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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

doch gering gegenüber der umfassenden Macht, die in dieser Richtung den
Hypvthekeuglänbigern gewährt worden ist. Kein mit Hypotheken belastetes
Grundstück kann nach bisherigem preußischem Recht ohne Einwilligung der
Gläubiger so geteilt werden, daß die Trennstücke aus der solidarischen Mit-
hastuug für die ganze Schuld ausscheiden..... Was man den Familien der
Bauern bis auf die neuere Zeit verweigerte, rechtliche Handhaben, ihre Güter
wenigstens im Erbgange geschlossen zu erhalten, gestattete mau, alleu Prin¬
zipien des Individualismus zum Trotz, deu Kapitalisten im Interesse ihres
unantastbaren Ziusrechtes. Die Hypothekenverfassung ist viel mehr als die
so oft verurteilten Fideikommisse das Hindernis für die Ausbreitung des Klein¬
grundbesitzes und die zeitgemäße Verkleinerung der Großgüter gewesen." Wäh¬
rend demgemäß die Verschuldung den Verkauf von Parzellen hindert, hindert
sie keineswegs den Ankauf von Bauerngütern zur Abrundung. ,,So begünstigte
also die Parzellirungs- und Verschuldungsgesetzgebung dieses Jahrhunderts den
Zusammenhalt und die Anhäufung des Grundbesitzes in großen Komplexen.
Die Parzellirungsfreiheit galt thatsächlich und im wesentlichen nur für den
bäuerlichen Besitz."

Dieser hat sich denn auch beträchtlich vermindert. "Aus dem Kreise der
spannfähigen Stellen schieden (in den sechs östlichen Provinzen in der Zeit
von 1816 bis 1860) aus durch Dismembrntiou 1340 000, durch Konsoli¬
dation 810000, zusammen 2150 000 Morgen, und zwar fielen dem Gro߬
grundbesitz 900 000, dem kleinen Besitz 1200 000 Morgen zu." Die Zahl
der in dem angegebnen Zeitraum zertrümmerten Bauernhöfe beträgt 17 530.
"Hier ergiebt sich zahlenmüßig die erste schlimme Folge der geschilderten Nechts-
entwicklung: angesichts der Geschlossenheit des großen und des geringe" Ge-
smntnmfangs und hohen Preises der kleinen Güter bildet das Bauernland den
Fonds, aus dem jedes Bedürfnis nach Arrondirung und Erweiterung der vor-
handnen Besitzungen, besonders auch der Andrang der kleinen Leute "ach
Grundbesitz ganz überwiegend befriedigt wird."

Ein Teil der eingegangnen Bauerngüter ist auf dem Wege der Güter-
schlächtcrei zerstückelt worden. Von ihr sagt Gering: "Was diese Unter¬
nehmungen ins Leben gerufen hat, ist nicht das technische Bedürfnis der Aus¬
legung und Einrichtung neuer Ansiedlungen nach Art der umfassenden Thätig¬
keit nordamerikanischer Landagenten -- denn uur in den allerseltensten Fällen
haben unsre Gütcrschlächter neue Kolonien ins Leben gerufen, und es ist be¬
kannt genug, daß die von ihnen ausgelegten Stellen in der unwirtschaftlichsten
Weise hergerichtet zu werden pflegen, wenn es gilt, an Vermesfungs-,
Wegekosten u. s. w. zu sparen. Der Hauptgrund dafür, daß ihre Ver¬
mittlung immer wieder eintritt, liegt vielmehr entweder in der Notwendigkeit,
die Hypothekenschulden des zu teilenden Grundstücks vor der Teilung abzu¬
stoßen, oder in der Macht, die der Güterschlächter selbst als Darlehnsgeber


Grenzboten II 1893 32
Innere Kolonisation

doch gering gegenüber der umfassenden Macht, die in dieser Richtung den
Hypvthekeuglänbigern gewährt worden ist. Kein mit Hypotheken belastetes
Grundstück kann nach bisherigem preußischem Recht ohne Einwilligung der
Gläubiger so geteilt werden, daß die Trennstücke aus der solidarischen Mit-
hastuug für die ganze Schuld ausscheiden..... Was man den Familien der
Bauern bis auf die neuere Zeit verweigerte, rechtliche Handhaben, ihre Güter
wenigstens im Erbgange geschlossen zu erhalten, gestattete mau, alleu Prin¬
zipien des Individualismus zum Trotz, deu Kapitalisten im Interesse ihres
unantastbaren Ziusrechtes. Die Hypothekenverfassung ist viel mehr als die
so oft verurteilten Fideikommisse das Hindernis für die Ausbreitung des Klein¬
grundbesitzes und die zeitgemäße Verkleinerung der Großgüter gewesen." Wäh¬
rend demgemäß die Verschuldung den Verkauf von Parzellen hindert, hindert
sie keineswegs den Ankauf von Bauerngütern zur Abrundung. ,,So begünstigte
also die Parzellirungs- und Verschuldungsgesetzgebung dieses Jahrhunderts den
Zusammenhalt und die Anhäufung des Grundbesitzes in großen Komplexen.
Die Parzellirungsfreiheit galt thatsächlich und im wesentlichen nur für den
bäuerlichen Besitz."

