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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Denkmäler deutscher Tonkunst

gestellten Verhältnissen ein Gebiet eröffnet, das recht augenscheinlich darthut,
wie unzureichend das Gesetz ist, um aus ihm allein das Recht abzuleiten.
Dabei kaun man nicht einmal von einem Mangel des Gesetzes reden. Keine
gesetzgeberische Kraft würde imstande sein, diese Lehre in einer Weise zu ordnen,
daß man aus dem Gesetz allein das Recht entnehmen könnte. Es muß eben
noch etwas andres hinter dem Gesetze stehn, was den öden Buchstaben mit
lebendigem Geiste erfüllt. Was ist aber dieses andre?

Der Verfasser sagt: es ist ein Gewohnheitsrecht. Nun kann man jn
sagen, daß es einer allgemeinen Rechtsüberzeugung in unserm Volke entspricht,
wenn der Arzt für ärztliche Zwecke je nach Umständen Eingriffe in den mensch¬
lichen Gesundheitszustand vornimmt. Insofern kann man also von einem Ge¬
wohnheitsrechte reden. Aber dieses Gewohnheitsrecht läßt uns doch wieder
völlig im Stich, wenn es gilt, die Grenzen dieser ärztlichen Befugnis zu be¬
stimmen. Denn die Fragen stellen sich fast in jedem Falle anders, und es
würde ganz unmöglich sein, für jeden Fall Vorgänge auszuweisen, aus denen
sich das im Volke lebende Rechtsbewußtsein erkennen ließe. Die Wissenschaft
muß also uoch eine andre Quelle habe", aus der das auf diesem Gebiet an¬
zuwendende Recht zu schöpfen ist. Diese Quelle aber ist -- man verzeihe uns,
wenn wir kein andres Wort dafür wissen -- das Vernünftige. Das, was
vernünftig ist, muß die Wissenschaft auf diesem Gebiet als Recht anerkennen.

So bildet auch diese Lehre wieder einen Beweis dafür, daß die Rechts¬
wissenschaft eine Wissenschaft des Vernünftigen ist oder -- wenigstens sein sollte.




Denkmäler deutscher Tonkunst

er Romantik wird es als Verdienst nachgerühmt, daß sie die
wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Geschichte,
Sprache und Litteratur neu belebt und in die Bahnen gewiesen
habe, ans denen sie ihre tief eingreifenden und bewunderte" Er¬
folge erzielt hat. Daß ihr auch zum größten Teile die Begrün¬
dung der modernen Musikwissenschaft zu verdanken ist, hat man meines Wissens
noch nicht hervorgehoben. Was diese zunächst auszeichnet, ist der nationale
Zug. Die Arbeiten Forkels und, ein halbes Jahrhundert später, Kiesewetters
sind universalhistorischer Art. Forkels "Allgemeine Geschichte der Musik"
reicht bis ins sechzehnte Jahrhundert, beschäftigt sich also mit dem, was man
damals alte Musik nannte. Aber ein bahnbrechendes Werk wie Winkelmanns
"Geschichte der Kunst des Altertums" ist sie nicht geworden. Sie konnte es


Denkmäler deutscher Tonkunst

gestellten Verhältnissen ein Gebiet eröffnet, das recht augenscheinlich darthut,
wie unzureichend das Gesetz ist, um aus ihm allein das Recht abzuleiten.
Dabei kaun man nicht einmal von einem Mangel des Gesetzes reden. Keine
gesetzgeberische Kraft würde imstande sein, diese Lehre in einer Weise zu ordnen,
daß man aus dem Gesetz allein das Recht entnehmen könnte. Es muß eben
noch etwas andres hinter dem Gesetze stehn, was den öden Buchstaben mit
lebendigem Geiste erfüllt. Was ist aber dieses andre?

Der Verfasser sagt: es ist ein Gewohnheitsrecht. Nun kann man jn
sagen, daß es einer allgemeinen Rechtsüberzeugung in unserm Volke entspricht,
wenn der Arzt für ärztliche Zwecke je nach Umständen Eingriffe in den mensch¬
lichen Gesundheitszustand vornimmt. Insofern kann man also von einem Ge¬
wohnheitsrechte reden. Aber dieses Gewohnheitsrecht läßt uns doch wieder
völlig im Stich, wenn es gilt, die Grenzen dieser ärztlichen Befugnis zu be¬
stimmen. Denn die Fragen stellen sich fast in jedem Falle anders, und es
würde ganz unmöglich sein, für jeden Fall Vorgänge auszuweisen, aus denen
sich das im Volke lebende Rechtsbewußtsein erkennen ließe. Die Wissenschaft
muß also uoch eine andre Quelle habe», aus der das auf diesem Gebiet an¬
zuwendende Recht zu schöpfen ist. Diese Quelle aber ist — man verzeihe uns,
wenn wir kein andres Wort dafür wissen — das Vernünftige. Das, was
vernünftig ist, muß die Wissenschaft auf diesem Gebiet als Recht anerkennen.

