscheu Geschichte seit dem west¬
fälischen Friedensschluß, was er insofern gewiß ist, als er durch feierliche
Sanktion der Nationalbedürfnisfe an die Stelle der bis dahin bestandnen,
durch keine Revolution auszufüllenden Kluft zwischeu der Nation und ihren
Regierungen eine ganz andre bei weitem weniger schreckliche Kluft zwischen den
Regierungen selbst gesetzt hat." °) Seine Stimmung bezüglich Schleswig-Hol¬
steins wird durch das auf seinem letzten Krankenbett gesprochn? Wort bezeichnet:



') An Friedrich von Üchtritz; Gmunden, 20. Juli 1360. — -) Wien, den 25. Sep¬
tember 1863.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/273>, abgerufen am 23.07.2024.