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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichter in seinem Sinne des Worts zu erkennen, und fühlte sich weit eher
gedrungen, untergeordnetere und unreifere Werke, in denen aber der Antrieb
zu psychologischer Vertiefung, zu dem, was ihm als innere Entwicklung galt,
sichtbar war, gelegentlich zu überschätzen. Auch dafür bietet der Briefwechsel
eben so viele Beweise, als wie für die strenge und unantastbare Redlichkeit,
mit der Hebbel bei alle" seinen Ansprüchen und Urteilen verfuhr.

Der dunkle Trieb in seiner eignen Entwicklung, der dämonische Zug, der
ihn fast unwiderstehlich in die Todesvorstellung hineinriß, kam ihm früh zum
Bewußtsein. In einer ganzen Reihe von Erlebnissen erblickte er "einen Grund
mehr, das Leben zu verachten und deu Tod zu lieben,"^) beinahe jede seiner
Stimmungen mündete in das Gefühl oder die Sehnsucht des Todes, und wenn
er dies Gefühl wohl als eine höchste Wollust pries, "jene Wollust, die uns
nur in unsern schönsten und in unsern längsten Stunden beschleicht," ^) in
schlimmer Stunde überkam ihn "der völlige Ekel am Leben," und er gestand
ein: "Sieh, liebes Kind, der Tod quillt aus meinem glühendsten Leben. Alles
ist mir zuwider, besonders was von mir selbst ausgeht."") Gleichwohl trug
er, mit der Entfaltungsfühigkeit seines Talents aufs innigste verwachsen, die
Zuversicht des Lebens in sich und sagte: "Es wäre mir fürchterlich, wenn
ich in meiner jetzigen Beschaffenheit in einen höhern Kreis eintreten sollte;
ich fühle, daß ich einem Wendepunkte nahe bin; ich bin eben darum überzeugt,
daß Gott mich noch nicht abrufen kann. Kein Mensch verläßt die Erde, so
lange sie ihn in Bezug auf Geist oder Herz noch verändern kann; dies ist
mir eine unumstößliche Wahrheit; der Tod hat nur Macht über das Gewordne,
nicht über das Werdende."^) Hebbel täuschte sich auch uicht über den ver¬
hängnisvollen Hang zur Reflexion, zur grüblerischen Zerfaserung des guten
Augenblicks, zur Geringschätzung des lebendigsten Eindrucks, wenn dieser nicht
das Tiefste in ihm aufrührte, er gestand unumwunden ein: "Ich lasse die besten
Stimmungen vorübergehen und setze mich erst hin, die Schmetterlinge zu
malen, wenn ich den bunten Staub ans ihren Flügeln nicht mehr sehe," "')
oder er schrieb: "Welche Freude würde es sein, Ihnen über Italien zu sprechen!
Aber darüber schreiben? Bei Gott, ich wüßte nichts zu sagen, als daß der
Himmelblau ist, und daß Raphael und Michel Angelo wirklich Maler waren."")
Gleichwohl scheint er den Gedanken weit von sich gewiesen zu haben, daß diese
Schranke seiner Natur und Individualität in gewissem Sinne doch auch
Schranke des llrteils und der angestrebten Gerechtigkeit sei. Man kann nur
sagen, daß in dem Maße, wie er selbst der Lebensfreude und des genügsamen
Genusses fähiger wurde, indem er lernte, neben der glühend leidenschaftlichen,



>) An Elise Lensing; München, den 5. Oktober 1838. -- An Elise Lensing; München,
29. September 1836. - An Elise Lensing; München, 11. April 1837. -- >) An Elise
Lensing; München, 31. Dezember 1838. -- An Elise Lensing; Paris, den 7. August 1844. --
°> An Felix Bamberg; Wien, den 27. Febrnnr 184".

Dichter in seinem Sinne des Worts zu erkennen, und fühlte sich weit eher
gedrungen, untergeordnetere und unreifere Werke, in denen aber der Antrieb
zu psychologischer Vertiefung, zu dem, was ihm als innere Entwicklung galt,
sichtbar war, gelegentlich zu überschätzen. Auch dafür bietet der Briefwechsel
eben so viele Beweise, als wie für die strenge und unantastbare Redlichkeit,
mit der Hebbel bei alle» seinen Ansprüchen und Urteilen verfuhr.

Der dunkle Trieb in seiner eignen Entwicklung, der dämonische Zug, der
ihn fast unwiderstehlich in die Todesvorstellung hineinriß, kam ihm früh zum
Bewußtsein. In einer ganzen Reihe von Erlebnissen erblickte er „einen Grund
mehr, das Leben zu verachten und deu Tod zu lieben,"^) beinahe jede seiner
Stimmungen mündete in das Gefühl oder die Sehnsucht des Todes, und wenn
er dies Gefühl wohl als eine höchste Wollust pries, „jene Wollust, die uns
nur in unsern schönsten und in unsern längsten Stunden beschleicht," ^) in
schlimmer Stunde überkam ihn „der völlige Ekel am Leben," und er gestand
ein: „Sieh, liebes Kind, der Tod quillt aus meinem glühendsten Leben. Alles
ist mir zuwider, besonders was von mir selbst ausgeht."") Gleichwohl trug
er, mit der Entfaltungsfühigkeit seines Talents aufs innigste verwachsen, die
Zuversicht des Lebens in sich und sagte: „Es wäre mir fürchterlich, wenn
ich in meiner jetzigen Beschaffenheit in einen höhern Kreis eintreten sollte;
ich fühle, daß ich einem Wendepunkte nahe bin; ich bin eben darum überzeugt,
daß Gott mich noch nicht abrufen kann. Kein Mensch verläßt die Erde, so
lange sie ihn in Bezug auf Geist oder Herz noch verändern kann; dies ist
mir eine unumstößliche Wahrheit; der Tod hat nur Macht über das Gewordne,
nicht über das Werdende."^) Hebbel täuschte sich auch uicht über den ver¬
hängnisvollen Hang zur Reflexion, zur grüblerischen Zerfaserung des guten
Augenblicks, zur Geringschätzung des lebendigsten Eindrucks, wenn dieser nicht
das Tiefste in ihm aufrührte, er gestand unumwunden ein: „Ich lasse die besten
Stimmungen vorübergehen und setze mich erst hin, die Schmetterlinge zu
malen, wenn ich den bunten Staub ans ihren Flügeln nicht mehr sehe," "')
oder er schrieb: „Welche Freude würde es sein, Ihnen über Italien zu sprechen!
Aber darüber schreiben? Bei Gott, ich wüßte nichts zu sagen, als daß der
Himmelblau ist, und daß Raphael und Michel Angelo wirklich Maler waren."«)
Gleichwohl scheint er den Gedanken weit von sich gewiesen zu haben, daß diese
Schranke seiner Natur und Individualität in gewissem Sinne doch auch
Schranke des llrteils und der angestrebten Gerechtigkeit sei. Man kann nur
sagen, daß in dem Maße, wie er selbst der Lebensfreude und des genügsamen
Genusses fähiger wurde, indem er lernte, neben der glühend leidenschaftlichen,



>) An Elise Lensing; München, den 5. Oktober 1838. — An Elise Lensing; München,
29. September 1836. - An Elise Lensing; München, 11. April 1837. — >) An Elise
Lensing; München, 31. Dezember 1838. — An Elise Lensing; Paris, den 7. August 1844. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/225>, abgerufen am 23.07.2024.