Dieser hat sich denn auch beträchtlich vermindert. „Aus dem Kreise der
spannfähigen Stellen schieden (in den sechs östlichen Provinzen in der Zeit
von 1816 bis 1860) aus durch Dismembrntiou 1340 000, durch Konsoli¬
dation 810000, zusammen 2150 000 Morgen, und zwar fielen dem Gro߬
grundbesitz 900 000, dem kleinen Besitz 1200 000 Morgen zu." Die Zahl
der in dem angegebnen Zeitraum zertrümmerten Bauernhöfe beträgt 17 530.
„Hier ergiebt sich zahlenmüßig die erste schlimme Folge der geschilderten Nechts-
entwicklung: angesichts der Geschlossenheit des großen und des geringe» Ge-
smntnmfangs und hohen Preises der kleinen Güter bildet das Bauernland den
Fonds, aus dem jedes Bedürfnis nach Arrondirung und Erweiterung der vor-
handnen Besitzungen, besonders auch der Andrang der kleinen Leute »ach
Grundbesitz ganz überwiegend befriedigt wird."

Ein Teil der eingegangnen Bauerngüter ist auf dem Wege der Güter-
schlächtcrei zerstückelt worden. Von ihr sagt Gering: „Was diese Unter¬
nehmungen ins Leben gerufen hat, ist nicht das technische Bedürfnis der Aus¬
legung und Einrichtung neuer Ansiedlungen nach Art der umfassenden Thätig¬
keit nordamerikanischer Landagenten — denn uur in den allerseltensten Fällen
haben unsre Gütcrschlächter neue Kolonien ins Leben gerufen, und es ist be¬
kannt genug, daß die von ihnen ausgelegten Stellen in der unwirtschaftlichsten
Weise hergerichtet zu werden pflegen, wenn es gilt, an Vermesfungs-,
Wegekosten u. s. w. zu sparen. Der Hauptgrund dafür, daß ihre Ver¬
mittlung immer wieder eintritt, liegt vielmehr entweder in der Notwendigkeit,
die Hypothekenschulden des zu teilenden Grundstücks vor der Teilung abzu¬
stoßen, oder in der Macht, die der Güterschlächter selbst als Darlehnsgeber


Grenzboten II 1893 32
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[0258] Innere Kolonisation doch gering gegenüber der umfassenden Macht, die in dieser Richtung den Hypvthekeuglänbigern gewährt worden ist. Kein mit Hypotheken belastetes Grundstück kann nach bisherigem preußischem Recht ohne Einwilligung der Gläubiger so geteilt werden, daß die Trennstücke aus der solidarischen Mit- hastuug für die ganze Schuld ausscheiden..... Was man den Familien der Bauern bis auf die neuere Zeit verweigerte, rechtliche Handhaben, ihre Güter wenigstens im Erbgange geschlossen zu erhalten, gestattete mau, alleu Prin¬ zipien des Individualismus zum Trotz, deu Kapitalisten im Interesse ihres unantastbaren Ziusrechtes. Die Hypothekenverfassung ist viel mehr als die so oft verurteilten Fideikommisse das Hindernis für die Ausbreitung des Klein¬ grundbesitzes und die zeitgemäße Verkleinerung der Großgüter gewesen." Wäh¬ rend demgemäß die Verschuldung den Verkauf von Parzellen hindert, hindert sie keineswegs den Ankauf von Bauerngütern zur Abrundung. ,,So begünstigte also die Parzellirungs- und Verschuldungsgesetzgebung dieses Jahrhunderts den Zusammenhalt und die Anhäufung des Grundbesitzes in großen Komplexen. Die Parzellirungsfreiheit galt thatsächlich und im wesentlichen nur für den bäuerlichen Besitz." Dieser hat sich denn auch beträchtlich vermindert. „Aus dem Kreise der spannfähigen Stellen schieden (in den sechs östlichen Provinzen in der Zeit von 1816 bis 1860) aus durch Dismembrntiou 1340 000, durch Konsoli¬ dation 810000, zusammen 2150 000 Morgen, und zwar fielen dem Gro߬ grundbesitz 900 000, dem kleinen Besitz 1200 000 Morgen zu." Die Zahl der in dem angegebnen Zeitraum zertrümmerten Bauernhöfe beträgt 17 530. „Hier ergiebt sich zahlenmüßig die erste schlimme Folge der geschilderten Nechts- entwicklung: angesichts der Geschlossenheit des großen und des geringe» Ge- smntnmfangs und hohen Preises der kleinen Güter bildet das Bauernland den Fonds, aus dem jedes Bedürfnis nach Arrondirung und Erweiterung der vor- handnen Besitzungen, besonders auch der Andrang der kleinen Leute »ach Grundbesitz ganz überwiegend befriedigt wird." Ein Teil der eingegangnen Bauerngüter ist auf dem Wege der Güter- schlächtcrei zerstückelt worden. Von ihr sagt Gering: „Was diese Unter¬ nehmungen ins Leben gerufen hat, ist nicht das technische Bedürfnis der Aus¬ legung und Einrichtung neuer Ansiedlungen nach Art der umfassenden Thätig¬ keit nordamerikanischer Landagenten — denn uur in den allerseltensten Fällen haben unsre Gütcrschlächter neue Kolonien ins Leben gerufen, und es ist be¬ kannt genug, daß die von ihnen ausgelegten Stellen in der unwirtschaftlichsten Weise hergerichtet zu werden pflegen, wenn es gilt, an Vermesfungs-, Wegekosten u. s. w. zu sparen. Der Hauptgrund dafür, daß ihre Ver¬ mittlung immer wieder eintritt, liegt vielmehr entweder in der Notwendigkeit, die Hypothekenschulden des zu teilenden Grundstücks vor der Teilung abzu¬ stoßen, oder in der Macht, die der Güterschlächter selbst als Darlehnsgeber Grenzboten II 1893 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/258>, abgerufen am 26.08.2024.