So bildet auch diese Lehre wieder einen Beweis dafür, daß die Rechts¬
wissenschaft eine Wissenschaft des Vernünftigen ist oder — wenigstens sein sollte.




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er Romantik wird es als Verdienst nachgerühmt, daß sie die
wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Geschichte,
Sprache und Litteratur neu belebt und in die Bahnen gewiesen
habe, ans denen sie ihre tief eingreifenden und bewunderte» Er¬
folge erzielt hat. Daß ihr auch zum größten Teile die Begrün¬
dung der modernen Musikwissenschaft zu verdanken ist, hat man meines Wissens
noch nicht hervorgehoben. Was diese zunächst auszeichnet, ist der nationale
Zug. Die Arbeiten Forkels und, ein halbes Jahrhundert später, Kiesewetters
sind universalhistorischer Art. Forkels „Allgemeine Geschichte der Musik"
reicht bis ins sechzehnte Jahrhundert, beschäftigt sich also mit dem, was man
damals alte Musik nannte. Aber ein bahnbrechendes Werk wie Winkelmanns
„Geschichte der Kunst des Altertums" ist sie nicht geworden. Sie konnte es


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[0024] Denkmäler deutscher Tonkunst gestellten Verhältnissen ein Gebiet eröffnet, das recht augenscheinlich darthut, wie unzureichend das Gesetz ist, um aus ihm allein das Recht abzuleiten. Dabei kaun man nicht einmal von einem Mangel des Gesetzes reden. Keine gesetzgeberische Kraft würde imstande sein, diese Lehre in einer Weise zu ordnen, daß man aus dem Gesetz allein das Recht entnehmen könnte. Es muß eben noch etwas andres hinter dem Gesetze stehn, was den öden Buchstaben mit lebendigem Geiste erfüllt. Was ist aber dieses andre? Der Verfasser sagt: es ist ein Gewohnheitsrecht. Nun kann man jn sagen, daß es einer allgemeinen Rechtsüberzeugung in unserm Volke entspricht, wenn der Arzt für ärztliche Zwecke je nach Umständen Eingriffe in den mensch¬ lichen Gesundheitszustand vornimmt. Insofern kann man also von einem Ge¬ wohnheitsrechte reden. Aber dieses Gewohnheitsrecht läßt uns doch wieder völlig im Stich, wenn es gilt, die Grenzen dieser ärztlichen Befugnis zu be¬ stimmen. Denn die Fragen stellen sich fast in jedem Falle anders, und es würde ganz unmöglich sein, für jeden Fall Vorgänge auszuweisen, aus denen sich das im Volke lebende Rechtsbewußtsein erkennen ließe. Die Wissenschaft muß also uoch eine andre Quelle habe», aus der das auf diesem Gebiet an¬ zuwendende Recht zu schöpfen ist. Diese Quelle aber ist — man verzeihe uns, wenn wir kein andres Wort dafür wissen — das Vernünftige. Das, was vernünftig ist, muß die Wissenschaft auf diesem Gebiet als Recht anerkennen. So bildet auch diese Lehre wieder einen Beweis dafür, daß die Rechts¬ wissenschaft eine Wissenschaft des Vernünftigen ist oder — wenigstens sein sollte. Denkmäler deutscher Tonkunst er Romantik wird es als Verdienst nachgerühmt, daß sie die wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Geschichte, Sprache und Litteratur neu belebt und in die Bahnen gewiesen habe, ans denen sie ihre tief eingreifenden und bewunderte» Er¬ folge erzielt hat. Daß ihr auch zum größten Teile die Begrün¬ dung der modernen Musikwissenschaft zu verdanken ist, hat man meines Wissens noch nicht hervorgehoben. Was diese zunächst auszeichnet, ist der nationale Zug. Die Arbeiten Forkels und, ein halbes Jahrhundert später, Kiesewetters sind universalhistorischer Art. Forkels „Allgemeine Geschichte der Musik" reicht bis ins sechzehnte Jahrhundert, beschäftigt sich also mit dem, was man damals alte Musik nannte. Aber ein bahnbrechendes Werk wie Winkelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums" ist sie nicht geworden. Sie konnte es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/24>, abgerufen am 23.07.2024.